Sommerurlaub in Europa:Wir sind zurück

Endlich ist wieder Urlaub möglich. Doch wie fühlt er sich an? Ein Streifzug von Italien bis Schweden.

Griechenland

Umarmung in Argostoli

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(Foto: Christian Mayer)

Die Griechen sind sehr gastfreundliche, auch geschäftstüchtige Menschen, sie wissen, was sie an den Touristen haben, aber dieser Empfang ist selbst für sie ungewöhnlich: Auf dem kleinen Flughafen von Kefalonia warten Ende Mai eine sechsköpfige Musikkapelle und zwei Frauen in Tracht, um jeden einzelnen Besucher mit einem kleinen Ständchen und lokalen Spezialitäten zu begrüßen. Zur Einstimmung bekommt der Gast gebrannte Mandeln im roten Zuckerguss gereicht, die man schnell wegknabbern kann, wenn einem der freundliche Chef der Mietwagenfirma den Wagenschlüssel überreicht, mit den besten Empfehlungen. Ja, der Urlaub geht schon mal richtig gut los: Wann hat man jemals ein solches Begrüßungskomitee erlebt? Fast hat man das Gefühl, Teil einer postpandemischen Herzlichkeitswelle zu sein - die ersten Gäste auf der Insel im Ionischen Meer werden regelrecht umgarnt und charmiert. In den Lokalen der Hauptstadt Argostoli, an spektakulären Stränden wie Myrtos Beach und in kleinen Orten wie Assos im Norden: Überall ist man anfangs nahezu allein beziehungsweise unter Einheimischen. Das liegt vor allem daran, dass die Briten, bei denen Kefalonia als Reiseziel im Mittelmeer ganz weit oben steht, zu diesem Zeitpunkt wegen der hohen Inzidenzwerte bei sich zu Hause nicht ausreisen dürfen. "Ich finde die Ruhe gar nicht so schlecht. Das ist doch eine Riesenchance, zur Besinnung zu kommen", sagt Sandra, die deutsche Mitarbeiterin im kleinen Supermarkt in Lassi. "In den vergangenen Jahren war das hier oft verrückt, vor allem dann, wenn die Kreuzfahrtschiffe ankamen und die Massen alles überrannten." Kefalonia liegt südlich von Korfu auf der viel befahrenen Reiseroute im östlichen Mittelmeer, und dass diese Art des Reisens mit möglichst vielen Destinationen in kurzer Zeit seit der Pandemie zeitweise komplett zum Stillstand gekommen ist, trifft natürlich den gesamten Tourismus an der Adria schwer. Für die Individualreisenden ist es dagegen die pure Erholung. Zumal die griechische Großzügigkeit, die Nachsicht mit den Mitmenschen, auch mit Gästen aus dem Ausland, sehr wohltuend ist. Klar, es gibt Regeln, aber sie sind nicht in Stein gemeißelt. Als die befreundeten Reisegefährten eines Morgens bei der Beobachtung der Meeresschildkröten draußen am Hafen von Argostoli von der Polizei gestoppt und wegen eines Verstoßes gegen das Maskengebot mit einer Geldstrafe von 300 Euro pro Person belegt werden, reicht ein Anruf der Vermieterin des Ferienapartments beim Polizeipräsidenten. Die Freunde kommen mit einer freundlichen Ermahnung davon, die Strafe wird ganz offiziell wieder kassiert. Was abends im Seafood-Restaurant "Vinaries" in der Bucht von Argostoli kräftig gefeiert wird, mit frischem Fisch, Weißwein, selbstgemachtem Orangenkuchen und Schnaps aufs Haus - die Gastronomen hier sind wahre Meister darin, den Gästen schon beim zweiten Besuch das Gefühl zu geben, alte Freunde zu sein. In der zweiten Ferienwoche nimmt das Leben auf der Insel an Fahrt auf, die Bewohner haben einiges aufzuholen. Noch nie hat man so viele Menschen gesehen und gehört, die hinter Bretterverschlägen sägen, hämmern, schleifen und Bäume beschneiden, die ihre Insel herrichten für die Hochsaison, die Stühle auf ihre Terrassen stellen und Speisekarten erneuern. Kefalonia, das schon einmal im Jahr 1953 bei einem furchtbaren Erdbeben fast komplett zerstört und relativ rasch wieder aufgebaut wurde, erhält tagsüber den letzten Schliff, der Fleiß seiner Bewohner ist legendär. Abends kriegt man als Besucher nur eine leise Ahnung vom Sommer, es kann nämlich noch Anfang Juni ganz schön kühl sein; als Schwimmer muss man sich ein wenig überwinden, um dann im 17 Grad kalten, kristallklaren Meer belohnt zu werden. Und einmal ist es tatsächlich menschenleer und atemberaubend schön, in luftiger Höhe auf 1600 Metern: im Nationalpark rund um den Berg Enos, wo man zwischen seltenen Schwarztannen wandern kann und eine fantastische Aussicht auch auf die Nachbarinsel Ithaka hat. Kein Mensch hat sich hierher verirrt, um auf den entlegenen Wanderpfaden die Berglandschaft zu erkunden, man bewegt sich in splendid isolation - oder täuscht der Eindruck? Am Ende des Weges steht dann doch ein roter Kombi auf dem Parkplatz. Mit Landsberger Kennzeichen. War ja nicht anders zu erwarten. Christian Mayer

