Gestrandet im Paradies:"Wir wären lieber zu Hause"

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Bis vor Kurzem war noch Urlaub: Dieser Junge sitzt wie viele Ukrainer mit seiner Familie in einem Resort in Hurghada am Roten Meer in Ägypten fest. (Foto: Mohamed Abd El Ghany/Reuters)

Im Stundentakt telefoniert Ivanka P. in die Heimat, die Flugverbindungen zurück in die Ukraine sind gekappt. Jetzt sitzen viele Ukrainer in ihren Urlaubsorten von Sansibar bis in die Karibik fest. Doch die Hilfsbereitschaft ist groß.

Von Andrea Tapper, Sansibar

Die Lagune von Nungwi zählt zum Schönsten, das Sansibar zu bieten hat. Am feinen weißen Sandstrand von Kendwa Rocks kann man in einen badewannenwarmen Indischen Ozean eintauchen. Der März ist hier der heißeste Monat und das Meer eine willkommene Abkühlung. Einige der Gäste, die im Moment hier sind, wären trotzdem lieber woanders. Sie würden gerne in ihre Heimat zurückkehren, doch dort herrscht Krieg. "Sansibar mag paradiesisch sein, aber zu Hause ist zu Hause", sagt Ivanka P., eine Sekretärin aus Kiew. Momentan telefoniert sie im Stundentakt über das Wlan ihres Hotels mit Angehörigen.

Die russische Invasion der Ukraine wirft ihre Schatten bis Afrika. Auf der Ferieninsel Sansibar saßen Anfang März rund 900 Touristen aus der Ukraine fest. Nachdem die Flugverbindung in ihre Heimat eingestellt worden war, konnten sie nicht mehr zurückfliegen. Wobei sie Glück im Unglück hatten, auf Sansibar gestrandet zu sein. Die Regierung der teilautonomen Insel, die zu Tansania gehört, sagte umgehend Hilfe für die Urlauber zu. "Es entspricht nicht unserer Kultur, Leute einfach vor die Tür zu setzen", erklärt eine Sprecherin des Tourismusministeriums. Ministerin Lela Mohamed Mussa sagte: "Die Urlauber machen sich schon genug Sorgen. Sie sollen zumindest für den Moment hier ihren Seelenfrieden haben."

Sansibar hat Traumstrände. Aber die Menschen, die hier festsitzen und in Sorge sind um ihre Angehörigen daheim, können sie nicht genießen. (Foto: Matej Kastelic/PantherMedia/imago images)

Afrika hilft Europa - ein Novum in einer veränderten Welt. Nach Angaben des Senders Deutsche Welle sind rund 150 000 Touristen aus der Ukraine und aus Russland weltweit gestrandet. Allein in der Dominikanischen Republik konnten demnach rund 15 000 Russen und 3000 Ukrainer nicht direkt heimreisen. In Ägypten saßen zu Beginn des Krieges nach offiziellen Angaben rund 20 000 Ukrainer an beliebten Stränden fest; die Zahl russischer Urlauber dort wurde nicht benannt. Überall wird nach wie vor an Lösungen gearbeitet, den Touristen eine Ausreise zu ermöglichen. Auf Sansibar waren vor Kriegsausbruch kaum noch Gäste aus Russland. "Der russische Markt war bereits nicht mehr existent", sagt Sabine Emmerich, eine deutsche Reiseveranstalterin auf Sansibar. "Stattdessen kommen Deutsche, Italiener und Franzosen in großen Zahlen zurück." Vor einem Jahr, im ersten Winter der Corona-Epidemie, waren mit Sonderflügen mehr als hunderttausend Russen und Ukrainer nach Sansibar gekommen und hatten dort für volle Häuser gesorgt.

Sansibar zeigte sich den Gestrandeten gegenüber von Anfang an hilfsbereit. Bereits Ende Februar nahm die tansanische Regierung Kontakt auf zu Hotels, in denen Ukrainer festsaßen - und sagte der Branche Unterstützung zu. Unter anderem sollen Steuern erlassen werden. Die Hotels versprachen im Gegenzug, die Ukrainer kostenfrei weiter zu beherbergen und zu verköstigen. Derzeit arbeite man daran, Flüge nach Polen zu organisieren, heißt es aus Regierungskreisen. Die Kosten für die Rückreise seien bei Pauschalreisen in den meisten Fällen durch die Veranstalter gedeckt. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) soll mit eingebunden werden.

