Italiens Mario Balotelli im EM-Finale:Als der Widerspenstige gezähmt wurde

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Nicht einmal der gefürchtete Mario Balotelli kann etwas gegen Spaniens Defensive ausrichten. Der umstrittene Stürmer kämpft, rackert, agiert dennoch fair. Doch am Ende müssen die Italiener eingestehen, dass selbst eine muskelbepackte Statue gegen diese spanische Sieger-Generation nichts ausrichten kann.

Thomas Hummel

Mario Balotelli spielte gegen Ende der ersten Halbzeit einen fürchterlichen Pass. Der Ball flog quer über das Feld und landete genau vor den Füßen eines Spaniers, der zum Gegenangriff auszog. Balotelli fuchtelte wild mit den Armen und schimpfte so laut, dass man es fast bis zur Haupttribüne hinauf hörte. Lauft doch dorthin, wohin ich spiele!, schien er seinen Mitspielern zuzubrüllen.

Traurig, allein: Mario Balotelli auf dem Rasen von Kiew. (Foto: dpa)

Es ist ein altes Stilmittel von sehr selbstbewussten Fußballern, bei eigenen Fehlern einen anderen dafür verantwortlich zu machen. War das der alte Mario Balotelli? Das Enfant terrible? Ein begnadeter Kicker zwar, aber auch einer, der sich gerne mit allen und jedem anlegt?

Das Ansehen des 21 Jahre alten Stürmers hatte sich vor diesem EM-Finale spektakulär verändert. Als Rowdy war er ins Turnier gegangen, als unkontrollierbares Heißblut, das sicher für einen Skandal sorgen werde. Rassisten begrüßten ihn mit Affenlauten, auch für viele Italiener war es ein Tabubruch, dass ein Schwarzer das Trikot der Squadra Azzurra trug. Selbst wenn er in Palermo geboren wurde als Sohn ghanaischer Einwanderer. Nun war er plötzlich der Stolz des Landes.

Die Italiener jubelten über seine zwei Tore im Halbfinale gegen Deutschland samt egozentrischer Geste, als er nach dem 2:0 sein Trikot auszog und sich in eine muskelbepackte Statue verwandelte. Wer soll diesen Balotelli aufhalten? Nicht einmal eine Hundertschaft der durchaus grimmig dreinblickenden ukrainischen Polizei würde das schaffen.

Doch Balotelli merkte bald, dass er an diesem Finalabend weder gegen Ukrainer noch gegen Deutsche spielte. Diesmal wartete die spanische Nationalmannschaft mit einer Defensive, die ihr letztes Gegentor in einem K.-o.-Spiel bei einer Welt- oder Europameisterschaft im Jahr 2006 hingenommen hatte: Zinédine Zidane schoss damals in Hannover das 3:1 im WM-Viertelfinale für Frankreich. Ob Mario Balotelli das wusste, als er sichtlich missmutig in die Kabine zum Halbzeitgespräch ging? Da hätte er schon mindestens dreimal treffen müssen, um seinem Land noch den EM-Pokal mitzubringen.

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Dabei hatte er in den ersten 45 Minuten bis auf einen Schuss aus weiter Entfernung keine nennenswerte Aktion gehabt, hatte sich aufgerieben im Duell mit den ebenfalls kräftigen Sergio Ramos und Gerard Piqué. Die Spanier hatten sich besonders auf Balotelli eingestellt, erwarteten ihn stets mit zwei oder gar drei Verteidigern. Davon profitierten zwar zunächst dessen Nebenleute Antonio Cassano und Antonio Di Natale, doch die vergaben die Chancen, die Mario Balotelli wohl genutzt hätte.

Immerhin musste sich trotz des frustrierenden Spielverlaufs niemand in Kiew sorgen, dass Balotelli einen seiner gefürchteten Ausraster haben könnte. Der Stürmer mit dem gefärbten Irokesenschnitt hat sich vielleicht niemals wohler in einer Mannschaft gefühlt wie in dieser Squadra Azzurra mit dem Trainer Cesare Prandelli. Als die Italiener lange vor Spielbeginn auf den Platz gekommen waren zur Rasenbesichtigung, war Mario Balotelli zu den wenigen bereits anwesenden Fans gegangen und hatte sich locker mit ihnen unterhalten. Die Leute sahen ihn ehrfürchtig an.

Balotelli setzte sich neben Prandelli auf die Ersatzbank, ihr lässiger, ungezwungener Umgang miteinander erinnerte an Vater und Sohn, Prandelli gab Balotelli einen liebevollen Klaps auf die Schulter. Der Trainer hatte ihn immer gegen alle Vorbehalte in Schutz genommen. "Ich habe keine Probleme mit ihm", hatte er im Turnier gesagt. Prandelli bemerkte stattdessen, dass sich Balotelli stark verändert habe, seit er Teil dieser Mannschaft sei.

In ihr wurde er zu einem der stärksten Stürmer des Turniers. Und zu einem fast freundlichen jungen Mann. Als er in der zweiten Halbzeit den Spanier Álvaro Arbeloa im Zweikampf niederstreckte, forderte er fair die Unterbrechung des Spiels und entschuldigte sich.

Mario Balotelli gab sich bis zum Ende hin Mühe, selbst als das Unterfangen durch die frühe Unterzahl seines Teams hoffnungslos wurde. Er war Teil einer italienischen Truppe, die ein grandioses Turnier absolviert hatte. Aber auch er musste im Finale einsehen, dass nicht einmal eine muskelbepackte Statue gegen diese spanische Generation etwas ausrichten kann.

© SZ vom 02.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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