Italien

Zitronen im Gepäck

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(Foto: Mareen Linnartz)

Zu den eigenen Prägungen gehört, dass der Brenner schon immer die magische Grenze gewesen ist, nach der das andere, nicht alltägliche Leben begann. Die Leitplanken an den Autobahnen waren plötzlich braun, ein Umstand, den man als handyloses Kind auf der Rückbank sofort bemerkte, die Pasta im Autogrill schmeckte wenig später super und irgendwie nach Süden, im Radio dudelte beschwingte Musik, und auch die Erwachsenen auf der Vorderbank wirkten mit einem Mal anders als sonst, leichter, ja eben auch: beschwingter. Danach musste man nur noch an Trient und dem Lieblingsausfahrtnamen "Affi" vorbei, und dann war's schon nicht mehr sehr weit zum großen Sehnsuchtsort, dem Meer. Nach Monaten eines allzu alltäglichen pandemischen Lebens ist deswegen völlig klar, wohin die Reise geht: natürlich nach Italien. In den Cinque Terre, an diesem zerklüfteten wie lieblichen Küstenabschnitt Liguriens mit seinen so spektakulär an diese Landschaft angepassten fünf Dörfern, sind wir zuletzt vor mehr als 20 Jahren gewesen, danach nie wieder: Zu scheußlich klangen die Berichte von dort. Wanderwege, so überfüllt wie Fußgängerzonen zur Vorweihnachtszeit, Buchten, auf die kein Handtuch mehr passt, Touristen vor allem aus Übersee, die vor kleinen Fischerbooten posieren und sich Tand als landestypisches Souvenir verkaufen lassen. Aber die sind ja jetzt eher nicht da. Weswegen sie da ist, eine der wenigen wirklich guten Chancen, die sich durch Covid bieten: Endlich muss man an den schönsten Flecken nicht durchdrehen, weil sie einfach zu viele sehen wollen, sondern kann in Ruhe hin. "Normalerweise", sagt Tomaso, als wir endlich ankommen in seinem Agriturismo oberhalb des ersten Cinque-Terre-Dorfes Monterosso, "bin ich ja um diese Jahreszeit schon ausgebucht - und zwar für nächstes Jahr." So aber gibt es noch Platz in einem seiner vier Apartments, wir lassen uns in einen Liegestuhl fallen, linker Hand ein Zitronenbaum, rechter Hand das Bellen von Blues, dem Haushund, und vor uns, im satten Blau, nur von ein paar weißen Segelboottupfern und einem etwas größeren Kreuzfahrtschifftupfer (ja, sie sind wieder da) besprenkelt: das Meer. Nie erschien es einem schöner, verheißungsvoller, großartiger als jetzt. Doch. Nach Monaten der Einschränkung ist es ein erhebenderes Gefühl als sonst zu sehen, dass es nach dem Horizont weitergeht, und zu spüren, dass nur ein paar Schwimmzüge im Meer reichen, um sich schwerelos zu fühlen. Die Kinder machen im Wasser Purzelbäume, beide im Glück. Wir sind dann lustigerweise meistens im benachbarten Nicht-Cinque-Terre-Dorf Levanto gewesen, einmal von Monterosso dahingewandert, ansonsten mit dem Zug gefahren, der dort ja ungefähr so oft geht wie die S-Bahn in Großstädten. Die Wellen waren dort höher, das Zentrum der Kleinstadt belebter. Alte, die im Schatten Eiskaffee trinken, Kinder, die Fangen spielen. Auch das eine Erkenntnis: Überbesuchte Orte strahlen auch dann eine gewisse Tristesse aus, wenn sie mal weniger besucht werden, Ergebnis touristischer Monokultur. In Monterosso und den anderen Cinque-Terre-Dörfern war das in den Cafés, Restaurants, Ausflugsbetrieben zu spüren: Wie die meisten eher hoffen als bangen, es möge bald wieder so werden wie zuvor, Angestellte und Familien müssen schließlich bezahlt werden. Tomaso berichtet am Abfahrtstag von einer ersten amerikanischen Familie, die für nächsten Sommer gebucht hat. Dann packt er einem eine Tasche voll Zitronen aus seinem Garten ein, und als wir den Brenner zurück in den Alltag überqueren, wissen wir, dass wir für die nächsten Wochen Zitronen zu Hause haben werden, die mehr als nur nach Zitronen duften. Mareen Linnartz