Anya Guarana aus Kiew kam an Sansibars Nordküste bei Nungwi mit einer Yoga-Frauengruppe - und konnte dann nicht mehr weg. Ihr Fall ist typisch: "Unser zweiwöchiger Urlaub wäre am 25. Februar zu Ende gewesen", berichtet die Ukrainerin, "einen Tag nach Beginn des Krieges, mit dem wir bis zuletzt nicht gerechnet hatten." Sie sei "dankbar für Kost und Logis", die das Hotel weiter übernehme, sagt sie. Und "berührt von Einheimischen, die uns am Strand Kokosnüsse und Bananen umsonst überlassen. Aber natürlich machen wir uns größte Sorgen um unsere Angehörigen zu Hause".

Auch auf Bali sind Ukrainer hängen geblieben, so wie dieses Paar, das in Denpasar mit den ukrainischen Nationalflaggen auf die Lage in seiner Heimat aufmerksam macht. (Foto: Dicky Bisinglasi/Zuma Wire/imago images)

Das Mitgefühl mit den Ukrainern ist groß. Allerdings fühlten sich viele Tansanier auch vor den Kopf gestoßen durch Berichte, wonach Afrikaner, die in der Ukraine studiert hatten, nur unter großen Mühen das Land verlassen konnten. Hunderte Videoclips machten die Runde. Ein Student etwa berichtete, dass er drei Tage an der Grenze zu Polen bei Minusgraden im Freien schlafen musste - und das nicht etwa, weil er von den polnischen Behörden nicht ins Land gelassen wurde. Sondern, weil er von Ukrainern immer wieder ans Ende der Schlange geschickt worden sei. Der tansanische Botschafter in Moskau forderte die Ukraine am neunten Kriegstag auf, für die sichere Ausreise von Studenten zu sorgen; er sei "wütend" über deren Behandlung.

Rund ein Fünftel der 75 000 internationalen Studenten in der Ukraine stammt aus Afrika; die ersten vier Tansanier sind inzwischen über Serbien sicher in ihre Heimat zurückgekehrt. Der Aufruf eines afroamerikanischen US-Bloggers, "Gleiches mit Gleichem zu vergelten" und "weiße Touristen aus der Ukraine vor die Tür zu setzen", wurde in Tansania in den sozialen Medien viel geteilt, hatte aber keine Folgen. Solcher Radikalrhetorik wollte sich in Afrika keiner anschließen.

Zwischen Afrika und Russland gibt es bis heute enge Verbindungen. Tansania, das 1964 aus der Vereinigung von Tanganjika und Sansibar entstand, galt bis zum Mauerfall als eines der Zentren des Kalten Krieges in Afrika. Sansibar hatte als erstes Land Afrikas die DDR als Staat anerkannt. Russland liefert Waffen - von Panzern bis zu Flugzeugen - in viele Länder Afrikas. Mit Kritik an Russland hält man sich hier weitgehend zurück. Als einziges Land in Ostafrika hat Kenia die russische Invasion der Ukraine verurteilt. Bei der Abstimmung über die Resolution der UN-Vollversammlung enthielt sich Tansania der Stimme - so wie auch 16 andere afrikanische Staaten.

Umso mehr mag man es Sansibar anrechnen, dass es gestrandeten ukrainischen Touristen vorurteilsfrei unter die Arme greift. "Aus rein humanitären Gründen", wurde in Regierungskreisen betont, wo man bekräftigte: "Wir würden für russische Touristen dasselbe tun."

Allerdings wollen immer mehr betroffene Urlauber auf der Tropeninsel nicht länger auf öffentliche Hilfe warten. Etwa die Hälfte der ukrainischen Gestrandeten sei inzwischen auf eigene Initiative ausgereist, sagten Vertreter der Reisebranche. "Unsere ukrainischen Gäste sind etwa nach Slowenien, Deutschland oder Polen ausgeflogen", berichtete eine ukrainische Hotelmanagerin, die seit sechs Jahren auf Sansibar lebt. "Viele der Männer wollten sich zu Hause der Armee anschließen." Die Situation sei "äußerst schmerzhaft", auch für sie selbst, sagt sie mit erstickter Stimme und möchte sich nur ungern weiter dazu äußern. In ihrem Spa auf Sansibar bietet sie jetzt "kleine Fluchten": 20 Minuten Kokosöl-Massagen. Eine große Flucht aus den Belastungen, die der Krieg mit sich bringt, das weiß auch sie, wird es für die gestrandeten Urlauber so schnell nicht geben.

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