Japan:Urlaub von den Touristen

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Touristenfrei: Ein Hirsch überquert einen Zebrastreifen in Nara. (Foto: Jae C. Hong/dpa)

In der japanischen Stadt Nara sind wilde Hirsche eine Attraktion. In der Corona-Krise bleiben die Besucher weg - zum Glück.

Von Thomas Hahn, Tokio

Yasuhiko Noda ärgert sich über das Gerücht, die Sikahirsche von Nara würden wegen der Pandemie Hunger leiden. Der Präfektur-Beamte aus Naras Parkverwaltung musste schon mehrere Medienberichte hinnehmen, nach denen die Hirsche nicht mehr genügend Reiskekse hätten, weil durch die Einreisesperre kaum noch ausländische Touristen kommen. Die Zeitung Sankei illustrierte ihren Beitrag mit dem Bild eines abgemagerten Hirsches. Unmöglich, findet Noda: "Die Botschaft ist falsch." Die Corona-Krise schade den Hirschen nicht. Im Gegenteil. "Man kann sagen, die Pandemie ist wie Urlaub für sie." Das hätte der Mensch wohl gerne, dass den Tieren etwas fehlt, wenn er nicht da ist.

In der Pandemie kann man sehen, wie es wirklich ist. Wissenschaftler nutzen die Chance in verwaisten Tourismus-Gebieten auf der ganzen Welt. Sie erforschen Fischzüge in den Spaßtaucher-Zonen vor den Galapagos-Inseln oder beobachten Vögel in der Stille, die jetzt in amerikanischen Nationalparks herrscht. Die Ergebnisse dürften den Menschen nicht schmeicheln. Die Eindrücke aus Nara deuten schon darauf hin.

Selbstabholer: Nara-Hirsche stehen vor einem Geschäft, das speziell für sie gefertigte Cracker an Touristen verkauft. (Foto: kyodo/dpa)

Die 1300 Hirsche im Nara-Park sind mehr als nur die Vorlage für das örtliche Wappentier. Nach dem Shinto-Glauben ritt einst die Gottheit Takemikazuchi-no-mikoto auf einem weißen Hirsch von Kashima nach Nara. Seit Jahrhunderten gelten die Hirsche deshalb als heilig. Ohne Scheu bevölkern sie die Wiesen, grasen auf Mittelstreifen, flanieren Richtung Bahnhof. Schon im 17. Jahrhundert entstand eine Art Hirsch-Tourismus. Und bis zur Pandemie waren Naras Hirsche eine Hauptattraktion für die Gäste des stark wachsenden japanischen Fremdenverkehrs. 3,3 Millionen ausländische Besucher zählte die Stadt Nara im vergangenen Jahr; 2012 waren es noch 267 000.

Wie die Hirsche den Ansturm fanden, weiß keiner. Aber sie mögen Shika Senbei, besagte Kekse aus Mehl und Reiskleie, welche die Stiftung zum Schutz der Nara-Hirsche nach traditionellem Rezept backen und zum Verfüttern verkaufen lässt. "Das ist ein Snack", sagt Yasuhiko Noda. Eigentlich fressen die Hirsche Pflanzen und Nüsse. Aber je mehr Touristen da waren, desto mehr Reiskekse gab es für die Hirsche. Und wie das so ist mit Snacks: Zu viel davon ist ungesund. Die Tiere bekamen Durchfall.

Im Juni 2019 sah es in Nara noch ganz anders aus - nicht zum Wohle der Tiere: So wurde ein Hirschkadaver mit mehr als drei Kilo Plastik im Magen aufgefunden. Auch in weniger schweren Fällen machten zu viele Snacks der Verdauung zu schaffen. (Foto: Carl Court/Getty Images)

Ohne Auslandstouristen sind ihre Ausscheidungen normal. Außerdem sagt Noda: "Sie haben wieder mehr Zeit zum Verdauen." Fremde kennen die Hirsche nicht, necken sie oder kommen Jungtieren zu nahe. Noda zeigt die vor-pandemische Hirschunfall-Statistik. Die Zahl der Fälle, bei denen Japaner Bisse oder Tritte kassierten, war stabil. Die Zahl der Fälle mit Ausländern stieg an.

In Not sind die Hirsche jedenfalls nicht. Noda sagt, es gebe manchmal Beschwerden, weil Hirsche ein Blumenbeet abgrasen oder Gemüsefelder plündern. "Aber das war vor der Pandemie schon so." Yumi Ito, Angestellte in einem Café beim Bahnhof, kann bezeugen, dass regelmäßig Hirsche kommen und auch beim Sushi-Laden nebenan vorbeischauen. Aber nicht häufiger als sonst. "Es kommen nur weniger Menschen." Und im Park sind keine abgemagerten Tiere zu sehen. Lust auf Reiskekse haben Naras Hirsche allerdings schon. Wenn man welche hat, werden sie sehr aufdringlich.

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