Italien

Storch mit Maske

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(Foto: Martin Wittmann)

Es ist wie in einem Film, in dem die eine Welt verlassen und eine andere betreten werden will. Für den geplanten Übergang von der Münchner Wirklichkeit in die des Ultentals wird zu Hause ein Test gemacht, dazu ein Formular für die Einreise aus EU-Ländern nach Italien ausgefüllt. Doch auf dem Weg nach Süden verfolgt uns das Corona-Thema weniger hartnäckig als gedacht, im bergigen Österreich geht ihm schon die Puste aus, im Stau am Brenner wird es im Rückspiegel immer kleiner, und bei Bozen ist es längst abgehängt. Für Südtirol übrigens liegt noch ein zusätzliches Formular ausgedruckt im Handschuhfach. Extra-Wust für die autonome Provinz. Apropos Provinz: Dorthin muss bekanntlich, wer Corona für eine Weile vergessen möchte. Flucht aufs Land. Man drängt auf Reisen, und dann verdrängt man auf Reisen. Der einsame Bauernhof ist nach etlichen reizenden wie würgereizenden Kurven erreicht. Da steht er nun am Hang in der Abendsonne. Ziegen, Hühner, Enten laufen herum, ein eitler Pfau und ein alter Hund, und eines haben sie alle gemeinsam: Wenn man ihr Mähen, Gackern, Quaken, Pfeifen und Bellen nicht komplett falsch deutet, dann erzählen sie einander tatsächlich Geschichten, die ohne Verweis auf das Virus auskommen. Wobei: Diese eine meckernde Ziege klingt schon verdächtig genervt. Die Gastgeber haben andere Sorgen, das vierte Kind ist gerade auf die Welt gekommen. Ein von den Nachbarn aufgestellter Holzstorch an der Hofeinfahrt kündet von diesem Glück. Er wird so lange stehen bleiben, bis die glücklichen Eltern den Nachbarn eine Feier spendieren. Wenn man diesen Brauch kennend durch die Ortschaften hier fährt, bekommt man den Eindruck, dass die Ultentaler entweder die Ruhe der Pandemie produktiv zu nutzen wussten oder aber recht knausrig sind oder beides. Störche, wohin man auch schaut. Manche tatsächlich mit Masken. Drei Tage nach der Geburt ist die Bäuerin schon wieder am Arbeiten, ihre besorgten Töchtern müssen sie mit der Notlüge aus dem Stall holen, das Neugeborene schreie. Die beiden Teenager verleben eine Bauernhofkindheit mit Pflichten und Freiheiten, wie sie beide in der Großstadt selbst Erwachsenen nicht aufgebürdet und gewährt werden. Der Junge, ein unschuldiger Zweitklässler, fragt den Gast eher neugierig denn anklagend, warum der, als Mann!, denn Flip-Flops trage. Der Vater trägt immer einen Blaumann, oder trägt der Blaumann mittlerweile ihn? Die Kulisse ist die eines familiengerechten Abenteuerfilms. Ende Mai liegt oben am Berg noch so viel Schnee, dass wir irgendwann keinen Weg mehr erkennen können und umkehren müssen. Eine ungewöhnliche Zeit sei das gerade, sagt der Bergbahnmitarbeiter, und er meint wirklich das Wetter. Unten glitzert im Tal der drei Kilometer lange Zoggler Stausee zwischen St. Walburg und Kuppelwies. Dort sitzt man in diesen Tagen stundenlang und grübelt über diese alte, neue Zeit. Wie viele Fische gefangen wurden in diesem Urlaub? Beim Film würde man sagen: "No Animals Were Harmed". Martin Wittmann

