Nature-Writing-Buchreihe:Exotische Heimat

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Wenn der Nordseestrand gefroren ist, hinterlassen die Wellen bei Ebbe Bänder aus Eiskristallen. (Foto: Karsten Reise)

Strand, Bäume, Heide: Eine neue Buchreihe macht Lust auf deutsche und europäische Naturlandschaften. Man lernt, man staunt - zum Beispiel über die Sandlückenfauna.

Von Stefan Fischer

Gewiss, der Lokalpatriotismus spielt mutmaßlich eine Rolle. Aber als schlichte provinzielle Borniertheit lassen sich die folgenden Schüttelverse nicht abtun: "Nicht zum Süden übern Brenner, / Nein! Nach Norden zieht's den Kenner! / Wer florenzt, romt und venedigt, / ist nach kurzem schon erledigt. / Doch wer in die Göhrde fährt, / dem wird höchstes Glück beschert."

Die spöttisch kulturfeindlichen und naturfreundlichen Reime stammen aus einem Ende der Siebzigerjahre im Selbstverlag von Hans und Ragnit von Mosch herausgegebenen Büchlein mit dem Titel "Ferien in der Köhlerei". Und der nun daraus zitiert in wiederum seinem Buch "Unter Bäumen", das ist der emeritierte Professor für Erziehungswissenschaften Helmut Schreier. Sein selbst auferlegter Erziehungsauftrag: Seine Begeisterung für die Natur mitzuteilen und im Idealfall weiterzureichen. "Unter Bäumen ist mir wohl", so Schreier. Wohler offenkundig als in bedeutsamen Städten. Jedenfalls ist der vielgereiste Mann an der Mittelelbe sesshaft geworden und weiß die Natur um ihn herum immer mehr zu schätzen.

Die Göhrde, das ist ein 75 Quadratkilometer großer Staatsforst in Niedersachsen, unweit der Elbe und der ehemaligen innerdeutschen Grenze, mit viel altem Baumbestand, in den zuletzt wieder zwei Wolfsrudel zurückgekehrt sind. Und die Göhrde ist eine von fünf Waldgebieten in der näheren Umgebung, die Helmut Schreier gut kennt und an denen er seine Ausführungen über Bäume und Wälder konkretisiert.

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"Unter Bäumen" wiederum ist eines von drei Büchern, mit denen der KJM-Buchverlag eine neue Reihe begonnen hat, die European Essays on Nature and Landscape . Die beiden anderen Bücher befassen sich mit dem Strand und der Heide. Im Herbst sollen vier weitere Titel erscheinen, "Hügelland", "Meer", "Talmäander" und "Himmel". Nature Writing ist das Stichwort, ein literarischer Trend, der sich in den zurückliegenden Jahren massiv verstärkt hat. Robert Macfarlane ist da zu nennen, natürlich auch Judith Schalansky. Und gemeint sind Werke, die sich nicht allein auf wissenschaftliche Fakten beschränken wollen in der Beschreibung von Natur.

In den deutschsprachigen European Essays on Nature and Landscape steht der Klimaschutz im Fokus. Doch um ihn in den Blick nehmen zu können, gilt es, konkrete Landschaft präzise zu skizzieren. Also in ihre Vergangenheit, in ihr Werden zurückzuwandern, um Entwicklungen begreifbar zu machen, die entweder bis heute andauern oder abgebrochen worden sind zugunsten von etwas Neuem.

"Wälder sind Gebilde von Menschenhand", schreibt Schreier, und das gilt viel mehr noch für die Heide. Der Journalist und Autor Claus-Peter Lieckfeld, geboren in der Lüneburger Heide und dort tief verwurzelt - ein Heidjer also -, schildert pointiert, wie diese Landschaft her- und zugerichtet worden ist, um ihren Bewohnern ein karges Auskommen zu bescheren. Und dass es sie in dieser Form heute nicht mehr geben würde, da sie ihren ursprünglichen Zweck längst nicht mehr erfüllt, wenn nicht früh erkannt worden wäre, dass es diese Landschaftsform zu schützen gelte.

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Davon profitiert heute der Tourismus. Der ein eher sanfter sein muss, wenn er nicht zerstören will, was als sehens- und erlebenswert empfunden wird. Dafür wollen die Essays sensibilisieren, durch eine hohe Sachkunde der Autoren. Ein Kenntnisreichtum, der in allen drei Büchern kein angelesener ist, sondern angehäuft durch eigenes Erleben und Erforschen.

Auch bei Karsten Reise und Hella Kemper geht es in "Strand" um ganz konkrete Strände an und in Nord- und Ostsee, um ihr Wachsen und Schwinden, um den Artenreichtum in einer Handvoll Sand. Besonders bemerkenswert ist eine Passage über die sogenannte Sandlückenfauna. Damit sind allerkleinste Tiere gemeint, die sich durch die engen Lücken zwischen den Sandkörnern bewegen können, ohne diese beiseite schieben zu müssen.

Strände von Algen zu säubern, ist nicht nur eine ästhetische Frage

Man lernt, man staunt, lässt sich begeistern in diesen bibliophil gestalteten Büchern von Naturräumen, die die meisten Leserinnen und Leser wohl eher nur oberflächlich kennen. Und begreift, dass jedes menschliche Handeln Folgen hat für die Wälder, die Heide, die Strände, positiv wie negativ und manchmal auch beides zugleich - denn die Landschaften existieren nicht einfach, auf immer und ewig gar, sondern sind eine Ausgestaltung der Umstände. Strände von Algen zu säubern, ist nicht nur eine ästhetische Frage. Jede forstwirtschaftliche Strategie wirkt sich aus auf das Ökosystem Wald. Und ohne Heidschnucken schon längst keine Heide mehr.

Angenehm ist, dass alle drei Bücher eher spielerisch mit ihrem jeweiligen Thema umgehen und der Appellcharakter sich in engen Grenzen hält. Es geht in "Heide", "Strand" und "Unter Bäumen" nicht um Ideologie, sondern um Leidenschaften.

Claus-Peter Lieckfeld : Heide. European Essays on Nature and Landscape. KJM-Buchverlag, Hamburg 2023. 135 Seiten, 20 Euro.

Karsten Reise, Hella Kemper : Strand. European Essays on Nature and Landscape. KJM-Buchverlag, Hamburg 2023. 144 Seiten, 20 Euro.

Helmut Schreier : Unter Bäumen. European Essays on Nature and Landscape. KJM-Buchverlag, Hamburg 2023. 143 Seiten, 20 Euro.

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