Fußball-EM:1996 vs. 2016 - wer gewinnt den Vergleich?

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Die Elf, die 1996 das EM-Finale gegen Tschechien gewann: Häßler, Helmer, Kuntz, Scholl, Ziege, Eilts, Sammer, Strunz, Babbel, Köpke und Klinsmann (von links). (Foto: Jürgen Fromme/firo Sportphoto)

Vor 20 Jahren gewann Deutschland die EM. Warum aus Berti Vogts nie ein Joachim Löw werden konnte - und warum es gut ist, dass das Golden Goal wieder abgeschafft wurde.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf

Zwar muss die deutsche Nationalmannschaft am Sonntag erst das Achtelfinale und danach das Viertelfinale und danach das Halbfinale bestreiten, aber dennoch stellt sich das Land bereits jetzt die entscheidende Frage: Kann die deutsche Nationalmannschaft, nachdem sie die Slowakei, Spanien oder Italien sowie Frankreich oder England oder Nordirland besiegt hat, dann auch Europameister werden? Es gibt einen kinderleichten Weg, das herauszufinden: Er besteht darin, die aktuelle Mannschaft mit der Mannschaft von 1996 zu vergleichen, die Deutschland den bisher letzten EM-Titel bescherte.

Hierzu hat die SZ-Sportredaktion unter Zuhilfenahme modernster Analysemethoden (Wärmebildkameras, Datenbanken, historischer Almanach) einen in verschiedene Rubriken unterteilten Qualitätsvergleich zwischen der 1996er- und 2016er-Mannschaft erstellt, der erstmals in der Forschung nicht nur Torschüsse und Torhüterparaden, sondern auch weiche Faktoren (Unterkunft, Tiere, Funktionäre) berücksichtigt. Gewinnen die 1996er eine Rubrik, erhalten sie dafür einen "Waldi" (Moderator von damals und Symbol für das Lebensgefühl jener Zeit). Gewinnen die 2016er, erhalten sie ein "Stilles Wasser" (passend zum EM-Quartier in Évian und zum Lebensgefühl dieser früh zu Bett gehenden, ausschließlich braunen Zucker verwendenden Mannschaft).

Übrigens: Das Ergebnis, das die SZ am Ende präsentiert, kann nicht vor dem Sportgerichtshof Cas in Lausanne angefochten werden, obwohl man Lausanne von Évian aus sehen kann.

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LEITMOTIV

Die aktuelle Mannschaft hat sich einen originellen Kosenamen einfallen lassen, sie nennt sich "Die Mannschaft". Der Spruch "Vive La Mannschaft", der groß auf dem Teambus prangt, wurde vermutlich von niemals früh zu Bett gehenden Werbeagenturen ersonnen, obwohl da auch Torwarttrainer Andreas Köpke hätte draufkommen können, der ein paar Jahre in Frankreich lebte, oder auch der Fahrer des Teambusses, der gar nicht in Frankreich lebte. So weist der SZ-Vergleich erstmals empirisch nach, wie sehr Berti Vogts immer unterschätzt wurde, dessen 96er-Motto "Der Star ist die Mannschaft" den aktuellen Slogan um Längen schlägt.

Auf Vogts gehen im Übrigen weitere lebenskluge Sinnsprüche zurück wie "Die Breite an der Spitze ist größer geworden", "Hass gehört nicht ins Stadion, solche Gefühle soll man gemeinsam mit seiner Frau daheim im Wohnzimmer ausleben" oder "Gib dem Hasen eine Möhre extra". Der Sinnspruch "Der Star ist die Mannschaft" wird bis heute von Personal Coaches, Unternehmensberatern sowie in Fraktionssitzungen zitiert. "Viva La Mannschaft" hat man noch in keiner Talkshow gehört, nicht mal von Ede Stoiber. Deshalb: klarer Waldi.

UNTERKUNFT

Die 96er wohnten damals in der Nähe von Manchester in der legendären "Mottram Hall", die keiner so schön aussprechen konnte wie Waldi. Das Auge erholte sich beim Blick auf grüne Hügel, bewaldete Auen sowie einige Millionen Kühe. Für Unterhaltung und Weiterbildung war durch die Anwesenheit mehrerer Könige, Prinzen und Fürsten (Viscount of Canterbury, Sir Toby, Admiral von Schneider) gesorgt. Im aktuellen DFB-Hotel bleibt für Unterhaltung nur Thomas Müller, und für Weiterbildung nur Thomas Schneider. Immerhin: Auf der Wiese vor dem "Ermitage" steht ein Pferd. Weitere Informationen übers Hotel der Nationalmannschaft dürfen aus Sicherheitsgründen nicht erteilt werden. Klarer Waldi.

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TOR

Beide Mannschaften hatten ihren Pannen-Oli, der eine hieß wirklich Oliver (Reck), der andere nicht (Marc-André). Größere Schäden haben - soweit bekannt - beide nicht angerichtet. Immerhin: Der andere Ersatztorhüter der 96er, Oliver Kahn, machte später eine große Karriere als Showmaster im ZDF. Der Ersatztorhüter der 2016er, Bernd Leno, schaffte es nur bis zu "Radio Leverkusen".

Beide Mannschaften verfügten/verfügen über grandiose Stammkeeper, Andreas Köpke und Manuel Neuer, wobei Neuer den Vorteil besitzt, dass er sich in allen Lebenslagen auf seinen Lehrer, Guru, spirituellen Meister sowie (vor allem) Bälle-aufs-Tor-Bolzer verlassen kann (Köpke). Aktuell hat Köpke den schönsten Job der Welt, neben Alleinerbe und Oligarch. Damals war Köpke der beste Torwart des Turniers. Heute ist Neuer der beste Torwart der Welt, trotz Bernd Leno und Marc-André Reck. Deshalb: ein stilles Wasser.

