1. FC Köln:Die Angst vor dem Verlieren lähmt Köln

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Mann, gibt's doch gar nicht! Kölns Julian Chabot ist frustriert nach einer vergebenen Torchance gegen Darmstadt. (Foto: Marius Becker/dpa)

Nach dem 0:2 gegen den Tabellenletzten Darmstadt taumelt der 1. FC Köln der zweiten Liga entgegen. Neben der Mannschaft richtet sich der Zorn der Anhänger vor allem gegen Sportchef Christian Keller.

Von Philipp Selldorf

Lächelnd erschien Timo Schultz am Samstagnachmittag zum Dienst. "Ein bisschen Vorfreude" im Team und in der Stadt hatte sich der Trainer des 1. FC Köln vor der Begegnung mit Darmstadt 98 gewünscht und war dabei beispielhaft vorangegangen. Wer Schultz im Laufe der Woche bei der Arbeit erlebte, hatte keinen Mann vor sich, der in Angst und Schrecken auf ein entscheidendes Spiel im Abstiegskampf blickte.

Doch die eigene relative Ungezwungenheit konnte der Trainer nicht auf sein Team übertragen: Selten in dieser Saison trat die Kölner Elf so befangen und gehemmt auf wie am Samstag beim 0:2 gegen Darmstadt 98 - ein "überschaubar guter Gegner", wie der Kölner Sportchef Christian Keller anschließend feststellte.

Die Niederlage - durch Oscar Vilhelmssons Tor in der 90. Minute besiegelt, aber mangels Kölner Chancen längst absehbar - ließ das Kölner Publikum im wie üblich ausverkauften Müngersdorfer Stadion an der eigenen Loyalität zweifeln. Die einen verschwanden lange vor dem Abpfiff, die anderen blieben, um sich zu beschweren. In der Südkurve stellte der harte Kern der Fans Wut und Zorn zur Schau, die Spieler ließen sich darauf ein und empfingen Standpauken einiger Wortführer, die über den Zaun geklettert waren und sich als Vertreter des verprellten Volkes inszenierten. Die Fußballer hätten berechtigte Gründe gehabt, die Teilnahme an diesem Strafgerichtsritual zu verweigern, das in der Liga allerorten um sich greift. Aber letztlich war es dann auch egal. "Es ist nicht so, als wären wir superzufrieden in die Kurve gegangen - auch für uns war es ein absoluter Scheißnachmittag", sagte sarkastisch der FC-Profi Timo Hübers.

Keller weiß, dass er sich der Debatte nicht entziehen kann: "Ich bin hauptverantwortlich", sagt der Sportchef

Nicht erst seit der bitteren Erfahrung vom Samstagnachmittag werden beim 1. FC Köln die Namen der Akteure aufgelistet, die nach einem Abstieg für Konkurrenzfähigkeit in der zweiten Liga sorgen können. Abwehrspieler Hübers, 27, gehört dazu. Der Sportchef Keller, 47, möglicherweise nicht. Dass Teile des Publikums am Samstag "Keller raus" riefen, war zunächst ein Reflex aus Enttäuschung, doch die Rufe könnten Wirkung zeigen. Keller hat seinen Teil zu der Situation beigetragen, er weiß, dass er sich der Debatte nicht entziehen kann: "Ich bin hauptverantwortlich", sagte er, dass sich der Ärger der Zuschauer gegen ihn richte, sei verständlich. Was Keller angelastet wird: Seine Rolle im Prozess um die Transfersperre der Fifa und sein Handeln in dieser Lage. Die Einkaufspolitik im Sommer verfehlte das Ziel auf zwei Ebenen: Weder schaffte es der Sportchef, den Verlust der Schlüsselspieler Jonas Hector und Ellyes Skhiri annähernd auszugleichen, noch begegnete er präventiv der drohenden Transfersperre.

