Foodmetropole Bangkok :Drei Sterne am Straßeneck

Bangkok Streetfood Thailand Food Garküchen

Gutes Essen auf dem Gehweg: Bangkok

(Foto: Lisheng Chang/Unsplash)

Streetfood in Bangkok ist legendär, denn es ist gut, sogar sehr gut. Warum? Die Antwort liegt auf der Straße. Eine Liebeserklärung.

Von Friedemann Karig

Wer in Bangkok den Kanal Klong Banglamphu entlangschlendert, kommt keine zehn Meter weit, bis ein herrlicher Duft den Spaziergang unterbricht. Er quillt aus drei Garküchen, die in eine Seitengasse gequetscht sind. Es ist acht Uhr morgens und die Hitze noch erträglich, aber die Köchinnen sind bereits mittendrin, bitten die Vorbeigehenden energisch auf einen der Plastikstühle. Wer deutsche Großstädte gewohnt ist, wo die Bürgersteige außerhalb der Stoßzeiten nicht nur hochgeklappt, sondern aus kulinarischer Sicht auch gekärchert und versiegelt werden, spürt Wehmut, wenn er morgens um acht, aber auch nachts um vier oder nachmittags um drei an einer Straßenecke dampfende frische Suppen bekommt.

Der Thai hingegen empfindet es als normal, rund um die Uhr gut zu essen. Zur Begrüßung fragt er nicht "Wie geht's?", sondern wörtlich: "Hast du schon gegessen?". Doch längst ist das legendäre Essen außerhalb fester Restaurants, das der Stadt eine Empfehlung von CNN als Ort mit dem besten Streetfood weltweit brachte, nicht mehr der einzige Grund, in Bangkok zu essen. Die Fine-Dining-Szene mit Starköchen wie Gaggan Anand oder "Bo" Songvisava zieht Foodies aus der ganzen Welt an. Europäische Spitzenköche pilgern in Thailands Hauptstadt, um sich inspirieren zu lassen. Und im kulinarischen Mittelbau findet man ein "Best of Asia", mit koreanischen, vietnamesischen, indischen Restaurants. Viele sehen Bangkok, was das Essen betrifft, deshalb als derzeit spannendste Stadt der Welt.

Kann das stimmen? Die Antwort, so viel ist sicher, findet man zuerst auf der Straße. Wie in den meisten asiatischen Ländern gilt: Wenn du dem Koch nicht beim Kochen zuschauen kannst, hat er etwas zu verbergen. Das beste Essen bekommt man an den Bürgersteigen, in Höfen und Seitenstraßen. Bangkok ist eine Stadt wie eine einzige große offene Küche, plus Speisekammer. Egal ob auf einem der riesigen Märkte, in Chinatown oder nördlich der Khao San Road, rund um den Kanal, auf dem noch kleine Passagierboote die Einheimischen von Ost nach West bringen: Man kann tagelang herumlaufen und immer wieder spontan irgendwo irgendwas essen - enttäuscht wird man nie. Man muss manchmal nur den misstrauische Blick der Köchin überwinden, ob der Gast es auch ernst meint mit der Schärfe - "nicht dass Ihr Kopf explodiert"!

Schon drei Brocken Thai helfen da weiter, "ja, mai phet, ein bisschen scharf, ist schon okay." Aber hat man sie einmal überzeugt, fischen die gastfreundlichen Thai die besten Tofu-Stücke aus dem Topf. Die Klassiker gibt es überall: Pad Thai, scharfer Papaya-Salat, allerlei Gegrilltes, Tofu in Soja und Algen und natürlich die besten Nudelsuppen der Welt. Vorsicht nur vor Innereien am Spieß, die extrem intensiv schmecken können. Unbedingt zu beachten sind auch die Süßigkeiten, in Thai-Lokalen hierzulande oft enttäuschend, in Bangkok Highlights: Ein Pfannkuchen mag erst trocken wirken, mit süßsaurer Soße wird er zur Geschmacksexplosion. Oder man besorgt sich am nächsten Stand gefüllte Bananenblätter mit Klebreis und Mango, von einem streng gescheitelten Mann in Hemd und Stoffhose. Essen kann hier auch ein Beamtenjob sein, jeden Morgen von Punkt acht Uhr an.

