St. Martin im Passeiertal:Und dann kam der DFB

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Zum dritten Mal bereitet sich die deutsche Nationalmannschaft in Südtirol auf die Weltmeisterschaft vor. Dieses Jahr trainiert sie im beschaulichen Dorf St. Martin im Passeiertal. (Foto: UwHoGe - Fotolia)

Vor der Fußball-WM trainiert die deutsche Nationalmannschaft in Südtirol. Dort, im Passeiertal, ist es das Ereignis des Jahres. Experten rechnen mit einem Werbeeffekt in Millionenhöhe. Aber nicht alle freuen sich.

Von Helmut Luther

Wenn man Florian Fontana barfuß ("der Arzt hat es empfohlen, gegen die Rückenschmerzen") durch sein Heimatdorf Sankt Martin spazieren sieht, in kurzer, speckiger Lederhose und blauem Fan-T-Shirt des AC Mailand, könnte man den 54-Jährigen leicht für einen Sonderling halten. Doch Fontana ist im Gegenteil ein Dorfkönig, dem in Sankt Martin sowie dem Nachbardorf Sankt Leonhard vier Gastbetriebe gehören. Man merkt es an der Art, wie er alle paar Meter von einem Bekannten begrüßt wird, am Schulterklopfen, den Witzeleien. Fontana ist gelernter Pizzabäcker und Bierbrauer, ehemaliger Passeirer Meister im Ranggeln, dem traditionellen Ringkampf, Mittelfeldspieler des ASC St. Martin, und nun trainiert er auch noch die Nachwuchsfußballer im Dorf.

Ganz im Gegensatz zu diesen lässt es ihn eher kalt, dass in ein paar Tagen die Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft keine 500 Meter von seinem Wohnhaus entfernt über den Rasen rennen werden. "Mein Herz hat immer schon für die Azzurri geschlagen", sagt er. Klar habe der Trubel um die deutsche Nationalelf, die von 21. bis 31. Mai im Fünf-Sterne-Hotel Andreus in St. Martin ihr Trainingslager absolviert, auch einen für ihn angenehmen Nebeneffekt. Das in seinem Hotel gebraute Martinsbräu wird unter Fan-Touristen und Journalisten guten Absatz finden. Aber sonst? "Hauptsache, Italien wird Weltmeister!"

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Geschätzter Werbeeffekt des Camps: 11,2 Millionen Euro

Im Passeiertal, das sich 50 Kilometer nördlich von Meran bis zu den Dreitausendern der Ötztaler Alpen hinaufzieht, sehen das naturgemäß die meisten der 7000 Bewohner etwas anders. "Alles in deutscher Hand", titelte das Lokalblatt Psairer Heftl in seiner Aprilausgabe und spielte damit auf das Trainingslager der deutschen Nationalelf an. In dem Tal, aus dem der Tiroler Volksheld Andreas Hofer stammt, wo viele Bewohner im Alltag Trachtenjanker oder Dirndl tragen und zu Hause meist deutsches Fernsehen läuft, erwartet man Schweinsteiger und Co mit großen Sympathien. Weinäcker und Obstwiesen, Almen und Hochgebirge - mit seiner Vielfalt an Klimazonen und Vegetationsformen ist das Passeiertal schon lange ein beliebtes Ziel deutscher Urlauber. Dementsprechend wird das Trainingslager zu einem Großereignis stilisiert, nicht nur für die Passeirer, sondern für ganz Südtirol. Bereits zum dritten Mal gastieren die deutschen Profifußballer zur WM-Vorbereitung in der nördlichsten Provinz Italiens. Zweimal waren sie bereits in Eppan zu Gast. 1990, beim ersten Trainingscamp, wurden die Deutschen Weltmeister. 2010, beim zweiten Besuch, errechneten Wirtschaftsexperten einen Werbeeffekt von 11,2 Millionen Euro.

Südtirol hat es in den vergangenen Jahren verstanden, sich als Urlaubsland für ein aktives, junges und genussfreudiges Publikum zu präsentieren. Das Passeiertal, so hört man hier, sei einigen deutschen Fußballspielern sowie Managern des DFB von privaten Urlauben bekannt gewesen. Die guten Erfahrungen von 2010 sowie die idealen Bedingungen - der Fußballplatz liegt in unmittelbarer Nähe des Hotels, einen kleinen Spaziergang über den Golfplatz entfernt -, hätten bei der Entscheidung den Ausschlag gegeben. "Nachdem wir noch versprochen haben, den Rasen auszutauschen - Kostenpunkt: 50 000 Euro -, sind wir uns rasch einig geworden", sagt Christian Staffler, Chef des Tourismusvereins Passeier.

