Offenbar hatten sie sich beim TSV 1860 München das Klassement der zweiten Fußball-Bundesliga entgegen anders lautenden Angaben doch angeschaut. "Die Tabelle interessiert mich nur, wenn sie interessant ist", hatte der neue Übungsleiter Alexander Schmidt gesagt, was heißen sollte, dass sie derzeit uninteressant sei.
Das konnte man vor dem Gastspiel beim Aufsteiger VfR Aalen allerdings kaum behaupten, schließlich teilten sich die Löwen und die Aalener den fünften Platz mit jeweils 24 Punkten und 18:4 Toren. Das Zahlenwerk legte zudem nahe, dass 1860 ausgerechnet bei den konterstarken Aalenern auf Sieg spielen musste, um zumindest auf Sichtweite zu den begehrten Aufstiegsplätzen zu bleiben.
Und in der Tat: Die Löwen hatten auf die Tabelle geschaut, sie versuchten, auf Sieg zu spielen. Ein schönes Tor durch Bobby Wood, aber auch ein Konter der Aalener waren Folgeerscheinungen - so reichte es trotz deutlich mehr Ballbesitz nur zu einem 1:1-Unentschieden. Und ein Remis ist, welche Ironie des Schicksals, genau jenes Resultat, das man vielleicht angestrebt hätte, wenn man nicht auf die Tabelle geschaut hätte.
Schmidt hatte seine Mannschaft im Vergleich zum 1:0-Heimsieg gegen den SC Paderborn unverändert gelassen - in Wood und Stefan Wannenwetsch durften zwei Talente erneut von Beginn an mitwirken. Arne Feick verteidigte wieder auf links; Maximilan Nicu, der diese Position unter Schmidt auch schon gespielt hatte, hatte sich einen Muskelfaserriss zugezogen.
Die Löwen waren spielerisch besser und deutlich aktiver, kamen allerdings lange kaum zu Tormöglichkeiten. Ein verunglückter Distanzversuch von Daniel Bierofka (12.) und ein Schüsschen von Wannenwetsch (45.) waren lange die einzigen Szenen, die sie zu bieten hatten. "Wir hatten viele Ballkontakte, aber Chancen von uns waren einfach Mangelware", sagte auch Schmidt.
Es war die 62. Minute, als ihnen dann passierte, was es in Aalen zu vermeiden gilt. Nach einem Ballverlust nach eigenem Freistoß lief der blitzartige Konter, in Vier-gegen-zwei-Überzahl kam Aalens Stürmer Robert Lechleiter nach einer Flanke von Enrico Valentini zum Schuss und nahm in dieser Situation keine Rücksicht darauf, dass er 1860-Fan ist - er drosch den Ball unter die Querlatte. Die über 1000 anderen anwesenden 1860-Fans waren angemessen schockiert.
TSV 1860 München:Gefangen zwischen Tradition und Chaos
Zwischen Euphorie und Komödiantenstadl: Die Geschichte des TSV 1860 prägen schöne Erinnerungen, heftige Machtspiele und der dunkle Schatten des Nachbarn FC Bayern. Jetzt soll Benno Möhlmann den Klub vor dem Abstieg retten.
Doch dann kam Wood. In seinem zweiten Zweitligaspiel von Beginn an nahm er sich einfach mal ein Herz, als ihn trotz exzessiven Sololaufs kein Aalener behelligen mochte. Also drosch Wood den Ball aus 25 Metern mit dem rechten Fuß einfach mal in Richtung des Tores, vor dem sich VfR-Keeper Jasmin Fejzic in gebührender Distanz postiert hatte. Woods Schuss senkte sich über Fejzic hinweg ins Tor.
Der 20-jährige Amerikaner, geboren in Honolulu auf Hawaii, der bei Sechzig schon aus der Kaderliste der U21 gestrichen und von Schmidt im Sommer aus den USA zurückgeholt worden war, stand nun also plötzlich vor Fernsehkameras. "Ich bin sehr zufrieden", sprach Wood und lächelte breit, "und ja, ich bin zufrieden halt."
TSV 1860 München:Gefangen zwischen Tradition und Chaos
Zwischen Euphorie und Komödiantenstadl: Die Geschichte des TSV 1860 prägen schöne Erinnerungen, heftige Machtspiele und der dunkle Schatten des Nachbarn FC Bayern. Jetzt soll Benno Möhlmann den Klub vor dem Abstieg retten.
Weniger Zufriedenheit erzeugte an diesem Abend Woods Sturmkollege Benjamin Lauth. Weniger, weil kaum etwas von ihm zu sehen war - das kann einem Stürmer mal passieren. Sondern vor allem aufgrund einer Szene, die zwar der Schiedsrichter nicht gesehen hatte, aber die Kamera. Nach einer Standardsituation schlug er mit dem Ellbogen ins Gesicht seines Gegenspielers Marcel Reichwein. "Er hatte mich schon zwei Mal weggeblockt, das wollte ich nicht noch einmal zulassen", sagte Lauth.
"Das kann man geschickter machen, aber es war sicherlich keine Absicht." Und 1860-Sportdirektor Florian Hinterberger beteuerte: "Ich denke nicht, dass er das absichtlich gemacht hat. Ich kenne Benny, er ist ein fairer Spieler." Sollte der Schiedsrichter in seinem Bericht angeben, dass er die Szene nicht gesehen hat, wäre es am Deutschen Fußball-Bund, sich unter Betrachtung der Fernsehbilder einen Eindruck zu verschaffen, ob sie Lauths Version glaubwürdig finden. Falls nicht, droht Sechzig ein Nachspiel - dann könnte der Torjäger der Löwen vom Sportgericht auch nachträglich noch gesperrt werden.
Unterm Strich war es also schwer zu sagen, ob das Positive oder das Negative für die Sechziger überwog. Für Schmidt, den Trainer auf Probe, persönlich sicherlich das Positive: Erstens hatte in Wood einer seiner aus der U21 mitgebrachten Schützlinge getroffen. Zweitens blieb Schmidt im dritten Spiel ungeschlagen. Und drittens war Sven-Göran Eriksson nicht da. Der Schattentrainer, den Investor Hasan Ismaik so gerne beim Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München installieren möchte, sparte sich die Reise auf die Ostalb.