Kroatien

Freiheit und Eintopf

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(Foto: Hans Gasser)

Es fühlte sich an wie ein Déjà-vu. Schon die zweiten Pfingstferien nach krassen, coronabedingten Reiseeinschränkungen. Wieder wollten wir ans Meer, auf die Insel Pag in Kroatien. Während wir 2020 noch mit der österreichischen, slowenischen und kroatischen Polizei mailen mussten, um zu klären, ob sie uns rein- oder durchließen, war es diesmal routinierter. Tests machen, Online-Formulare ausfüllen, losfahren. Das Problem war nur: Am Tag der Abreise war das ganze Land noch Hochrisikogebiet, obwohl sich die Zahlen, genau wie in Deutschland, bereits in freiem Fall befanden. Das Passieren der Grenzen war unproblematisch. Beim Zwischenstopp in Opatija winkten uns morgens, als wir vom Hotel zu unserem Campingbus gingen, einheimische Gäste aus einem Straßencafé zu. Wir interpretierten das als Freude über die ersten wieder eintreffenden Touristen. Vielleicht fanden sie aber auch nur unsere Vierjährige süß. Am Campingplatz auf der Insel Pag bot sich ein ähnliches Bild wie vor einem Jahr: Er war kaum besetzt. Der Besitzer sagte, wegen der Hochrisikowarnung hätten viele Deutsche abgesagt, sonst wäre der Platz voll gewesen. Aber er lamentierte nicht. Im Juli und August sei er ausgebucht, und es schien so, als wäre er damit ganz zufrieden. Außerdem liefen Bauarbeiten für die Erweiterung seines schönen, in einen Olivenhain zum Meer hin terrassierten Geländes. Ansonsten waren nur die Nachtigallen und weiterer Vogelgesang zu hören. Der kleine Hafen mit Sandstrand gehörte uns, das wie immer smaragdfarbene Wasser war allerdings noch ziemlich kalt, dafür war der Sternenhimmel nachts so voll und klar wie kaum je gesehen. Auf einer Schlauchboottour, bei der wir mit 150 PS über die Wellen hüpften, tauchten sogar Delfine auf. Nach dem Anlanden auf der Insel Silba gingen wir direkt zum Restaurant, bei dem uns der Bootsverleiher angekündigt hatte. Der Eingang war noch mit einer dicken Kordel zugehängt, offensichtlich hatte der Wirt an diesem Tag noch nicht mit Kundschaft gerechnet. Er war sehr freundlich und präsentierte uns mündlich und auf Deutsch seine Speisekarte, die, man müsse entschuldigen, noch recht übersichtlich sei. Als da wären: Oktopusgulasch, Lammgulasch, Rindsgulasch. Seine Mutter stehe in der Küche. Er sagte Gulasch, meinte aber Eintopf. Und als das Essen dann kam, sah eins wie das andere aus: Kartoffel, Erbsen und dazu der jeweilige Eiweißträger. Es schmeckte okay, aber auch recht ähnlich, die Rechnung war dann nicht ganz so eintopfmäßig. Egal. Denn die Freude über die endlich wiedergewonnene Reisefreiheit war groß: gehen und fahren, wohin man will. Niemandem Rechenschaft schulden. Europa halt. Das Tüpfelchen auf dem i war dann die Nachricht, dass Kroatien nur noch Risikogebiet ist. Bei der Rückkehr mussten wir somit nicht in Quarantäne. Hans Gasser

