Queenstown in Neuseeland:Wo geht's denn hier zum Abenteuer?

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Mit Bungee-Jumping von der Kawarau Bridge fing alles an, mittlerweile gibt es in Queenstown noch viele weitere Action-Angebote. (Foto: Katika Bele/Unsplash)

Bungeesprünge, Speedboot, Mountainbike: Wer nach Queenstown in Neuseeland kommt, sucht den Nervenkitzel. Doch der Adrenalinschub hat Nebenwirkungen.

Von Steve Przybilla

Einfach nicht hinsehen! Augen schließen, zwei Schritte nach vorn, und die Schwerkraft erledigt den Rest. Wenn's bloß so einfach wäre! Alina Geilens Herz pocht. Die 27-jährige Düsseldorferin steht auf einer Metallplattform hoch über Queenstown, fest entschlossen, den ersten Bungee-Sprung ihres Lebens zu wagen. Unter ihr ziehen Speedboote ihre Bahnen, dahinter grasgrüne Hügel und Gebirge, an denen die Wolken hängen. Ein echtes Postkartenmotiv, aber in diesem Fall vor allem eins: der Blick in den Abgrund.

Laut schreiend stürzt die Frau in die Tiefe, ihre Haare flattern nach oben, bevor das Seil den Fall jäh unterbricht. Eine Sache von Sekunden. "Meeeeega!", ruft Alina Geilen, als sie die Plattform wieder verlässt. Jan Riemann, ihr Freund, hat alles fotografiert. Auch er ist wenige Minuten zuvor schon gesprungen. "Wir wollten es einfach mal ausprobieren", sagt der 39-Jährige. "Ich habe vor dem Sprung bewusst nicht nach unten geschaut. Wenn du zu viel darüber nachdenkst, ist es vorbei."

Lange gefeiert wird am Abend nicht. Die Gäste möchten fit sein für den nächsten Tag

Mit dieser Einstellung sind die Düsseldorfer nicht allein. Neues ausprobieren, den Puls nach oben treiben, Spaß haben: Kaum eine andere Stadt hat in den vergangenen Jahrzehnten eine derartige Adrenalin-Industrie aufgebaut wie Queenstown. Das wird schon deutlich, wenn man in die Stadt kommt. Auf der Shotover Street, der Hauptstraße des 16 000-Einwohner-Ortes, scheint es mehr Sportanbieter als Restaurants zu geben. Erst kommt ein Geschäft von Torpedo7, gewissermaßen der Jack Wolfskin Neuseelands. Es folgen: eine Verkaufsstelle für Bungee-Sprünge, ein Rafting-Anbieter, ein Fahrradverleih, ein Wandergeschäft und ein Veranstalter für Offroad-Fahrten. All das auf einer Strecke von weniger als 300 Metern.

Man spürt ihn überall, den Abenteurer-Spirit, den vornehmlich junge Menschen in Queenstown haben - oder zu finden hoffen. Überall laufen Backpacker mit Rucksäcken umher, die meisten Autos sehen aus, als hätten sie noch nie eine Waschanlage von innen gesehen. Etikette ist zweitrangig, Hauptsache, das Holzfällerhemd sitzt und der Bart ist lang genug. Manche schlendern mit einem Sixpack Bier über die Hafenpromenade, aber die meisten gehen früh ins Bett: Wer 140 Meter in den Abgrund springt, muss fit sein.

Am nächsten Morgen: In der Seilbahn zum Ben Lomond, dem Hausberg Queenstowns, drängen sich die Gäste. Wanderstöcke, Klettergurte und Sturzhelme aller Art werden nach oben transportiert, natürlich auch ihre Besitzer. Die Mountainbikes, mit denen sie später den Berg runterrasen, hängen außen an der Gondel. Mensch und Maschine, eine perfekte Symbiose. Die Natur gerät bei so viel Nervenkitzel zum Nebenschauplatz. Wer nach dem Festmachen der Helmkamera noch Zeit für einen Blick aus dem Fenster findet, sieht einen wunderschönen alpinen Wald - und gefällte Bäume. Grund ist ein massiver Ausbau der Seilbahn, wodurch noch mehr Besucher auf den Gipfel gebracht werden sollen. Schon heute sind es mehr als eine Million im Jahr.

Oben angekommen, geht das Gewusel weiter. Zwischen Sommerrodelbahn, Bungee-Plattform und Hochseilgarten sucht eine Wandergruppe den richtigen Weg. In der Luft ziehen Paraglider ihre Bahnen, aus den Lautsprechern dudelt leise Musik. Fehlen nur noch die Mountainbiker, die über Stock, Stein und Sprungschanzen möglichst schnell ins Tal wollen. So geht es den ganzen Tag auf dem Ben Lomond, ein einziges Rattern und Quietschen von Reifen und Bremsen verschiedenster Verkehrsmittel. Dazu die Musik und die Schreie der Bungee-Springer, die sich im Minutentakt in die Tiefe stürzen.

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Ist das nun ein Fitness-Paradies oder eine Extremsport-Hölle? Ein älterer Herr jedenfalls wettert über den ganzen Trubel: "Ich komme seit 2012 hier her. Es wird immer voller, man kriegt im Restaurant kaum noch einen Platz." Dann steigt er selbst aufs Mountainbike und radelt davon.

Weiter unten, am Ufer des Lake Wakatipu, liegt schon der Werbeflyer für die nächste Erfindung aus: ein Schnellboot, "halb Hai, halb Maschine". Tatsächlich zieht ein motorisierter Plastikhai auf dem Wasser seine Bahnen, im Cockpit ein Pilot und ein Passagier. Und dann: Vollgas! Der "Hai" peitscht mit 80 Stundenkilometern über den See, die aufgemalten Zähne funkeln in der Sonne. Ein Sprung in die Höhe, eine Drehung, dann klatscht er wieder ins Wasser. Hoffentlich gibt es Kotztüten an Bord.

