1. FC Nürnberg:Selbst die Wutgesänge lassen sie über sich ergehen

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Sie zählen die Sekunden, bis sie in die Kabine dürfen: Nürnbergs Mannschaft beim Bußgang vor den eigenen Fans. (Foto: Daniel Marr/Sportfoto Zink/Imago)

Eine paralysierte Abwehr und Stürmer, die zu viele Chancen benötigen: Der 1. FC Nürnberg ist nach der desillusionierenden 0:3-Niederlage in Hannover wieder vollends zurück im Abstiegskampf.

Von Christoph Ruf

Beim 1. FC Nürnberg dürfte der vergangene Sonntag genauso wenig Freude ausgelöst haben wie der Samstag. Und das will nach dem deprimierenden 0:3 (0:1), das der Club da über sich ergehen lassen hatte, schon etwas heißen. Doch am Tag nach der deutlichen Pleite siegte dann auch noch das bis dato abgeschlagene Schlusslicht Sandhausen gegen Regensburg und sorgte damit für eine aus Nürnberger Sicht wenig erbauliche Tabellen-Konstellation: Vier Spieltage vor Schluss ist der FCN nicht nur vollends zurück im Abstiegskampf. Er muss nun auch gleich alle fünf Vereine, die in der Tabelle unter ihm rangieren, im Blick behalten. Denn sie alle können noch am Club vorbeiziehen.

Panik-Prophylaxe verspricht der Blick auf die kommenden Gegner nicht: Am letzten Spieltag kommt im SC Paderborn der Tabellenvierte, Rostock und Magdeburg brauchen jeden Punkt und haben gerade am Wochenende Favoriten bezwungen. Da wäre es eine gute Idee, am Sonntag gegen Kaiserslautern zu gewinnen. Nominell wäre allerdings Hannover 96 auch ein Team gewesen, gegen das man ohne jeden Größenwahn einen Dreier hätte anvisieren können - allerdings nicht so, wie die Mannschaft am Samstag agierte. 40 Minuten lang passabel, aber harmlos. Und 50 Minuten indiskutabel.

Die Krönung des demütigenden Abends wäre es wohl gewesen, wenn der vierte Hannoveraner Treffer, den der VAR kassierte, auch noch gegolten hätte. Denn auch er resultierte aus einem langen Ball in den Rücken einer paralysierten Abwehr. Es war die Doublette des ersten regulären Hannoveraner Tors, bei dem der komplette Abwehrblock erstaunt wirkte, dass da nach einem Freistoß doch tatsächlich einer von Hannovers Hünen angerauscht kam und das 1:0 per Kopf erzielte. Beim 2:0 griffen weder Linus Tempelmann noch Jannes Horn den Schützen an. Und es ging in den Sekunden nach dem Torjubel so emotionslos weiter. Elf Nürnberger Spieler warteten da quälend lang auf die Freigabe des Balles, ohne dass auch nur einer ein Wort gesprochen oder die Mitspieler zu etwas mehr Widerstandskraft animiert hätte. "Das hat schon etwas mit uns gemacht", sagte Trainer Dieter Hecking dazu. "Wir haben lange gebraucht, uns das aus den Klamotten zu schütteln."

Was ist nur mit dem tollen Fußballer Mats Möller Daehli los? Und wie viele Chancen braucht Felix Lohkemper noch, bis er trifft?

In Wahrheit wurde nichts geschüttelt, der Club ergab sich. In der insgesamt schwachen Partie zwischen den beiden Underperformern der Liga - hoher Etat, niedriger Tabellenplatz - hatte nur eine Mannschaft den Kopf oben. Und wieder mal hatte man nicht den Eindruck, dass das Problem im kollektiven Verhalten liegt. Wobei man zu gerne wüsste, was beispielsweise mit dem tollen Fußballer Mats Möller Daehli los ist, wie viele Chancen Felix Lohkemper noch braucht, bis er mal trifft. Oder warum Nürnberger Standards nie für Torgefahr sorgen. All diese Fragen sollte der Club in der Sommerpause sehr gründlich diskutieren.

Deutlich vorher sollten die fast 30 000 Zuschauer, die sich im Schnitt Nürnberger Heimspiele anschauen, wieder das Gefühl bekommen, dass sie eine Mannschaft anfeuern, die sich wehrt, wenn das Spiel gegen sie läuft. Die etwa 2000 Fans, die ihre Mannschaft in der zugigen Hannoveraner Arena 87 Minuten lang durchgehend angefeuert hatten, ließen nach dem Schlusspfiff ihre Enttäuschung heraus, nachdem die weißgekleideten Spieler vor die Kurve getrottet waren. Man hätte sich nun vieles vorstellen können. Entschuldigende Gesten. Oder auch Gegenwehr in Richtung Fans, weil ja keine Mannschaft absichtlich verliert. Doch abgesehen von Club-Urgestein Enrico Valentini, dem man die Enttäuschung deutlich anmerkte, ließen die Spieler die Wutgesänge über sich ergehen, ohne eine Miene zu verziehen, und zählten innerlich die Sekunden herunter, bis sie in die Kabine gehen konnten. Mit dem Zählen hatten sie allerdings deutlich vorher angefangen. Genauer gesagt in der 49. Spielminute. Da war das 0:2 gefallen.

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