Etwas weiter lässt sich eine Köchin in Print-Shirt und silbernen Puschen einen Cappuccino mit Milchschaum und Kakaopulver von nebenan bringen, so viel Westen muss sein. Plötzlich springen ihre Kolleginnen auf, als ein orange gewandeter Mönch mit einem großen Topf Essen sammeln kommt. Sie knien vor ihm und tragen ihm ihre Gaben an. So sitzt man in der Stadtluft wie in einer warmen Badewanne, hört die Standfrauen schwätzen und will nie mehr weg. Kein TripAdvisor, kein Reiseführer ist nötig, nur die eigenen Sinne und oft nur ein Euro für ein Hauptgericht.

Stellt sich nur noch die Frage: Warum ist das Essen hier so unverschämt gut?

Foodmetropole Bangkok : Verkäuferin vor ihrer Garküche am Straßenrand in Bangkok.

Verkäuferin vor ihrer Garküche am Straßenrand in Bangkok.

(Foto: Lonely Planet Images/Imago)

Weil gute Thai-Küche vor allem heißt: selber machen. Soßen und Pasten werden nach Hausrezept angerührt, und noch der kleinste Stand an der Straße hat seine eigenen Rezepturen. Dazu kommen unendlich viele Kräuter, Wurzeln und Gewürze aus dem ganzen asiatischen Raum: Koriander, Sternanis, Kreuzkümmel, Kurkuma, Pandanusblätter, Tamarinde, Thai-Basilikum, Zitronengras, Kaffirlimettenblätter und -schale, diverse Chilis und Currypulver und mehrere Ingwer-Sorten. Waren, die in Bangkok als Handelsstadt immer schon umgeschlagen und bald in die eigene Küche integriert wurden.

Globale Genüsse, schon vor Jahrhunderten

Dem muslimischen Einfluss aus dem Süden des Landes und Indonesien verdankt Bangkok Gerichte wie die Sop Buntut, eine höllisch scharfe Ochsenschwanzsuppe, legendär beliebt bei Nachtschwärmern, weil sie schneller nüchtern macht als eine Kochsalzinfusion. Dazu als Ausgleich empfiehlt sich Cha Nom Yen, ein zimtiger Eistee mit Kondensmilch, so kann man die Schärfe sogar genießen.

Die Einflüsse reichen jedoch viel weiter: So findet man am Ostufer des Chao Phraya das portugiesische Viertel Kudichin. Hier ließen sich im 18. Jahrhundert portugiesische Seeleute nieder und brachten die Süßigkeiten in Thailands Küche ein. Heute findet man dort mit Zitronengras versetzte Cremetörtchen (Pastel de Natas), würzigen Milchkaffee (Galao) und die Erkenntnis, dass Bangkok schon vor Jahrhunderten eine globalisierte Stadt avant la lettre war.

Mit Streetfood lässt sich Geld verdienen, viel Geld

Bangkoks Märkte sind wegen der vielen frischen Lebensmittel wahre Erlebnisparks. Hier hängen ganze Tiere von den Ständen, funkeln Gewürze in allen Farben, gibt es mehr Arten Nüsse und Früchte, als man sich je merken könnte. Frische ist Ehrensache: Die Kokosmilch wird direkt aus Früchten gewonnen, Hühner werden mit der Schubkarre vom Metzger um die Ecke rangeschafft. Vor den Toren Bangkoks wachsen die Rohstoffe: Die Region um die Universitätsstadt Nakhon Pathom gilt als Garten des Landes. Das Meer, Flüsse und Seen bringen frische Fische aller Art, wenn auch keiner wissen will, wie schadstoffbelastet sie sind. Nur langsam kommt auch hier der Bio-Gedanke an, erste Märkte machen Herkunft und Anbau transparent.

Aber am wichtigsten ist doch das Geld: Mit Streetfood kann man in Thailand reich werden. Im Vergleich zu Lehrern oder anderen Dienstleistern verdient man mit einem Imbiss an der Straße mitunter sehr gut, zumindest solange der Tourismus boomt. So spiegelt die Entwicklung an den Streetfood-Brennpunkten die touristische Erschließung des Kontinents im Kleinen wider. Wo letztes Jahr noch Bauarbeiter saßen und man bekam, was es eben gab, prangen nun Bilder mit englischen Namen an Garküchen. Und es werden immer mehr.

