Die neueste Verpflichtung könnte angesichts ihres Alters ein wenig falsch verstanden werden, Sebastian Andersson wird nämlich am letzten Arbeitstag beim 1. FC Nürnberg, am 30. Juni, 33 Jahre alt. Der schwedische Bundesliga-Profi und Nationalspieler war zuletzt vereinslos, er kann, so die Hoffnung, eine ganz konkrete, singuläre Schwäche im Angriffsspiel der Nürnberger beseitigen: Er soll die langen Bälle "festmachen", wie es gerne heißt.
Jene hoch und weit geschlagenen Bälle also, die beim Club eigentlich vermieden werden sollen, weil er sich lieber übers Feld kombiniert - die aber manchmal eben doch nötig sind. In jedem Fall scheint die Mannschaft für den Wiederbeginn gegen Hansa Rostock (Samstag, 13 Uhr) etwas flexibler zu sein als noch vor Weihnachten.
In der Winter-Transferphase kommen Wechsel meist dann zustande, wenn sich Spieler wegen geringer Einsatzzeiten nach einem Tapetenwechsel sehnen und für die Vereine noch Ablösen möglich sind, die im Sommer nicht mehr fließen würden. Das Spezielle beim Club ist der Umstand, dass eher die Routiniers als die Jungspunde Tapetenwechsel brauchen. So hat Mats Moeller Daehli den Zweitligisten verlassen, für ihn kassieren die Franken noch 1,6 Millionen Euro Ablöse. Außerdem wurde Angreifer Christoph Daferner an Fortuna Düsseldorf verliehen.
1. FC Nürnberg:Applaus für den Abgewählten
Mit den Stimmen der Fanszene rückt der frühere Torwart Raphael Schäfer beim Club in den Aufsichtsrat, der langjährige Vorsitzende Thomas Grethlein scheidet aus.
Auch eines seiner Talente hat der Club verkauft, Nathaniel Brown wechselt zu Eintracht Frankfurt. Allerdings wird der flexibel einsetzbare Linksverteidiger die Saison in Nürnberg zu Ende spielen. Das zeigt, wo die Prioritäten nach wie vor liegen, trotz Andersson: bei der Jugend. Ein bisschen sind die beiden Routiniers ja auch von der jüngeren Generation verdrängt worden.
"Der 1. FC Nürnberg ist zurzeit eher ein Entwicklungsverein als ein Verein, der fertige Spieler einkaufen kann", sagt Sportdirektor Olaf Rebbe. "Damit müssen und können wir ganz gut leben, wenn wir es schaffen, gleichzeitig immer wieder junge Spieler zu entwickeln. Dazu brauchen wir auch kreative Transfers von extern." Pech hatte allerdings Marcel Wenig, 19: Am dritten Tag in Nürnberg zog sich die Frankfurt-Leihgabe im Testspiel gegen Brügge einen Kreuzbandriss zu. So muss Rebbe bis Ende Januar kreativ bleiben - offenbar wird aktuell eine Leihe des Bayern-Spielers Frans Krätzig verhandelt. Zu Moeller Daehlis Abschied ergänzt Rebbe noch: "Das ist eine besondere Personalie, da er viele besondere Momente hier gehabt hat, aber er hatte am Ende wenig Spielzeit. Da ist es nachvollziehbar, dass er den Weg zurück in die Heimat gemacht hat."
Bei Paok Saloniki bekam Rebbe 2020 die Hausaufgabe, so viel Transfererlös wie möglich zu erzielen - er kam auf 20 Millionen Euro
Der 45-jährige Rebbe arbeitet seit knapp drei Jahren in Nürnberg. Davor hatte er sich den Ruf erarbeitet, aufsehenerregende und auch lukrative Deals an Land zu ziehen. Bei Paok Saloniki bekam er 2020 die Hausaufgabe, so viel Transfererlös wie möglich zu erzielen - er kam auf 20 Millionen Euro. Und zuvor, bei Huddersfield Town, zeichnete er einen der drei Toptransfers der Vereinshistorie ab. Es ist übrigens kein Zufall, dass ihm Christopher Schindler von Huddersfield nach Nürnberg folgte. Aktuell meldet sich der Innenverteidiger nach Kreuzbandriss zurück.
