Unfall auf der Streif:"Es hat wieder einen erwischt"

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Der Österreicher Hans Grugger stürzt beim Abfahrtstraining in Kitzbühel so schwer, dass er notoperiert werden muss. Die ewige Diskussion, ob die Streif zu gefährlich ist, scheint berechtigter denn je.

Michael Neudecker, Kitzbühel

Der Stadionsprecher ist gut zu hören, wenn man die Treppen hochgeht, die sie extra aufgebaut haben für diese Woche, die Kitzbühel-Woche, das Hahnenkamm-Rennen auf der Streif. "Die Streif", ruft der Stadionsprecher, es ist noch eine halbe Stunde bis zum Start des Abfahrtstrainings, "ist berühmt-berüchtigt", er setzt ab, "aber heuer", fährt er fort, "ist sie noch berühmt-berüchtigter als sonst."

Schwer gestürzt: der Österreicher Hans Grugger. (Foto: Getty Images)

Berühmt-berüchtigt, das hört man hier dauernd. Grammatikalisch betrachtet gibt es keine Steigerungsform von berühmt-berüchtigt, aber das hier ist Kitzbühel, wen interessiert da schon Grammatik. In Kitzbühel hat alles eine Steigerungsform, darauf sind sie stolz, darauf haben sie den Mythos gebaut. Die Streif: das schwierigste Ski-Rennen der Welt.

Keine Stunde später wird klar, wie viel Wahrheit in den Worten des Stadionsprechers steckte. Der Österreicher Hans Grugger stürzte schwer, es war ein bisschen wie vor zwei Jahren, als der Schweizer Daniel Albrecht hier durch die Luft flog. Grugger blieb bewusstlos und offenbar schwer verletzt liegen.

Die ganze Woche schon ist nicht gut gelaufen, am Dienstag sagte der Ski-Weltverband Fis trotz guten Wetters das Training ab, um den Läufern eine Pause zu gönnen; am Mittwoch war das Wetter schlecht, diesmal mussten sie absagen. Vor einer Abfahrt ist mindestens ein Training Pflicht, ohne Training darf keine Abfahrt durchgeführt werden - nach Regen und Schnee wurde es Mittwochnacht kalt, und als am Donnerstag der letztmögliche Trainingstermin bevorsteht (an diesem Freitag findet der Super-G statt), ist die Streif eine einzige ruppige Eisbahn.

Das Training wird vorverlegt auf 10.15 Uhr, die Wetterprognose ist wieder nicht gut, es ist wolkig, bald beginnt es zu schneien. Hans Grugger kommt mit Startnummer fünf.

Hans Grugger, vor kurzem 29 geworden, aus Bad Hofgastein, ist einer der erfahrenen Läufer im Skizirkus, er fährt jetzt das achte Jahr im Weltcup, vier Rennen hat er bislang gewonnen. Aber er war noch öfter verletzt, vier Kreuzbandrisse, eine Hüftluxation, diverse kleinere Sachen, diese Saison ist mal wieder eine Comeback-Saison für Grugger.

Nach acht Sekunden Laufzeit wartet auf der Streif der erste Sprung, die Kante an der Mausefalle, gleich nach einer Linkskurve. Sie haben die Kurve heuer enger gesteckt als sonst, um die Läufer zu zwingen, Tempo rauszunehmen, ein guter Ansatz sei das, findet Bernhard Russi, der Schweizer, früher einer der besten Abfahrer der Welt und heute Vorsitzender des Fis-Alpinkomitees, eine Art Exekutive des Skirennsports.

Grugger fährt die Linkskurve wie auf Schienen, beide Ski sind durchgehend aufgekantet, er fährt voll auf Zug, wie die Skirennfahrer das nennen. Als der Sprung kommt, ist er mit der Kurve noch nicht ganz fertig, und als er in der Luft ist, wirken zu viele Kräfte auf einmal. Er fliegt verdreht, verliert die Kontrolle, schlägt nach der Landung seitlich mit dem Kopf auf, bleibt bewusstlos liegen. Keine Minute später startet im Zielraum der Hubschrauber, das Training wird für eine halbe Stunde unterbrochen.

Grugger wird umgehend mit schweren Kopf- und Brustverletzungen ins Klinikum Innsbruck geflogen, eine mehrstündige Notoperation in der Neurochirurgie sei "gut verlaufen", teilt der Österreichische Skiverband später mit. Grugger bleibt die Nacht auf der Intensivstation.

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Seitdem debattieren sie in Kitzbühel, ob der Sprung in die Mausefalle dieses Jahr zu gefährlich sei. Mario Scheiber, Gruggers Teamkollege, sagt, als er im Zielraum steht, er sei "froh, gesund unten zu sein": "Ich habe Angst gehabt." Klaus Kröll, Gruggers Zimmerkollege im Teamhotel, verweist auf die wegen des Schneefalls schlechte Sicht und die unruhige Piste, es sei "schwer, alles unter Kontrolle zu halten". Und Georg Streitberger sagt, der Sprung sei "extrem weit, wenn man mit dem Schwung nicht fertig ist, wird's gleich gefährlich".

Noch auf der Piste wird Hans Grugger notversorgt. (Foto: dpa)

Genau das war wohl Gruggers Fehler: Er hat den Schwung nicht rechtzeitig beendet. "Er ist die Kurve zu direkt angefahren", sagt Russi. Grundsätzlich, sagt Russi, sei der Sprung kein Problem, "wenn man gut vorbereitet ist". Die meisten Läufer sehen das ähnlich, zum Beispiel Michael Walchhofer, Führender im Abfahrtsweltcup: Man müsse voll konzentriert sein, der Sprung sei zwar schwieriger als sonst, "aber schön".

Am Abend dann muss sich Günter Hujara, der Renndirektor der Fis, einige Fragen gefallen lassen, die Stimmung ist gereizt. Er wolle nichts bagatellisieren, das betont er mehrmals, "wir sind alle noch mitgenommen". Aber: "Das ist Abfahrtssport, und Stellen wie die Mausefalle vertragen keinen Fehler." Am Nachmittag war spekuliert worden, ob die Mausefalle für das Rennen verändert werde, aber das, sagt Hujara, komme nicht in Frage: "Wir werden nichts verändern."

Bernhard Russi hält das für eine gute Entscheidung: Die Läufer haben sich ja auf den Abschnitt eingestellt, "sie haben Respekt davor, und wenn sie Respekt haben, fahren sie technisch besser als sonst". Respekt ist ein guter Ratgeber, und nichts verankert dieses Gefühl so tief im Bewusstsein eines Skirennfahrers wie der Sturz eines Kollegen.

Der Schweizer Carlo Janka hat den Sturz gesehen, wie die meisten anderen auch, er sagt: "Du stehst oben und weißt: Es hat wieder einen erwischt." Janka hatte keine Probleme an der Mausefalle, nach Grugger hatte überhaupt niemand mehr Probleme dort, weil jeder die Kurve mit mehr Umweg anfuhr und so zwar etwas Zeit verlor, aber ungefährdet abhob.

Man könne ja überlegen, die Piste etwas harmloser zu präparieren, sagt Michael Walchhofer. Aber das, fügt er dann hinzu, sei ein schmaler Grat: "Dann heißt es doch gleich wieder, die Streif ist zu harmlos."

© SZ vom 21.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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