Die Sühring-Brüder aus Berlin führen eins der erfolgreichsten Gourmetlokale der Stadt

So wild wuchert diese hyperlokale Esskultur, dass die Regierung seit 2017 immer wieder laut darüber nachdenkt, die Garküchen von den Bürgersteigen zu verdrängen, in Teilen Bangkoks hat sie auch damit angefangen. Vor allem die Ausländer und Tourismusarbeiter wollen die Stände aber behalten, während viele Thais angeblich für mehr Struktur sind. "Viele Garküchen sind schmutzig und gefährlich", erklärt Pokpong, ein Student, beim Essen an einem Streetfoodstand. "Ich will nicht dauernd auf der Straße laufen müssen wegen Geschäftemachern, die Bürgersteige besetzen." Viele Stände haben weder eine Lizenz, noch zahlen sie Steuern, weshalb sie so gut und günstig anbieten können. Aber die Thai haben längst verstanden, dass ihr Streetfood ein Touristenmagnet ist. "Auf keinen Fall soll das hier ein zweites Singapur werden", sagt Pokbong.

Noch hat die Straße als bestes Restaurant der Stadt einen Weltruf zu verlieren. Auch den ersten Michelin-Stern für eine Straßenköchin gab es bereits, für Jay Fai (deutsch: "Schwester Warze"), die mit Skibrille auf dem Kopf ein legendäres Krabben-Omelett zubereitet. Und bei "Chefs Table" auf Netflix machen derweil Bangkoks Helden des Fine Dining von sich reden.

Um Thai-Küche endlich authentisch auf Sterneniveau zu heben, eröffneten Duangporn "Bo" Songvisava und ihr australischer Partner Dylan "Lan" Jones das "Bo.Lan"" - und holten 2017 ebenfalls einen der ersten Michelinsterne nach Bangkok. Der Name ist zusammengesetzt aus ihren Spitznamen und zugleich ein Wortspiel: "Boran" heißt alt oder auch traditionell. "Welcome to Bo.Lan!", ruft die Küchencrew hier zur Begrüßung, damit hat man sich an die Gepflogenheiten der hippen internationalen Spitzenküche angepasst. Im Restaurant schaffen unbehandeltes Holz und gedämpftes Licht eine modern asiatische Atmosphäre, es gibt lokales Craft Beer als Aperitif. Chefin Bo ist in Bangkok ein Star, über ihre neue Frisur wird schon mal in den Klatschspalten geschrieben. "Ich will zeigen, welche Vielfalt und Qualität unsere Küche bietet, nicht nur Currys und Suppen", sagt sie.

Exterior of Bo.lan restaurant.

Strahlende Anziehungskraft: Das stadtbekannte Bo.lan Restaurant.

(Foto: Lonely Planet Images/Getty Image)

Die Rechnung geht auf, das Menü (mit Weinbegleitung knapp 200 Euro) ist für hiesige Verhältnisse alles andere als günstig, führt aber konsequent durch die gesamte Thai-Küche. Alles kommt zusammen auf den Tisch - zum Teilen: Tum Yum Pla (sauerscharfe Fischsuppe), Bananenblütensalat mit Garnelen und Minze, Rotes Curry mit Angus Beef, gebratene Fischpfannkuchen mit einer Soße aus Kokosnuss und fermentiertem schwarzen Klebreis, Entensalat mit Mandarinen, dazu biologisch angebauter Jasminreis. Alles schmeckt ausbalanciert fantastisch, nur der passende Wein ist, wie so oft in Asien, eine Herausforderung. Die Weißweine aus Steiermark und Pfalz halten den Gewürzen kaum stand. Immerhin kann man drei verschiedene Schärfestufen (leicht, scharf, Thai) auswählen, was aber schon wieder eines der Zugeständnisse an die Touristen ist, die Bo anfangs ausgeschlossen hatte.

