Australien:Wo der Teufel überlebt hat

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Cape Hauy mit seinen steilen Klippen liegt auf der Route des "Three Capes Track". (Foto: Tasmania Parks and Wildlife Service)

Aus einem urigen Steig in Tasmanien wurde ein Luxus-Lehrpfad - der jetzt 300 Euro Eintritt kostet.

Von Florian Sanktjohanser

Ja, so in etwa würde man sich als exzentrischer Milliardär seine Villa bauen. Mit breiter Glasfront und gestuftem Balkon, auf Stelzen über dem Urwald. Und mit Blick über den Pazifik bis zu den Klippen in der Abendsonne. Ein feineres Yogazimmer hatte man jedenfalls selten. Schon gar nicht auf einer Wanderung durch die Wildnis Tasmaniens.

Mit den anderen Pfaden auf der Insel hat der Three Capes Track allerdings auch wenig gemein - abgesehen von der überwältigend schönen Natur. Er ist ein Prestigeprojekt. Und ein hitzig diskutierter Präzedenzfall. Denn der Parks and Wildlife Service, die Regierungsbehörde, die für den Schutz der Nationalparks verantwortlich ist, hat den einst urigen Steig auf der Tasman-Halbinsel in einen Luxus-Lehrpfad verwandelt. 25 Millionen australische Dollar, rund 15,7 Millionen Euro, steckte der Staat in breite Wege, drei moderne Hütten und Aussichtsplätze. Dafür müssen Wanderer mehr als 300 Euro für Eintritt und drei Übernachtungen in den Hütten bezahlen, in denen man sich selbst versorgen muss. Und 250 Euro für jedes Kind. Unbezahlbar für Familien, schimpfen Kritiker, der Staat habe ein öffentliches Gut de facto privatisiert. Dabei war es im egalitären Tasmanien ehernes Gesetz, dass Wanderwege für alle offen sind.

Die Wandertouristen, bisher vor allem Australier, kratzt der Preis offenbar nicht. Die 48 Plätze pro Tag sind seit der Eröffnung Ende 2015 meist ausgebucht, schon im ersten Jahr gingen knapp 10 000 Gäste den professionell vermarkteten Weg. Die im vergangenen September gestartete, noch weitaus luxuriösere, teurere Lodgevariante - mit besagtem Häuschen für Morgenyoga und Abendbier - verkauft sich ebenfalls prächtig.

Den zwölf Mitwanderern, die sich in Leih-Regenjacken und Rucksäcken des Veranstalters am Strand versammelt haben, war die Vier-Tages-Lodge-Tour mit All-inclusive-Verpflegung jeweils knapp 1800 Euro wert. Dafür bekommen sie drei Guides, von denen jeder einzelne mehr als 20 Kilo auf dem Rücken trägt: Notfall-Ausrüstung und frisches Gemüse.

"Der Schritt ins Boot ist der härteste Anstieg der ganzen Wanderung", witzelt der Kapitän der Fähre, die in weniger als fünf Minuten zur Denmans Cove, der Startbucht, übersetzt. Und das erste Stück Weg, komplett neu angelegt, scheint ihm recht zu geben. Ebenmäßig und von Steinen gesäumt mäandert der Pfad dahin, die Teebäume blühen weiß, zwei Gelbohr-Rabenkakadus schauen aus den Ästen der vom letzten Buschfeuer verkohlten Eukalypten. Bald steht am Wegesrand die erste Holzbank - mit eiserner Fußfessel. Denn von hier blickt man über die Meerenge genau auf Port Arthur, die berüchtigte ehemalige Sträflingskolonie. 12 000 Häftlinge saßen dort im 19. Jahrhundert ein, erzählt der 20-jährige Jai McKay, einer der Guides. 3000 davon waren minderjährig.

Ganz so angenehm wie in der ersten Hütte, die man nach nur eineinhalb Stunden erreicht, lebten sie wohl nicht. Der moderne, lang gezogene Holzbau hat einen überdachten Grillplatz, auf der Terrasse stehen Liegestühle mit Blick auf Meer und Klippen, hinter den runden Wassertanks sind die Schlafhäuser und das Badehaus verstreut. Alles sehr in Ordnung. Aber kein Vergleich zur Privatlodge, die sich am Ende einer Abzweigung versteckt.