Wie konnte es dazu kommen, dass sich ein beschaulicher Urlaubsort an den Ausläufern der Neuseeländischen Alpen in eine solche Funsport-Meile verwandelt? Genau weiß es niemand. Wie viele Orte hat sich Queenstown nicht von einem Tag auf den anderen in eine Richtung entwickelt, sondern über Jahrzehnte hinweg. Womöglich begann alles mit den beiden Unternehmern Alan John Hackett und Henry van Ash, die das Bungee-Jumping in den 1980er-Jahren nach Neuseeland brachten. Ihre Firma AJ Hackett gehört noch heute zu den bekanntesten Funsport-Anbietern in Queenstown.

Der Ort zieht noch immer zahlreiche Springer an: Von der Kawarau-Brücke aus geht es per Gummiseil 43 Meter in die Tiefe. Links und rechts Felsen, unten der reißende Fluss. Genau diese Szenerie war für die Firmengründer ausschlaggebend. "Queenstown bietet die perfekte Umgebung für unsere Abenteuer-Aktivitäten", sagt Henry van Ash. Die alpine Umgebung, das Gefühl der Abgelegenheit, die historische Kawarau-Brücke - all das mache Queenstown zur "Abenteuer-Hauptstadt der Welt". Wobei auch AJ Hackett längst nicht nur vom Bungee-Jumping lebt. Die Firma verdient ihr Geld inzwischen auch mit Seilrutschen, Schluchtschaukeln oder Höhenwanderungen. Und neuerdings auch mit einem Katapult, das Menschen mit 100 km/h durchs Gebirge schießt.

Es gibt Alternativen zum ständigen Nervenkitzel: Wandern, Weinproben, Restaurants

Wie viele der jährlich 3,2 Millionen Besucher allein wegen der Spaßsportarten nach Queenstown reisen, ist unklar. Dass die ganze Action den Blickwinkel verändert, ist aber offensichtlich. Normalerweise kommen Urlauber aus dem Staunen nicht mehr raus, sobald sie Neuseeland betreten. Die Landstraßen sind gesäumt mit Autos, deren Besitzer hinter jeder Kurve zum Fotografieren anhalten. Und in Queenstown? Hier staunt niemand am Straßenrand. Am frühen Morgen, wenn die Sonne über dem Lake Wakatipu aufgeht und die Wolken noch in den Bergen hängen, sitzen die Ersten schon in der Seilbahn. Nur so kann man die Massen effektiv umgehen. Doch selbst abends, wenn die Sonne untergegangen ist und die letzten Speedboote verstummt sind, dreht sich alles um den Sport. In der Kneipe unterhalten sich zwei Männer über die neuste App, mit der sie die Bestzeiten auf der Mountainbike-Strecke vergleichen können. Der eine winkt ab. "So was brauch' ich nicht. Aber wie schnell warst du noch mal?"

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Schneller, höher, weiter: Bis jetzt hat die Adrenalin-Industrie viele Besucher - und viel Geld - nach Queenstown gespült. Doch allmählich rumort es unter den Bewohnern. Nicht jedem passt der groß angelegte Ausbau der Seilbahn, der ein mehrgeschossiges Parkhaus und nahezu eine Verdopplung der Bergstation vorsieht. Hinzu kommen die üblichen Wohnraum-Probleme, weil Eigentümer lieber das schnelle Geld mit Urlaubern machen, als an Einheimische zu vermieten. Auf einen Einwohner kommen in Queenstown 34 internationale Besucher - der höchste Wert in Neuseeland. "Manche vergleichen uns schon mit Venedig", räumt selbst die örtliche Tourismuschefin ein. Wobei sie den Vergleich natürlich übertrieben findet.

Wie viele Schnellboote sind erträglich? Wie viele Mountainbikes? Und wie viele Helikopter? Wann schlägt die Spaßstimmung in Frust um, weil von der Natur nur noch die Kulisse übrig bleibt? Jim Boult, der Bürgermeister, formuliert es so: "Unsere einzigartige Landschaft ist ein wichtiger Grund, warum uns die Leute besuchen. Schon deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Interessen der Wirtschaft und der Umwelt ausgeglichen werden." Den Ausbau der Seilbahn begrüßt der Bürgermeister - für ihn hat das Projekt "die richtige Balance". Über die Zukunft des Ortes entscheiden auch die Einwohner. Am 5. Juni stimmen sie in einem Bürgerentscheid darüber ab, ob künftig eine lokale Tourismussteuer erhoben wird. Der Bürgermeister ist dafür, die Hotelindustrie erwartungsgemäß dagegen. Viele Gewerbetreibende befürchten, dass ihre Gäste wegbleiben, sobald sie einen Aufpreis zahlen müssen.

"Teste deine Limits": Mit diesem Slogan wirbt Queenstown um diejenigen, die den ultimativen Kick suchen. Doch schon heute gibt es ausreichend Alternativen zum ständigen Nervenkitzel: gemütliche Restaurants, Weinproben, Wanderungen rund um den See. Ganz in der Nähe, im Maori-Gebiet, liegt der Dart River. Vom Fluss aus sieht man die charakteristischen Felsen, die jeder "Herr der Ringe"-Fan kennt. Zu langweilig? Auch kein Problem. Natürlich lässt sich der Dart River ebenso auf einem 700 PS starken Schnellboot erkunden. Das Wasser spritzt, die Berge sausen an einem vorbei. Ist halt Queenstown.

© SZ vom 09.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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