Leichter hat es der unbestrittene Star unter den Köchen der Stadt, der Inder Gaggan Anand. Seine Mission, die indische Küche auf Gourmetniveau zu führen, machte ihn berühmt. Er ist ein Beispiel dafür, dass Asiens spannendste Köche sich in Bangkok ansiedeln - eines mit großer Strahlkraft. So sitzt man neben Neuseeländern, Brasilianern, Amerikanern an einem langen Tresen vor der offenen Küche und versucht, nicht zu viel zu erwarten. Drei Mal wurde das "Gaggan" zum besten Restaurant Asiens gewählt, seine Chef's-Table-Folge auf Netflix ist vielleicht die bekannteste überhaupt. Und nach den drei Stunden, die sich anfühlen wie ein rasanter Städtetrip, ist klar: Wer Essen mag, muss zu Gaggan, der hier Kulinarik als Performance versucht.

Gaggan Restaurant in Bangkok

Das Gaggan Restaurant in Bangkok mit Chef Gaggan Anand in Action.

(Foto: Brent Lewin/Redux/laif)

"Ich wollte immer Rockstar werden", sagt er. Folgerichtig werden die Köche zu Musik von David Bowie und Queen vorgestellt wie Bandmitglieder, dann fliegen die Gänge auf den Tisch, nur mit Emojis auf einem Blatt Papier angekündigt. Was soll man darüber schreiben? Dass man nach zweieinhalb Stunden und 25 Gängen high auf der Straße steht und alle Abendpläne über den Haufen wirft, weil nichts mehr kommen kann danach? Dass nie ein Lamm so zart, so exakt dunkel-kräftig gekocht war? Dass das eine Curry das beste aller Zeiten war? Dass eine im Mund platzende Joghurtblase, die der Koch servierte, gleichzeitig himmlisch schmeckte und so muffig, wie die Kanäle von Bangkok riechen? Dass die Luft geglitzert hat beim Dessert - und dass selbst das in keiner Weise albern war?

Viele junge Thai kommen nach einer Ausbildung im Ausland zurück

2020 will Anand Bangkok verlassen und in Japan Sushi machen. Der Stadt und ihrem Ruf als kulinarischer Hotspot Südostasiens wird das nicht schaden, im Gegenteil, sie bleibt in Bewegung. Die Berliner Sühring-Brüder mit ihrer klassisch deutschen Zwei-Sterne-Küche sind ein Beispiel für die Fähigkeit der thailändischen Küche, fremde Einflüsse zu integrieren und zu etwas Eigenem zu machen, das ist ihre wahre Stärke. Schon sprießen überall neue Konzepte. Viele junge Thai kommen nach einer Ausbildung im Ausland zurück und versuchen, das Bo.Lan zu übertreffen.

Nach dem Essen sollte man übrigens unbedingt ausgehen, die Barszene der Stadt kann mit dem Essen fast mithalten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hier schmeckt’s

Wang Lang Market (Taling Chan, neben dem Siriraj Krankenhaus): Heiß, eng, Essen überall - der Wang Lang Markt auf der westlichen Flussseite ist eine der besten Adressen für Streetfood.

Halal Food Court im Talat Yot Markt (172 Tani, Khwaeng Talat Yot): Nahe der Touristenmeile Khao San Road, versteckt in einem Hof gelegen, findet man authentische muslimische Thai Küche. Zur Not den Tipps der Bedienungen folgen.

Bo.Lan (24 Sukhumvit 53 Alley): Hipper Gourmethotspot, um Thai-Küche in Perfektion zu erleben. Sicher eines der schönsten Restaurants der Stadt.

Gaggan (68/1 Soi Langsuan Ploenchit Road Lumpini): Der indische Koch ist der unangefochtene Superstar der Stadt.

DDM House Restaurant (1 Chao Fa Road): Ein Beispiel für die enorme Qualität gerade auch der ausländischen Küchen: Sehr gutes koreanisches (!) Essen für sehr wenig Geld, im unscheinbaren Restaurant eines mediokren Hostels.

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Bangkok Restaurant Jay Fai

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Das "Jay Fai" in Bangkok ist das Straßenkind in der Feinschmeckerfamilie. Seit einem halben Jahrhundert kocht in der Garküche allein die 72-jährige Chefin ihr prämiertes Streetfood.

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