Von außen sieht sie aus wie ein Raumschiff, das auf Stelzen im Urwald gelandet ist. Lang, dunkel, glatt. Richtig schick aber wird's innen. Der Speisesaal ist zur Hälfte mit hellem Holz ausgekleidet, zur Hälfte mit Glas ummantelt. Man sinkt aufs Designersofa neben dem Eisenofen, streckt die Füße auf den Teppich, schenkt sich ein Bier ein und schaut hinaus aufs Meer, auf Klippen und Dünen. Dazu stellt ein Guide - jetzt in Schürze - geräuchertes Wallaby, Lachs, Käse und getrocknete Feigen aufs Tischchen. Die Zeit bis zum Dinner vergeht mit einer heißen Nebeldusche und dem geruhsamen Blättern in Tasmanien-Fotobänden. Es gibt absolut nichts zu meckern - bis ein Mitwanderer die Karte an der Wand entdeckt. "Wir gehen ja nur zu zwei Kaps", ruft er. "Das dritte ist Cape Raoul", beschwichtigt McKay. "Wir sehen es aus der Ferne."

Komfortable Wildnis: Die Cape Pillar Lodge ist eine der neuen Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Three Capes Track. (Foto: Luke Tscharke)

Das Dinner lässt diese Namensmogelei schnell vergessen: Lammtajine mit Datteln und Aprikosen, gefolgt von Pannacotta in Waldbeersauce. Und begleitet von tasmanischem Rotwein, alles inklusive. Entsprechend heiter wird die Seniorenrunde bald. Die Gruppe ist gemeinsam in Neuseeland, Japan und Marokko gewandert. Und natürlich auf dem Overland Track, Tasmaniens weltberühmtem Fernwanderweg. "Im Vergleich dazu", sagt eine Dame, "ist das hier ein Spaziergang im Park."

Wie recht sie hat, sieht man am nächsten Morgen. Ein kilometerlanger Bohlenweg ebnet den ohnehin flachen Pfad durch die rosa und weiß blühende Heide, über eine Steintreppe steigt man hinauf zum 312 Meter hohen Arthurs Peak. Die Felsplatten dafür wurden ebenso eingeflogen wie der Kies.

Der frühere Weg, 1990 angelegt vom Hobart Walking Club, sei schmaler gewesen, sagt Jai McKay, mit Wurzeln und Steinen, überwuchert von Büschen. Diese Wildnis, schimpfen manche Tasmanier, sei nun verloren. Die Aussicht vom Gipfel freilich ist erhaben wie immer: auf die Klippen und hinüber zur anderen Seite der Tasman-Halbinsel, die mit ihren Wiesen und Wäldern an England erinnert. Die Würfelchen auf dem Weg dagegen sind eindeutig australisch: Wombatkot. Tasmanische Teufel wiederum hinterlassen graue Häufchen, wie man wenig später sieht. Auf der Halbinsel, isoliert durch einen Fluss, hat eine gesunde Population überlebt, unversehrt von dem Gesichtstumor, der in den vergangenen 20 Jahren die meisten Teufel dahingerafft hat.

Aus dem urigen Steig wurde ein bequemer Weg. (Foto: Tasmania Parks and Wildlife Service)

Dass es auf dem abgelegenen Tasmanien noch solch eine Artenvielfalt gibt, ist auch den ökologischen Nischen geschuldet. Eine davon durchwandert man bald nach dem Gipfel: einen 300 Meter breiten Streifen Nebelwald. Felsen und Stämme sind von Moos überzogen, Nebel wabert zwischen den Bäumen. Und am Wegesrand wächst das endemische Pineapple Candle Heath, eine Blume mit palmartigen Blättern, weißen Blütenstäben und orangefarbenen Knospen.