Schweden

Ferien vom Ach!

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(Foto: Max Scharnigg)

Es war schon etwas verwegen, Anfang Mai nach Schweden zu fahren, ins Herz der Corona-Finsternis. Aber die Elternzeit und das angemietete Haus auf der Schäreninsel standen schon lange im Kalender, und so fuhren wir schließlich trotz aller Bedenken Richtung Norden. Auf der Fähre von Rostock, wo sich sonst die Campingvehikel mit Elch-Aufkleber und Nordkap-Ausrüstung drängen, waren wir fast die einzigen Touristen, und das sollte die folgenden Wochen auch überall so bleiben. Der schwedische Sonderweg fühlte sich anfangs sehr seltsam an. In den großen Ica-Supermärkten trug nahezu niemand eine Maske, man hustete und lachte, und wir mit unserem FFP2-Standard-Outfit wurden mit freundlicher Neugier beäugt. Wir waren in eine Parallelwelt gereist, in der man sehr wenig von Corona hörte und las, obwohl die Zahlen im Land noch schaurig hoch waren, aber das spielte in den Nachrichten nur eine untergeordnete Rolle. Dabei sind die Schweden in anderen Bereichen bekanntlich total auf Sicherheit bedacht - in jedem winzigen Dorf hängt ein moderner Defibrillator und auf den Landstraßen wird alle paar Kilometer scharf die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h kontrolliert. Aber Long Covid und Co.? Schien keinen zu interessieren. Es war regelrecht mühsam, nach unserer Ankunft zur Sicherheit einen Test zu organisieren, und als wir schließlich in einem Hinterzimmer in einem Hotel in Göteborg eine Teststation ausfindig gemacht hatten, wirkte es, als wäre die Frau im Arztkittel extra für unseren Termin dorthin gekommen. Nach ein paar Tagen Irritation wurde unsere innere Pandemie-Sirene aber auch langsam leiser, und irgendwann arrangierten wir uns mit der Normalität, die hier offenbar herrschte. An unserem Ziel, der Schärenküste oberhalb von Göteborg, wo Tausende kleine und große Granitfelsen wie versteinerte Wale aus der Nordsee buckeln, war Distanz aber sowieso topografisch vorgegeben. Es gibt da oben ja sozusagen für jeden eine eigene Insel, eine eigene Badebucht, einen Steg, es herrschte eine himmlische Ruhe. Nur an den Wochenenden kamen die Göteborger in ihren schicken Elektro-Polestars angefahren, hissten stolz die Fahne vor ihren Ferienhäusern und machten die Segelschiffe klar. So begannen wunderbare Inselferien, mit Tagen, an denen das Licht nicht weniger wurde, mit Krebsfangen am Steg, Dösen auf warmen Felsen und Wanderungen durch die lichten Eichenwälder, bei denen zwischen den Bäumen immer wieder das Wasser durchglitzerte. Als wir ankamen, blühten gerade die Narzissen, als wir fuhren, stand duftender Flieder vor jedem der hübschen Holzhäuser. Und als auf der Fähre wieder die Maskenpflicht und die Einreisezettel kontrolliert wurden, wussten wir: Es war nicht nur eine Auszeit vom Job, es war auch eine Auszeit von Corona. Ferien vom Ach! Max Scharnigg

Italien

Weingut mit Fahne

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(Foto: Jacopo Salvi/Masi Agricola S.p.A.)