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Der 1. FC Köln ziehen mit gefesselten Händen in den Abstiegskampf, denn der Klub darf nach einem Fifa-Urteil zwei Transferperioden lang keine neuen Spieler holen. Offenbar hatte die Kölner Führung die juristische Lage völlig falsch eingeschätzt.

Von Philipp Selldorf

Dennoch gab es bis Samstagnachmittag Gründe, auf ein gutes Ende zu hoffen. Die Kölner hatten im Duell mit dem Tabellenletzten die Gelegenheit, den ersten Schritt in ein spannungsvolles Finish um den Klassenverbleib zu machen, doch die Beine der Spieler waren schwer wie selten zuvor in dieser unseligen Saison. Der Erfolgszwang lastete zu schwer. "Der Kopf hat eine Riesenrolle gespielt. Ich hätte erhofft und erwartet, dass wir deutlich überzeugter spielen. Aber die Angst vorm Verlieren war zu groß", fasste Keller das Geschehen zusammen. Die ohnehin sturmschwachen Kölner waren noch harmloser als zuvor- 23 Treffer in 30 Spielen geben Auskunft über die generell unzulängliche Offensivkraft des Teams. Daran konnte nach der Ablösung von Trainer Steffen Baumgart auch Timo Schultz nichts ändern, aber es darf bezweifelt werden, dass Heldentrainer wie Pep Guardiola oder Jürgen Klopp diesem Team zu mehr Angriffspower verholfen hätten als er. Dass Davie Selke mit sechs Treffern der beste Kölner Schütze ist, lässt tief blicken - zumal da er meistens, wie auch jetzt wieder, verletzt fehlt.

Letzte Chance: nächsten Sonntag in Mainz

Am kommenden Sonntag fahren die Kölner nach Mainz zum Tabellennachbarn nach Rheinhessen, dort haben sie die Chance, sich für eine Verlängerung im Abstiegskampf zu qualifizieren. Aber im Hintergrund wird nun unvermeidlich ein bedrohliches Abstiegsszenario gemalt werden. Den Einnahmeverlust durch geringere TV-Honorare, Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen beziffert der Klub auf mindestens 40 Millionen Euro. Der Verkauf der besten Spieler - Torwart Marvin Schwäbe, Abwehrchef Jeff Chabot - wird dadurch trotz der auch im Sommer geltenden Transfersperre wahrscheinlich. Mit aktuell verliehenen Spielern könnten die Kölner den Zweitliga-Kader auffüllen, das gehört zum eher gelungenen Teil von Kellers Planungen.

Die Frage ist, ob der Klubvorstand ihn in der Verantwortung belässt, bevor sich womöglich der Volkszorn gegen ihn selbst wendet. "Vorstand-raus"-Rufe waren am Samstag ebenfalls zu hören. Präsident Werner Wolf und seine Stellvertreter haben bisher auf Keller vertraut und sich weitgehend passiv verhalten zu wesentlichen Themen. Selbst in der Auseinandersetzung mit Olimpia Ljubljana, die zur Transfersperre und deren Aufrechterhaltung im Berufungsverfahren führte, lehnte es Wolf ab, aktiv einzugreifen und eine Verständigung mit dem Präsidenten der Gegenseite herzustellen. Dafür sei die Geschäftsführung da, sagte er. Man habe die Sache juristisch im Griff. Statt rechtzeitig Entspannungspolitik mit Ljubljana zu betreiben, beließ es Wolf bei der entspannten Politik, die er auch sonst walten lässt: ob beim Ausbau des Klubanwesens oder im sportlichen Geschehen.

Das Resultat ist bekannt, am Samstag wurde es ein weiteres Mal bestätigt, und so schickt sich nun der nächste Traditionsklub an, dem Familientreffen in der zweiten Liga beizutreten. Nicht nur für die betroffenen Kölner ist das eine schlechte Nachricht - auch die Bundesliga verliert wieder eine Attraktion.

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