Der Nebelwald endet abrupt, Wind peitscht über die Heide. Aber schon zehn Minuten später schirmt wieder Eukalyptuswald ab. Überhaupt ändert sich die Vegetation ständig, fad wird das Laufen nie. Und wenn doch, so rüsselt am Wegesrand ein Echidna, der heimische Ameisenigel, durchs Unterholz. Oder ein Wallaby hüpft über den Weg, schaut minutenlang herüber und dreht alarmiert die Ohren.

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Irgendwann weist ein kleines Schild zu einem Campingplatz. Es sei der einzige Zeltplatz, sagt McKay, der nach der Renovierung des Wegs geblieben ist. Manche Tasmanier wandern den alten Pfad von Fortescue Bay nach Süden und zelten hier, als Statement gegen die Luxussanierung. Mehr als den Parks Pass brauchen sie dafür nicht.

Die meisten Wanderer aber wissen die warme Dusche in der zweiten Hütte wahrscheinlich zu schätzen. Lodge Nummer zwei legt bei den Annehmlichkeiten noch einen drauf: Für 90 Dollar kann man sich von der Hüttenwirtin massieren lassen, angeblich nach Aborigine-Art.

Am Morgen hat finsterer Nebel all die Herrlichkeit geschluckt. "Tasmanien kann eine kalte Geliebte sein", sagt McKay. Eigentlich steht heute die Königsetappe an, zum Cape Pillar und zurück. Doch nun regnet es. Zwei Damen aus dem Kulturbetrieb bleiben lieber gleich in der Lodge. Und verpassen zunächst mal wenig. Unter Kapuzen latscht die Gruppe durch die Waschküche, an einem Aussichtspunkt sind momentweise Fetzen einer Felswand zu sehen. "Das sind die höchsten Klippen der südlichen Hemisphäre", trägt McKay tapfer vor. "300 Meter tief stürzen sie ins Meer." Soso.

Doch gerade als alle ihre Sandwiches in einem zugigen Hain verschlungen haben, klart es zaghaft auf. Hoffend und bangend tritt die Gruppe hinaus auf die Felsnase namens Blade - und wie bestellt bläst der Wind den letzten Nebel hinweg. Zur Rechten brodelt das grüne Meer in einem Amphitheater aus schwarzen Säulen, Gischt schießt an der scharf geschnittenen Zinnenreihe des Dreizacks empor. Dahinter reiht sich Kap an Kap.

Ausgesetzt sei der Weg hinaus auf die Klinge, hat McKay gewarnt. Tatsächlich führt eine straßenbreite Steintreppe bequem den Kamm hinauf. An ihrem Ende zwängt man sich zwischen Felsblöcken hindurch - und steht am Abgrund, über einer Kette von Felspfeilern. Dahinter schälen sich die Klippen von Tasman Island aus dem Nebel, ein rotes Häuschen auf dem Hochplateau und über allem der bleiche Leuchtturm.

Die wohl ersten weißen Australier, die dieses grandiose Bild zu sehen bekamen, waren Tim Christie und Reg Williams. Sie schlugen sich Mitte der 1960er durch den Busch bis zum Cape Pillar, um den Cathedral Rock zu erklimmen: 80 Meter hohe Orgelpfeifen, die vor dem Kap aus dem Meer ragen. Sie sind wie alle Klippen hier aus Dolerit, einem ultraharten Vulkangestein, auch "Fluch Tasmaniens" genannt. Denn für die Bohrer der Minenfirmen ist die Doleritschicht, die unter zwei Dritteln Tasmaniens liegt, extrem schwer zu durchstoßen. Kletterer dagegen lieben Dolerit. Und so wundert es nicht, dass Jai McKay am letzten Tag draußen am windumtosten Cape Hauy erzählt, dass die Furchtlosen auch auf die Felsnadel namens Totempfahl kraxeln, die zwischen zwei Klippen in schäumender See steckt. Seinen Senioren waren die vielen Stufen bergauf und bergab bis hinaus zum Kap Extremsport genug. Von nun an aber geht es nur noch sanft abwärts bis zum Zieleinlauf an einer Sandbucht. "Kommt jemand mit zum Schwimmen?", ruft Jai McKay. Danke, beim nächsten Mal vielleicht. Wenn man noch ein bisschen wetterfester und tasmanischer ist.

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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