1. FC Nürnberg:Das tapfere Schneiderlein

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In vielerlei Hinsicht ein Vorbild: der erst 19- jährige Nathaniel Brown (Mitte). (Foto: Daniel Marr/Sportfoto Zink/Imago)

Gegen Düsseldorf unterzieht Dieter Hecking seine Mannschaft einer Radikalkur - mit Erfolg. Doch nach dem 2:0 zeigt sich das Hochspannungsfeld, in dem sich der Club gerade bewegt.

Von Sebastian Leisgang

Das konnte er nicht mehr ernst nehmen. Was sollte das? Da hatte der 1. FC Nürnberg gerade Fortuna Düsseldorf bezwungen und durch ein 2:0 zum ersten Mal nach fünf Pflichtspielen wieder gewonnen - und dann diese Frage? Wollte der Reporter ernsthaft wissen, ob da nicht mehr herausspringen müsse, wenn eine Mannschaft 13 Ecken in einem Spiel habe?

Dieter Hecking schien entgeistert zu sein. Er überlegte kurz, was er auf eine solche Frage bloß antworten sollte, dann entschied er sich, keinen Hehl daraus zu machen, was er davon hielt, sich nach einem Sieg für Ecken rechtfertigen zu müssen. Hecking, 58, sagte: "Ich habe beim DFB schon beantragt: drei Ecken, ein Elfer - so wie ich es von früher kenne. Dann wird es mehr werden."

Es war der letzte Satz, den Hecking bei der Pressekonferenz am Samstagnachmittag sagte. Mehr, so sah es Nürnbergs Trainer, gab es in diesem Moment auch nicht zu sagen. Der Club hatte ja auf dem Feld Taten sprechen lassen, die Aufgabe gegen Düsseldorf gelöst und ein Zeichen im Abstiegskampf gesetzt. Warum sollte er da jetzt allen Ernstes über Ecken sprechen und den Reportern erklären, warum seine Mannschaft lediglich das erste Tor des Nachmittags nach einer Standardsituation geschossen hatte? Aus 13 Ecken hätten ja auch 13 Tore entstehen können. Würde jetzt also gleich noch die Frage aufkommen, ob es überhaupt den Nürnberger Ansprüchen genügt, das Spiel erst in der Nachspielzeit entschieden zu haben - schließlich ist Fortuna Düsseldorf in der Auswärtstabelle nur Achter und gerade dann ein dankbarer Gegner, wenn an einem windstillen Samstagnachmittag die Sonne scheint?

Ja, es war durchaus zu spüren, dieses Hochspannungsfeld, in dem sich der 1. FC Nürnberg im Frühjahr 2023 bewegt. Die Saison kann ja bestenfalls damit enden, dass sich der Club davor bewahrt, nächstes Jahr nur noch drittklassig zu sein - mehr wird nicht zu schaffen sein, obwohl die Verantwortlichen doch das erste Drittel der Tabelle als Ziel ausgerufen und sich selbst nach einer vollkommen verkorksten Vorrunde zu den Ambitionen bekannt hatten.

"Viele sagen: ,Mensch, das ist ein schmächtiges Kerlchen' - aber er verhält sich clever im Zweikampf", sagt Hecking über Brown

Dass es jetzt nur noch darum geht, den Totalschaden zu verhindern, hält die Reporter nicht davon ab, den Finger in die Wunde zu legen - und Hecking flüchtet sich in Galgenhumor, um es zu ertragen und nicht die Fassung zu verlieren. Als Nürnbergs Trainer am Samstagnachmittag gefragt wurde, warum er nach dem 1:2 in Kiel nicht weniger als sieben der zehn Feldspieler ausgetauscht und seine Mannschaft mit dieser Maßnahme einer Radikalkur unterzogen hatte, da konnte Hecking auch nicht anders, als in der Ironie Zuflucht zu suchen. "Ich wollte das tapfere Schneiderlein sein. Sieben auf einen Streich - ist gelungen", sagte Hecking und verzog keine Miene, bevor er seinen Spielern ein kollektives Lob aussprach: "Alle, die reingekommen sind, haben ihren Job gemacht."

Einer aber, und das wusste auch Hecking, hatte seinen Job besonders gut gemacht: Nathaniel Brown, 19, Schütze des 1:0 und in vielerlei Hinsicht ein Vorbild. Der Linksverteidiger hatte ja eine derart erstaunliche Courage in seinem Spiel, dass man sich durchaus fragen konnte, ob es nun eine gute oder vielleicht doch eher eine schlechte Nachricht für den Club ist, wenn ein Spieler, der erst zum sechsten Mal überhaupt für den FCN in der zweiten Bundesliga spielt, derart prägend ist. "Er hat heute ein richtig gutes Spiel gemacht - nicht nur, weil er ein Tor geschossen hat", sagte Hecking und sah Brown als Stellvertreter und Paradebeispiel eines Weges, den Nürnberg in Zukunft gehen will. "Nene setzt ein Ausrufezeichen für den Nachwuchs", meinte Hecking und lobte nicht nur die Unbekümmertheit, die Brown dem Nürnberger Spiel mit seinen Vorstößen auf der linken Seite zugeführt hatte: "Viele sagen: ,Mensch, das ist ein schmächtiges Kerlchen' - aber er verhält sich clever im Zweikampf."

Wie Brown seine Kernaufgaben als Verteidiger erfüllte und dann den Weg nach vorne antrat, ohne die Gefahren und Risiken zu scheuen, war imponierend. Als er hinterher dann über die 90 Minuten sprach, die gerade hinter ihm lagen, da sagte Brown einen Satz, in dem die Lösung der Nürnberger Probleme steckte, ohne dass er überhaupt über die Nürnberger Probleme sprach. Brown meinte: "Ich gehe einfach raus, genieße es und habe Spaß - das ist das Wichtigste." Rausgehen, es genießen und Spaß haben: Das hat der 1. FC Nürnberg in dieser Saison viel zu selten getan. Nun macht es zumindest Nathaniel Brown. Und das mitten im Abstiegskampf.

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