Trainingsgelände des 1. FC Köln:Umzug auf den Planeten Marsdorf

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Eine weltbewegende Frage für Fans des 1. FC Köln: Wo werden die Geißböcke demnächst beheimatet sein - in der Nähe des Decksteiner Weihers oder weiter, sehr viel weiter Richtung Norden, passenderweise in Marsdorf? (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

"Immer authentisch, zum Anfühlen, Riechen, Berühren": Das Kölner Geißbockheim ist für Angestellte und Fans des Effzeh mehr als nur eine Trainingsstätte. Doch jetzt steht seine Zukunft in Frage - zur Verwunderung der Alteingesessenen.

Von Philipp Selldorf, Köln

Der Ort, an dem Wolfgang Overath mit der Allmacht eines römischen Kaisers das Sagen hatte, ist jetzt eine Baustelle. Die Überreste seines Herrschaftsgebietes wurden rausgerissen, zusammengerollt und abgeräumt. Zwar handelt es sich lediglich um vergilbte Hölzer und einen alten Kunstrasen, doch archäologischen Wert haben die Abfälle allemal, denn Overath hat auf diesem Grund und Boden jahrzehntelang immer donnerstagsabends um sieben seine Fußballrunde dirigiert. Im vergangenen September hat der 1. FC Köln die Mannschaft seines Weltmeisters und Ex-Präsidenten vor die Tür setzen müssen, und Overath, der demnächst 80. Geburtstag feiert, ist mit seinen Kameraden ein paar Kilometer weitergezogen auf einen Bolzplatz in der Gemeinde Hürth.

Der zu seinem eigenen Glück unheilbar fußballbesessene Overath war beim Donnerstagskick im Geißbockheim nicht nur der Chef, der immer recht hatte, sondern auch der Mann, der die Teams zusammenstellte und die Regeln sowie die Nachspielzeit interpretierte - natürlich jeweils zu seinen Gunsten. "Wir spielten meistens so lang, bis wir gewonnen hatten", erzählt Stephan Engels, ständiges Mitglied der Tafelrunde und Overaths führender Adjutant: "Böse Zungen behaupten, dass manchmal bis elf Uhr nachts das Licht gebrannt hat."

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Die große Frage ist nun allerdings, wie lang die Lichter im Geißbockheim künftig noch brennen werden. Der Verbleib des 1. FC Köln im legendären Klubhaus steht in Frage, der Verein braucht für seine Ansprüche mehr Raum, als die Immobilie und die Liegenschaft zu bieten haben. Die Alt-Internationalen Overath und Engels samt ihrer Truppe sind die Ersten, die dem Expansionsdrang des Vereins haben weichen müssen, in ihrer Halle schafft der FC gerade Platz für ein zeitgemäßes Athletik- und Fitnessstudio. Im Ensemble mit dem Bau zweier neuer Fußballfelder am südlichen Rand des Geländes investiert man mehr als drei Millionen Euro - und richtet dennoch nur eine weitere Improvisation ein, um vorübergehend das Leben in beengten Verhältnissen zu erleichtern.

Mittel- bis langfristig führt der Weg des 1. FC Köln laut örtlichen Zeitungsberichten an einen Ort am westlichen Stadtrand. Dieser Ort heißt Marsdorf und nicht umsonst wie ein ferner Planet. Dort bietet die Stadt dem Klub ein Gelände an, auf dem Männer-, Frauen- und Jugendteams unter zeitgemäß professionellen Bedingungen genügend Platz finden. Am alten Standort wird es ohne Ausbauten in der nächsten Umgebung, dem geschützten Landschaftspark Grüngürtel, auf Dauer zu eng werden. Einer Ausbreitung vor der Haustür steht unter anderem die politische Stimmung im Rathaus entgegen. Der möglichen Kompromisslösung, einer räumlichen Trennung etwa zwischen Jugend- und Profiabteilung, hat die Klubführung eine Absage erteilt. Das habe man "rauf- und runterdiskutiert", heißt es. Ergebnis: Nein. Für die Jugendlichen sei der Sichtkontakt mit den Profis "signifikant wichtig, um ihr Ziel vor Augen zu haben".

Das Vereinszuhause samt An- und Ausbauten im Grünen ist nicht nur Lebensmittelpunkt des FC

Funktionäre des Vereins bestätigen somit die Tendenz zum Auszug und setzen ein angemessen bedauerndes Seufzen hinzu, denn so viel sei selbstverständlich allen klar: "Im Geißbockheim spiegelt sich die Seele des FC."

