Neuseeland:Dieser Sternenhimmel lebt

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In Gruppen werden Touristen durch die Grotten geführt, an deren Decke die Mückenlarven hängen. Den Mut der Entdecker brauchen sie heute nicht mehr. (Foto: Shaun Jeffers/Tourism New Zealand)

Der Name trügt: In den Glühwürmchen-Höhlen leuchten Mückenlarven. Hunderttausende Besucher kommen im Jahr. Dabei hätten es die Tiere lieber ruhig und dunkel.

Von Steve Przybilla

Es gibt Dinge, die sind so schön, dass man sie kaum glauben kann. "Das sind keine LEDs, wirklich nicht", versichert der Höhlen-Guide, nachdem er die Frage an diesem Tag zum dritten Mal gehört hat. "Was wir hier sehen, ist ein Wunder der Natur." 45 Meter unter der Erdoberfläche, inmitten von Stalaktiten und Stalagmiten, funkeln die Sterne. Zumindest sieht es so aus.

Das "Wunder" ist eine Kolonie leuchtender Mücken - Glowworms werden sie hier genannt -, die sich in den Höhlen von Waitomo in Neuseeland niedergelassen hat. Schwer vorstellbar, dass in dieser dunklen, feuchten Unterwelt überhaupt etwas lebt. Aber so ist es. Zigtausende Exemplare dieser nur in Neuseeland vorkommenden Langhornmücken-Art, Arachnocampa luminosa, beherbergt die Grotte. Die erwachsenen Tiere werden nur wenige Tage alt. Die wurmartigen Larven wachsen über Monate heran; dabei hängen sie an der Höhlendecke, lassen von dort seidene Fangfäden herab. Ihr Leuchten lockt Beute an.

So entsteht das Sternenzelt tief in der Erde. Trotzdem ist von Romantik zunächst nicht viel zu spüren, denn durch die auch im Deutschen als Glühwürmchen-Höhle beworbenen Grotten wimmeln nicht nur Insekten, sondern auch Menschen. Mehrere Gruppen werden gleichzeitig durch die 15 Grad kühlen Gewölbe geführt. Zwar mahnen Schilder zur Ruhe, aber davon ist beim Abstieg nicht viel zu spüren. "Schhhhh!", zischt der Guide, als ein junges Paar abermals tuschelt. "Und macht das Handy aus!" Helle Lichtquellen oder laute Geräusche sind in den Höhlen streng verboten, weil sie die Insekten stören - und diese dann weniger leuchten.

Die Larven der Langhornmücken leben an der Höhlendecke, sie lassen Fangfäden herab, ihr Leuchten lockt Beute an. (Foto: imago/robertharding)

Nach ein paar Metern scheint die Anweisung schon wieder vergessen, selbst bei denjenigen, die sie durchsetzen sollen. Plötzlich ermuntert der Guide zum Singen. "Hier unten ist die Akustik so toll, dass wir sogar Konzerte veranstalten", erklärt er, bevor er die gedimmten Lampen, die den Weg beleuchten, komplett ausschaltet. In der Ferne ist fröhlicher Gesang zu hören, eine Gruppe südkoreanischer Touristen hat ein Volkslied angestimmt. Als das Schummerlicht wieder angeht, sind beseelte Gesichter zu erkennen. Nur eines fehlt noch immer: das Leuchten der Mücken.

Einfach machen es einem die Tiere zunächst nicht. Man muss in die Hocke gehen, den Oberkörper strecken und den Hals verrenken, bevor man das bläuliche Glimmen erblickt. "Die Weibchen sind heller als die Männchen", erklärt der Guide. "Ihr seht, das ist wie bei den Menschen." Ein kurzer Lacher, dann geht's weiter, denn die nächste Gruppe wartet bereits. Die Höhlen von Waitomo zählen zu den beliebtesten Touristenattraktionen Neuseelands. Eine halbe Million Menschen steigt jedes Jahr in die Tiefe, manche für einen Rundgang, andere für eine Bootstour, zum Abseilen oder - die härteste Variante - fürs "Black Water Rafting". Dabei sausen Abenteuerlustige auf Gummireifen durch das unterirdische Wassersystem. Leuchttiere gibt es nicht in jedem Abschnitt; bei manchen Touren geht es eher um Adrenalin.

