1. FC Nürnberg:Ende gut, gar nichts gut

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Das Schlimmste verhindert, mehr nicht: Nürnbergs Trainer Dieter Hecking (li.) freut sich mit Co-Trainer Cristian Fiel. (Foto: David Inderlied/dpa)

Mit einem 1:0 in Paderborn umgeht der 1. FC Nürnberg zwar die Relegation, dennoch hat er nun eine vollkommen missratene Saison hinter sich. Eindrücke von einem Verein, der vor großen Fragen steht.

Von Sebastian Leisgang

Es ist ein guter Tag, Olaf Rebbe hat beste Laune. Der Sportdirektor des 1. FC Nürnberg nippt an seinem Radler, dann stellt er den Tonkrug vor sich auf den Tisch, holt sein Handy aus der Hosentasche und zeigt einen Nachrichtenverlauf mit Mario Gomez. Er, Rebbe, kenne ihn ja noch aus der gemeinsamen Zeit beim VfL Wolfsburg. Vor ein paar Tagen habe er mal wieder mit ihm geschrieben, um ihn nach einem alten Trikot als Geschenk für den großen Gomez-Fan Christoph Daferner zu fragen.

Es ist der 23. Juli, der Club hat gerade das erste Frankenderby der Saison gewonnen, und Daferner, der neue Mittelstürmer, der aus Dresden gekommen ist, hat den Sieg mit dem ersten Tor auf den Weg gebracht. Jetzt sitzt Rebbe in einem Raum, der den Spielern, deren Familien und den Verantwortlichen vorbehalten ist. Am nächsten Tag steht ein Mini-Triathlon an, bei dem Rebbe gemeinsam mit Sportvorstand Dieter Hecking und Nachwuchsleiter Michael Wiesinger an den Start gehen wird, doch jetzt gilt es erstmal, das 2:0 gegen Fürth auszukosten.

Rebbe, 45, greift nochmal zu seinem Krug, dann spricht er über Daferner, der nicht nur ein Fan von Gomez sei, sondern auch eine ähnliche Spielanlage habe. Was der Sportdirektor an diesem Tag noch nicht wissen kann: Daferner wird in der gesamten Saison nur noch zwei Tore schießen und am Ende eines vollkommen missratenen Jahres eine von vielen Enttäuschungen sein.

Selbst der Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale kann die völlig missratene Saison nicht übertünchen

Dass Nürnberg am vergangenen Sonntag mit einem 1:0 in Paderborn zumindest die Relegation umgangen hat, übertüncht nicht, wie viel in dieser Saison schiefgegangen ist. Eine dürftige Vorbereitung, nach der die Mannschaft nicht fit genug war, ein Fehlgriff mit der Einstellung von Trainer Markus Weinzierl und eine ellenlange Liste an Verletzungen, die dem Club immer wieder zu schaffen machten: Es war ein ziemlich verkorkstes Jahr, das selbst den seit 2012 erstmaligen Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals in den Hintergrund rücken ließ und nun eine grundlegende Aufarbeitung erfordert.

"Jetzt keinen falschen Stolz zeigen Dieter - Rücktritt vor Entlassung, zum Wohle des Vereins!". Dieser Satz stand auf einem Spruchband, das die Nürnberger Fans am Sonntag in Paderborn entrollten. Und tatsächlich muss sich der Club auch diese Frage stellen: Kann es mit Hecking noch weitergehen? Oder ist er nicht zu angeschlagen, um nun bloß den Trainingsplatz zu verlassen, an den Schreibtisch in seinem Vorstandsbüro aber zurückzukehren?

Als er das nach dem letzten Saisonspiel selbst gefragt wurde, da entgegnete Hecking: "Wir werden jetzt in aller Ruhe analysieren und uns Gedanken machen, in welcher Form auch immer wir dann die nächste Saison planen." Er stelle sich der Kritik, "das war immer mein Wesen", betonte Hecking, führte aber auch Pluspunkte und mildernde Umstände für die Krise ins Feld. "Wir haben mittlerweile vieles auf den Weg gebracht", meinte der Sportvorstand, "dass es in dieser Saison nicht so gelaufen ist, dafür gibt es definitiv objektive Gründe."

Was Hecking bei aller Kritik tatsächlich für sich reklamieren kann, sind beispielsweise die Personalien Nathaniel Brown, 19, und Can Uzun, 17. Mitten im Abstiegskampf auf zwei Talente zu setzen, deren Zeit erst noch kommen wird, war durchaus verwegen, tat der Mannschaft aber ungemein gut und wies in eine Zukunft, die besser werden soll als die jüngere Vergangenheit.

Eine der großen Fragen in Nürnberg ist nun, ob es mit Dieter Hecking weitergehen kann

Hecking, 58, war schon vor drei Jahren als Sportvorstand in Nürnberg angetreten, um dem Verein erst wieder auf die Beine zu helfen - und ihn dann nach oben zu führen. Im Sommer 2020, als ein Ende der Corona-Pandemie längst noch nicht in Sicht war, fand Hecking bei seiner Ankunft am Valznerweiher einen Verein vor, der sich in einer Schockstarre befand. Gerade hatte sich der Club im Rückspiel der Relegation gegen den FC Ingolstadt durch ein Tor in der sechsten Minute der Nachspielzeit gerettet - jetzt sollte Hecking den FCN in beständigere und erfolgreichere Zeiten führen. Neun Monate später kam Rebbe nach Nürnberg und baute an Heckings Seite einen Kader, der in der darauffolgenden Saison eine gute Rolle spielte. Bis zum 31. Spieltag mischte die Mannschaft im Aufstiegsrennen mit, am Ende kam sie dann als Achter ins Ziel. Es sollte, wie man heute weiß, seit Heckings Rückkehr das Höchste der Gefühle sein.

Dass er nach der Saison, die auf Rang acht endete, das erste Drittel der Tabelle als Ziel ausrief, "das hätte ich mir schenken sollen", sagte Hecking am Sonntag, als dieses Jahr zum Vergessen hinter ihm lag. Die sportliche Misere, die ständige Unruhe, die Rückschläge und Widerstände, mit denen Nürnberg immer wieder aufs Neue fertigwerden musste, all das ist dem Club an die Substanz gegangen. Die vergangenen Monate haben gezehrt und eine Menge Kraft gekostet, jetzt steht der Verein vor großen Fragen.

Was wird aus Hecking? Welchen Anteil an der Krise hat der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Thomas Grethlein? Und soll es der bisherige Assistent Cristian Fiel sein, der Hecking als Trainer ablöst? Beim 1. FC Nürnberg geht es wieder mal ums große Ganze. Die positive Pokalsaison, der Radler trinkende Rebbe, Daferner als Derbyheld, all das ist im Frühsommer 2023 sehr weit weg - dabei hätte doch alles ganz anders kommen sollen.

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