Improvisationen haben in Köln allerdings Aussicht auf ewiges Leben. Zum Beispiel wurde 1996 auf einem Platz neben dem Hauptbahnhof eine Halle erstellt, die aussieht wie ein großes Campingzelt, städtebaulich nahezu unverzeihlich. Aber es sollte ja auch bloß für ein paar Monate als "temporäre Spielstätte" fungieren. Ein echt kölscher Witz: 27 Jahre später heißt das Gebilde "Musical Dome" und verunstaltet immer noch das linksrheinische Panorama in der Nachbarschaft des Doms.

Stephan Engels fällt zu diesem Kölner Thema eine andere Geschichte ein. Als er 1978 mit seinem Vater aus dem rechtsrheinischen Ort Mondorf zum Geißbockheim fuhr, um mit FC-Manager Karl-Heinz Thielen den ersten Profivertrag zu schließen, stand er am nahen Militärring im Auto stundenlang hinter einer Bahnschranke. Kein Problem, sagte Thielen anschließend zu Engels senior und junior, "irgendwann haben wir hier eine Unterführung", und dann sei der Weg eine Viertelstunde kürzer. "Aber", fügte Thielen an, "das hat mir der Franz Kremer auch schon gesagt, als ich aus Rodenkirchen kam."

Thielen war 1959 aus dem Stadtteil Rodenkirchen im Süden zum FC gekommen, und Franz Kremer war damals der Präsident, der den 1. FC Köln nach dem zweiten Weltkrieg gegründet und in eine Fußball-Moderne geführt hatte, hinter der nicht nur die deutsche Fußballkonkurrenz weit zurücklag. Fußballoffizielle aus dem In- und Ausland reisten nach Köln, um das 1953 eingeweihte Klubhaus, das Geißbockheim, zu besichtigen. Es stand im Rang der Avantgarde. Aus Overaths Erinnerungen an die frühen Bundesliga-Jahre: "Die anderen haben sich immer noch in der Garage umgezogen, da hatten wir schon das Geißbockheim."

Das Vereinszuhause samt An- und Ausbauten im Grünen ist nicht nur Lebensmittelpunkt des FC, es ist auch ein spiritueller Ort. Dort begegnet man hinter jedem dicken Baum dem Geist Konrad Adenauers (die er als Kölner OB vor hundert Jahren hatte pflanzen lassen) und seiner rheinischen Nachkriegsrepublik, und man spürt die bürgerliche Herkunft und Historie des FC und das Vermächtnis des prinzipienfesten Ahnherrn Franz Kremer, Namensgeber des benachbarten Stadions, in dem das Regionalliga-Team und die Frauen in der ersten Liga spielen. Letztere, darüber sind sich alle einig, brauchen dringend eine bessere Unterkunft als bisher.

Die eigentliche Besonderheit des Grundstücks besteht in seiner himmlischen Lage. Millionen und Abermillionen Menschen haben ihre Spazierwege, Ausflüge, Hundeausführungen, Rendezvous und Kleinkindbetreuungen hierher gelenkt, um beim Training zuzugucken oder einfach nur dem FC nahe zu sein. Es ist ein Kölner Pilgerziel, weltlicher Drang nach Zerstreuung mischt sich mit höheren Motiven. Stephan Engels, zwölf Jahre Profi des FC und später lange Zeit Trainer, schildert den Ort als beinahe sakrale Stätte: "Das war immer authentisch, zum Anfühlen, Riechen, Berühren, eine Atmosphäre, die ich immer genossen habe."

Anders als die meisten Kollegen in der Liga stört es FC-Chefcoach Steffen Baumgart nicht, wenn er vor dem Geißbockheim trainiert und die Leute ihm bei der Arbeit zusehen. Die frühmodernen Verhältnisse im Klubhaus hat er hingegen von Anfang an bekämpft, beim Umbau der Kabinen im Vorjahr hat er selbst mitgearbeitet. Aber ob der Trainer noch da sein wird, wenn es mal zum großen Wurf in Marsdorf kommt? Blickt man auf das übliche Tempo der Realisierung von Bauprojekten in Köln, ist ihm wohl eher zu wünschen, dass er noch zu Lebzeiten als Ehrengast der Einweihung beiwohnen darf.

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