Zur Faszination gehört das Gefühl, in eine exotische Welt vorzudringen. Der Pioniergeist trieb auch den englischen Forscher Fred Mace im Jahr 1887 in die Höhlen von Waitomo. Zusammen mit dem einheimischen Maori-Häuptling Tane Tinorau erkundete er auf einem Floß das weit verzweigte System. "Die Höhlen haben sich seitdem kaum verändert, aber der Besuch war komplett anders", erzählt Hiria Kohe-Love. Die 36-Jährige stammt selbst von Tinorau ab und verantwortet heute das touristische Programm in den Höhlen. "Damals musste man mutiger sein", sagt sie. "Die Leute haben sich abgeseilt und Karbidlampen vor sich hergetragen. Es dauerte Stunden, den Weg zu finden." Frauen und Kindern war das Betreten der Höhlen nicht gestattet.

Schon früh erkannten die Maori, dass in diesem Erlebnis ein wirtschaftliches Potenzial steckt. 1889 machten sie die Höhlen für die Öffentlichkeit zugänglich. Aber bereits einige Jahre später enteignete die Regierung die Maori und übernahm selbst die Verwaltung. Die Tourismusbehörde errichtete ein Hotel und baute die Höhleneingänge aufwendig aus. Selbst Queen Elizabeth II., die noch heute das Staatsoberhaupt Neuseelands ist, besuchte 1953 die Waitomo-Höhlen.

Erst 1989, fast ein Jahrhundert nach der Enteignung, erhielten Tinoraus Nachfahren ihr Land zurück. Noch heute sind die meisten Mitarbeiter in den Höhlen Maori. Sie werden beteiligt an den Einnahmen. So hat sich das Verhältnis zwischen Maori, Regierung und Geschäftsleuten in der jüngsten Vergangenheit spürbar verbessert - auch deshalb, weil alle an einem Strang ziehen müssen, um ihre Attraktion zu erhalten. Längst warnen Wissenschaftler vor zu vielen Besuchern. Womöglich könnte das Kohlendioxid, das durchs Atmen entsteht, die Insekten schädigen. Die Langzeiteffekte durch menschliche Besucher sind bislang kaum erforscht. Wenn sich Feuchtigkeit oder Sauerstoffgehalt zu stark ändern, könnte das zu einem Massensterben der Mücken führen, wie schon einmal in den Siebzigerjahren. "Das wollen wir unbedingt vermeiden", beteuert Hiria Kohe-Love. "Deshalb haben wir überall Sensoren installiert, die ständig Luft- und Wasserqualität messen."

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Höhlen mit Leucht-Insekten gibt es in Neuseeland nicht nur in Waitomo, und nicht alle sind touristisch erschlossen. Wer also sucht, findet vielleicht auch heute noch eine unerforschte Höhle, in der man sich wie Fred Mace und Tane Tinorau auf ihrer ersten Expedition fühlen kann. Ungefährlich sind solche Erkundungen auf eigene Faust nicht; zudem bei den Einheimischen auch nicht gern gesehen, denn auch hier kämpft man gegen Müll und Graffiti.

In der Höhle steuert die Gruppe unterdessen dem Finale entgegen. Über eine Treppe werden die Besucher abermals in die Tiefe geführt, diesmal zu einer Bootsanlegestelle. Dicht an dicht sitzen alle nebeneinander. Das Holzboot wackelt und schwankt; dann geht auch die letzte Taschenlampe aus. "Schhhht!", zischt abermals der Guide, als das Tuscheln wieder losgeht. Sekunden später verschlägt es allen die Sprache: Die Sterne sind aufgegangen, 45 Meter unter der Erde.

© SZ vom 08.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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