Reisebuch:Mit Zicken zum Nordkap

Lesezeit: 3 Min.

Auf 1400 Meter über dem Meer verläuft die F 55 bei Korpen in Norwegen zwischen zwei gebirgigen Nationalparks. (Foto: Mike Dodd)

Was passiert, wenn ein Fotograf, der eigentlich keine Fotos machen will, mit einem 40 Jahre alten Motorrad ans Ende Europas fährt.

Rezension von Peter Fahrenholz

Ob aus einer Idee am Ende ein Buch wird, hängt von vielen Faktoren ab. Am wichtigsten ist natürlich, dass sich ein Verlag für die Idee erwärmt. Aber ein Buchprojekt kann auch an ganz anderen Hürden scheitern. Dieses Buch hätte gleich dreimal scheitern können: zu Beginn der Reise, in der Mitte und als die Reise schon längst vorbei war.

Als der Fotograf Mike Dodd vor drei Jahren von London aus mit dem Motorrad zu einer mehr als 4000 Kilometer langen Tour zum Nordkap aufbrach, machte er etwas, was Fotografen sonst nie tun: Er ließ seine Kamera zu Hause. "Ich wollte mein eigenes Abenteuer erleben und nicht darüber nachdenken, wie ich daraus das perfekte Bild machen könnte". Ein paar Straßenecken weiter kehrte er um und packte eine Kameraausrüstung ein - eine Entscheidung, die sich gelohnt hat.

Die Frage war, ob er mit einer 40 Jahre alten Goldwing das Ziel überhaupt erreichen konnte

Die zweite Hürde war das Motorrad. Das Nordkap gehört zu den Traumzielen vieler Motorradfahrer. Wer sich auf den Weg macht, tut das in der Regel mit einer Maschine, bei der er sich keine Sorgen machen muss, ob er damit das Ziel überhaupt erreicht. Mike Dodd startete mit seiner Honda Goldwing GL 1000, Baujahr 1979, genannt "Mrs.B". Die ersten Goldwings, die Mitte der Siebzigerjahre auf den Markt kamen, waren Ungetüme, die typische Schwächen des Motorradbaus jener Jahre zeigten: ein starker Motor gepaart mit einem zu schwachen Fahrwerk. Vor allem in schnellen Kurven schaukelte sich die Maschine oft auf und war dann selbst für erfahrene Fahrer nur schwer beherrschbar.

Camping auf den Lofoten, und das bei gutem Wetter. (Foto: Mike Dodd)

Erst bei späteren Modellen besserte sich das, aus der Goldwing wurde im Laufe der Zeit ein technisch ausgereiftes Reisesofa auf Rädern, angetrieben von einem legendären Sechszylindermotor. Aber Mrs. B. war nun mal eine fast 40 Jahre alte Motorrad-Lady. Wer sich mit so einer Maschine in menschenleere Gegenden aufmacht, muss jederzeit damit rechnen, dass die Reise im Nirgendwo abrupt zu Ende ist, weil irgendein technischer Defekt das Motorrad lahmlegt und eventuell benötigte Ersatzteile natürlich nicht aufzutreiben sind, schon gar nicht schnell.

Die dritte Hürde war der Reisende selbst. Er hatte Zweifel, ob die unzähligen Bilder, die er gemacht hatte, gut genug sind. Doch manchmal hilft der Zufall. Dodd zeigte Fotos von seiner Reise der deutschen Journalistin Lena Siep, mit er er schon mehrmals zusammengearbeitet hatte. Sie war begeistert und überzeugte ihn, ein Buch daraus zu machen. Aus langen Gesprächen hat Siep einen einfühlsamen Text verfasst, ohne den das Buch nur ein prächtig fotografierter Bildband geworden wäre, von denen es unzählige gibt.

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Denn in dem Text geht es nicht nur um die Fahrt mit einem altersschwachen Motorrad durch grandiose Landschaften. Sondern er beschreibt vor allem eine Reise zu sich selbst. Eine Reise, auf der ein professioneller Fotograf sich von der Obsession befreit, das perfekte Foto machen zu müssen und erkennt, dass er damit der Flut seelenloser Bilder in der Instagramwelt nur weitere seelenlose Bilder hinzufügt hätte.

Motorradfahrertraum: die Straße zum Sifjord auf der Insel Senja in Norwegen. (Foto: Mike Dodd)

Dodd hat sich, wie es in dem Buch heißt, durch "wunderschöne Instagram-Bilder" zu seiner Reise inspirieren lassen und war getrieben davon, die schönsten Motive irgendwie nachzustellen. Zu Beginn der Reise fährt er sieben Mal eine Bergstrecke mit 27 Haarnadelkurven hin und her, findet nie die richtige Perspektive, bis er erkennt, dass das Instagram-Foto, das ihn so fasziniert hat, von einer Drohne gemacht worden sein muss.

Nach und nach befreit sich Mike Dodd von diesem Zwang, was auch deshalb nötig ist, weil Mrs. B. schon nach den ersten Etappen beginnt, Zicken zu machen. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke, bereits jenseits des Polarkreises, macht die Honda mehr oder minder schlapp. Wie Dodd erst einen Mechaniker findet, der die maroden Abdeckungen der Zündspulen abdichtet, weil an gebrauchte Originalteile nicht zu denken ist und ihn dann an einen Altherren-Motorradclub weiterreicht, gehört zu den schönsten Passagen des Buches. Dort findet einer der Enthusiasten die Ursache für die ständigen Fehlzündungen: einen defekten Zündkerzenstecker.

Als Dodd in der kargen und kalten Landschaft sein Ziel endlich vor Augen hat, fällt alle Anspannung von ihm ab. "Ich nahm die Hände vom Lenker und schrie in den Wind: We did it, Mrs.B., we did it". Seine Obsession hat er längst besiegt. In einer Welt voller makelloser digitaler Fotos gebe es nur noch einen Grund, zu fotografieren: "zu zeigen, was uns wirklich bewegt". Mit den Fotos seiner Nordkap-Reise ist Dodd das auf eindrucksvolle Weise gelungen.

Mike Dodd/Lena Siep: Fjordwärts. Mit dem Motorrad zum Nordkap. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2021. 160 Seiten, 39,90 Euro.

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