ABWEHR

Berti Vogts setzte damals auf stramme Blockbildung aus Münchnern (Babbel, Ziege, Helmer) und Dortmundern (Reuter, Kohler, René Schneider). Trotz bemühter Nachahmungsversuche mit zweieinhalb Münchnern (Neuer, Boateng, Hummels) hat Löw nur eine Patchwork-Abwehr zustande gebracht, in der sogar einer aus Köln mitspielt - sowie ein 24-Jähriger, der bereits bei 24 Vereinen war (Mustafi). Vogts verfügte über starke Persönlichkeiten wie Helmer, Babbel, Ziege, Reuter. . . obwohl: naja. Hingegen verfügt Löw über echte Persönlichkeiten (Boateng, Hummels) sowie echte Weltklasse (Boateng). Allerdings ist in seiner Abwehr (Höwedes, Can, Tah) die Breite an der Spitze nicht dichter geworden. Fazit: Unentschieden - eine leckere Schorle aus Waldis Weißbier und stillem Wasser.

MITTELFELD

"Moin moin, Gascoigne": So hieß damals eine Spitzen-Schlagzeile des Boulevards, gewidmet war sie dem Ostfriesen Dieter Eilts, der das stille Wasser der 96er-Mannschaft war. Das stille Wasser der heutigen Mannschaft heißt Toni Kroos, der für die aktuelle Mannschaft so wichtig ist, dass die Schlagzeile "Ohne Kroos kein Moos" unmittelbar vor ihrer Erfindung steht. Beim Vergleich der Mittelfelder gerieten die Juroren heftig in Streit, weil nach Abwägung aller messbaren Kriterien ein Unentschieden herauskommt.

Die alte Mannschaft hatte einen Feuerkopf (Sammer, bester Spieler der EM 96), die neue Mannschaft kontert mit einem würdigen Grauschopf (Schweinsteiger, verwundetster Spieler des WM-Finales 2014). Hier also Häßler, Möller, Scholl und dort Kroos, Khedira, Özil - beide Mannschaften haben hohes Hollywood-Potenzial, den Juroren kam es vor, als müssten sie Clark Gable mit George Clooney und Julia Roberts mit Ingrid Bergmann oder Dieter Eilts vergleichen. Fazit deshalb: Reine Geschmackssache - wieder eine Waldi/Wasser-Schorle.

STURM

Klinsmann, Bierhoff, Kuntz, Bobic - die 96er verfügten noch über echte Mittelstürmer, die später fast alle als Bauherren Karriere machten. Bierhoff ging als Errichter des Campo Bahia und der Oliver-Bierhoff-Akademie in Frankfurt-Niederrad in die Geschichte ein, Stefan Kuntz (1. FC Kaiserslautern) und Fredi Bobic (VfB Stuttgart) hinterließen allerdings Gebäude, die hinterher weitgehend entkernt waren. Klinsmann wurde Missionar (Deutschland 2006, FC Bayern) und Entwicklungshelfer (USA). Die heutige Mannschaft hat zumindest einen schönen Mario zu bieten (Götze) sowie einen echten Mittelstürmer (Gomez) und einen echten Müller (Müller). Zwar kam die Jury zu dem Schluss, dass die heutigen Stürmer kein Golden Goal mehr zustande bringen, dennoch blieb als Ergebnis: Schorle (nicht zu verwechseln mit: Schürrle).

TRAINER

Hier hatte die Jury vor allem zwei anspruchsvolle Zitate auszuwerten. Zitat eins: "Joachim Löw schwebt über allem als eine Art Supervisor" (Marcus Sorg, Löws Assistent, über Löw). Zitat zwei: "Wenn ich über Wasser gehen würde, würden allen sagen: Nicht mal schwimmen kann er" (Berti Vogts über Berti Vogts). Beide Trainer verfügen demnach über magische Fähigkeiten, wobei Löws Schweben als Ausdruck seiner Göttlichkeit gewertet wird, während Vogts' außergewöhnliche Taten stets belächelt wurden - obwohl er einst die "ballorientierte Gegnerdeckung" erfand. Fazit: Zwei große Trainer, wobei Vogts immer ein bisschen kleiner war. Stilles Wasser.

FUNKTIONÄRE

Den DFB führte damals der fromme Egidius Braun, der sich als Kartoffelproduzent ("Kartoffel Braun") um die Ernährung des deutschen Volk verdient machte. Hingegen begann der aktuelle Präsident Reinhard Grindel seine Karriere in einer zwielichtigen Branche (Journalist), bevor er zu weiteren zwielichtigen Organisationen (CDU, DFB) wechselte. Nach Stand der Akten allerdings so unbescholten wie eine Kartoffel. Unentschieden (Schorle).

PRESSESPRECHER

Klarer Vorteil für die 96er: Sie verfügten über einen Pressesprecher mit Präsidenten-Potenzial (Wolfgang Niersbach). Nachteil: Sie verfügten über einen Pressesprecher mit Rücktrittspotenzial (Niersbach). Deshalb: Schorle.

RESÜMEE

Der hoch wissenschaftliche Vergleich erbringt ein Endergebnis von 7:7 und muss durch Golden Goal entschieden werden.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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