Eine Fahne bekommt man bei einer Weinprobe schnell mal. Noch ein Schlückchen Prosecco, nur noch ein halbes Gläschen fruchtigen Weißwein, und dann erst der Amarone, ein ganz spezieller Rotwein, der eher schwer ist, aber leicht schmeckt. Es wäre schade, dieses edle Gesöff stehen zu lassen, auch wenn es bereits das siebte Glas ist, das einem beim Besuch des Weinguts Serego Alighieri im Valpolicella vor die Nase gestellt wird. Der Profi lässt den wertvollen Tropfen im Mund hin und her schwappen und entsorgt die Flüssigkeit dann halbelegant in einem Spucknapf. Der Laie vergeudet nichts und ist nach einer halben Stunde betrunken. Gerade überlegt man noch, wo ein guter Platz für eine Siesta wäre und wie man die Fahne verbergen kann, da sagt Elisa Venturini, die den Besucher über das Weingut führt: "Schau mal, die Fahne!" Dass man meine Fahne riecht, hatte ich befürchtet. Aber dass man sie sieht, überrascht mich dann doch, selbst in meinem etwas entrückten Zustand. Elisa deutet mit dem Finger auf die Fahnenstangen neben der prächtigen Villa, in dem die Geschäftsleitung des Weinkonzerns Masi untergebracht ist, zu dem auch die Marke Serego Alighieri gehört. Die deutsche Flagge hängt schlaff in der Mittagshitze, flankiert von der italienischen Trikolore und der blauen EU-Flagge. Wie sich herausstellt, bin ich der erste ausländische Besucher seit mehr als einem Jahr. "Wir freuen uns sehr und fühlen uns geehrt", erklärt Elisa Venturini. Aus diesem Anlass wurde die deutsche Flagge gehisst, was mir vor Beginn der Weinprobe nicht aufgefallen war. Danach erst recht nicht. Ich hatte mich auf das Ausfüllen von Formularen und den korrekten Sitz der Maske konzentriert. Am Empfang hatte mir eine maskierte Dame kommentarlos ein elektronisches Fiebermessgerät an den Schädel gehalten. Die Fahne bedeutet wohl: Willkommen zurück! Der erste Besuch in Italien nach dem langen Lockdown ist ein rauschhaftes Erlebnis. Nicht nur wegen der Weinprobe. Am Gardasee blühen Zitronen und Kapernsträucher, an der ungewöhnlich leeren Uferpromenade von Lazise rauschen die Wellen. Vom Gardasee aus rauschen wir über die fast leere Autobahn weiter nach Süden, in die südliche Toskana. Dort verbringen wir jedes Jahr mehrere Wochen im Ferienhaus von Freunden, mitten in der Natur auf einem Hügel bei Sorano gelegen. Man kann dort tagelang in der Hängematte liegen, den Wind in der Eiche rauschen hören und in einen Lese- und Schreibrausch geraten. In unserem Lieblingsrestaurant, dem "Fidalma" in Sorano, haben sie erst seit ein paar Tagen die Stühle auf die Terrasse gestellt. Wir seien die ersten auswärtigen Besucher, sagt die Bedienung, die sich noch an unseren letzten Besuch im vergangenen September erinnern kann. Danach hatten sie sieben Monate lang geschlossen. Fidalma, die 78-jährige Wirtin des Lokals, umarmt uns unter Missachtung sämtlicher Hygieneregeln, sie ist glücklich, wieder Gäste zu haben. Zur Feier des Tages legen wir uns alle eine kleine Fahne zu. Oben an der Festung steigen Feuerwerksraketen in den Himmel. Also, das wäre doch jetzt wirklich nicht nötig gewesen ... "Nein, nein", sagt die Bedienung, "das ist nicht für euch. Dort oben feiert jemand Geburtstag." Titus Arnu

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