Die aktuelle Transferphase zeigt, dass Rebbe beim von Finanzsorgen geplagten Verein das Maximum herausholt. "Michael Wiesinger und sein Team machen mit dem NLZ einen hervorragenden Job", sagt er über die Nachwuchsarbeit, also: über eine der wichtigsten Einnahmequellen. "Die Kultur, die vorgelebt wird, ist ein sehr wichtiger Baustein in unserem Club und gleichzeitig die Keimzelle für eine Wertschöpfung."
In diesem Sinne ist eben auch Einsatzzeit eine Art der Wertschöpfung. "Wir entwickeln auf der einen Seite junge Talente, die große Begehrlichkeiten auf dem Markt wecken, und helfen ihnen, ihre Karriere voranzutreiben. Auf der anderen Seite müssen wir als Club einfach klug handeln bei Transfers", sagt Rebbe. Um konkurrenzfähig zu sein und "wirtschaftlich auf gesunden Beinen zu stehen", müsse man "noch zulegen", findet Rebbe, aber "es ist bisher eine tolle Entwicklung, mit der wir noch lange nicht am Ende angelangt sind". Auch die Zusammenarbeit mit Dieter Hecking laufe "hervorragend". Der Sportvorstand hatte Rebbe nach Nürnberg geholt, man kannte sich aus gemeinsamen Zeiten in Wolfsburg. "Klaus Allofs war mein Mentor und Förderer, ich durfte viel von ihm lernen", sagt Rebbe. Mit ihm wechselte er einst von Bremen zum VfL.
"Es wird die Aufgabe in der Rückrunde sein, mehr Konstanz auf den Platz zu bekommen."
Der erste Name beim Club, der einem im Zusammenhang mit Wertschöpfung in den Sinn kommt, ist Toptorschütze Can Uzun, 18. In der aktuellen Transferphase dürfte ihn der Club noch halten können, aber kaum sehr viel länger. Das ist auch bei Rebbe schon herauszuhören: "Can ist ein herausragender Fußballer", es gehe für ihn "jetzt darum, sich Woche für Woche auf den Fußball zu konzentrieren. Dann entwickeln sich viele Dinge schneller, als man denkt." Generell gelte für alle jungen Spieler, ergo auch für den aktuellen Tabellenplatz zehn: "Klar, sie haben Schwankungen in den Leistungen. Es wird die Aufgabe in der Rückrunde sein, mehr Konstanz auf den Platz zu bekommen." Vielleicht ja auch mithilfe von Routiniers wie Andersson.
Mittelfristig ist es wichtiger, dass weitere Jugendspieler nachkommen - und sich, solange das Rampenlicht auf Uzun scheint, noch ein wenig im Verborgenen weiterentwickeln können. Spieler wie der 20-jährige Jens Castrop im zentralen Mittelfeld genießen intern sehr hohes Ansehen. Der junge Angreifer Julian Kania, der ohne NLZ-Ausbildung nach Nürnberg kam, durchlaufe die Entwicklung gerade in "Siebenmeilenstiefeln", sagt Rebbe; der U17-Weltmeister Finn Jeltsch wird nicht mehr lange auf einen Startelf-Einsatz warten müssen. Und um noch Namen zu nennen, die bislang nicht so oft gehört wurden: Auch über die beiden Torhüter Jan Reichert, 22, und Nicolas Ortegel, 20, ist Rebbe voll des Lobes. "Die klopfen alle an. Und zwar ganz schön laut." Mit anderen Worten: Olaf Rebbe wird auch in den kommenden Transferphasen viel zu tun bekommen.