Etwas länger brauchte Helga Fink, bis ihr ein Licht aufging. "Ich dachte, das seien Vertreter eines Reiseveranstalters, die einen guten Preis aushandeln wollen", erzählt die Chefin des Fünf-Sterne-Hotels Andreus über ihre erste Begegnung mit den Vertretern des DFB. "Als sie verlangten, das Hotel elf Tage exklusiv zu nutzen, dachte ich: Geht's noch!?" Erst auf die Nachfrage, ob ihr der Begriff DFB etwas sage, hätte sie ihren Mann Richard gerufen, "der versteht etwas von Fußball". Es hat sich ausgezahlt. Helga Fink bezeichnet das Verhandlungsergebnis nun als "Lotto-Hauptgewinn". Seit Wochen pilgerten Scharen deutscher Urlauber am Hotel vorbei. "Die werden daheim für uns Werbung machen." Die Hotelchefin schwärmt jetzt auch von den Titelchancen der deutschen Fußballer, an der Hoteleinfahrt wehen bereits die Fahnen mit dem DFB-Emblem.

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Einheimisches Essen, am besten bio

Auf ausdrücklichen Wunsch des DFB sollen die Fußballer einheimische Produkte essen, wenn möglich natürlich bio. Da kommt Walter Moosmair ins Spiel. Er ist Vizeobmann der Passeirer Bio-Bergkäserei. Der Hof des 36-Jährigen liegt an einem Steilhang, an dem sich eine immer schmaler werdende Straße zum Timmelsjoch emporwindet. Moosmair ist stolz auf die Solaranlage auf seinem Dach. "Strom kostet uns wenig", sagt Moosmair und klopft mit der Hand auf die Kachelofenimitation im Verkostungsraum, in deren Innerem eine Elektrospirale glüht. Um "die Geschichte hinter den Lebensmitteln zu erzählen", wie er sagt, stellt er den Gästen des Andreus einmal wöchentlich die Produkte der Bio-Bergkäserei vor. Während des Trainingslagers muss die Präsentation allerdings ausfallen. Er könne es verschmerzen, sagt der redegewandte Jungbauer, Fußball sei ohnehin nicht sein Ding. "In der Schule haben wir Völkerball gespielt, und hier ist die Gegend zu steil zum Kicken."

Wenig fußballgeeignet dürften auch die Wiesen rund um die Ortschaft Pill sein. Anfang Mai ist es hier, auf 1300 Meter Meereshöhe kurz vor dem Talschluss, noch ziemlich kühl. Die buckeligen Hänge auf der gegenüberliegenden Talseite sind nach dem Neuschnee der vergangenen Tage weiß gepudert. Vom vergangenen Winter, der so viel Schnee brachte wie seit Jahrzehnten nicht, hat der Bauer Johann Schweigl allerdings genug. Sein Haus wäre beinahe von einer riesigen Lawine verschüttet worden, erzählt der Landwirt in Gummistiefeln und mit abgewetztem Filzhut.

"Das Video, das die sich heranwälzenden Schneemassen zeigt, die vor meinem Hauseingang zum Stillstand kamen, ist inzwischen auf Youtube mehr als vier Millionen Mal angeklickt worden", erzählt Johann Schweigl - es klingt ein bisschen stolz. Die Lawine gibt es immer noch: Als ein von Schutt und Holztrümmern bedeckter, schmutzig-weißer Lindwurm windet sie sich hinter Schweigls Haus über eine Wiese hinab, flankiert von zaghaft sprießendem Grün.

Üppig zeigt sich die Natur hingegen bereits im viel tiefer gelegenen Sankt Martin, wo sich an diesem Abend Flor Fontanas Freunde im Keller des Martinerhofes treffen. Nach dem dritten Glas "Weltmeister-Bock" erzählt der Wirt, wie ihn als Italienfan die Trikolore 1982 fast ins Gefängnis gebracht hätte: Nach dem Titelgewinn der Italiener hätten einige seiner Freunde einem Carabiniere die Fahne entrissen, weil dieser damit ihrer Meinung nach allzu fröhlich herumtanzte. "Ich wollte sie nicht im Stich lassen, so kam ich, obwohl mich der Sieg der Italiener wahnsinnig freute, mit den Fahnendieben auf die Carabinieri-Station", erzählt Fontana. Er wird in den kommenden Wochen unbeirrt auf einen Sieg der Azzurri hoffen. Ob sich daraus wieder Komplikationen ergeben, wer weiß.

Das Passiertal in Südtirol erstreckt sich 50 Kilometer nördlich von Meran bis zu den Dreitausendern der Ötztaler Alpen. (Foto: SZ Grafik)
© SZ vom 15.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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