Trentino:Dörfer mit Gütesiegel

Lesezeit: 5 Min.

Ein Geflecht aus steilen, engen Gassen mit blumengeschmückten Häusern: Canale di Tenno zählt zu den "schönsten Dörfern Italiens". (Foto: mauritius images/Udo Bernhart)

Sechs Gemeinden im Trentino dürfen sich als "schönste Dörfer Italiens" bezeichnen. Der Titel ist vor allem ein Wiederbelebungsversuch.

Von Stephanie Schmidt

Silbrig-grün schimmern die Hügel der Landschaft zwischen der Stadt Trento und Riva del Garda an der Nordspitze des Gardasees. Denn Tausende Olivenbäume haben sich auf ihnen eingewurzelt. In den Tälern zu ihren Füßen wachsen Weinreben, Pflaumen- und Apfelbäume, auch Kiwis werden hier kultiviert. "Wir besitzen eine doppelte Identität - die mediterrane und die alpine", sagt Giulio Bonomi auf der Fahrt durch diese fruchtbare Gegend und zeigt auf die Kletterfelsen in der Nähe des Städtchens Arco.

Bonomi ist Inhaber des kleinen Transportunternehmens Ingoviaggi. Vorzüglich sei der Grappa, der in der Umgebung destilliert werde, sagt er mit schwärmerischem Blick. Einer, der seine Heimat wirklich liebt, denkt man sich. Über steile Straßen mit Haarnadelkurven fährt er Touristen, die mehr über die Kulturgeschichte der Region erfahren möchten, hinauf zu den mittelalterlichen Dörfern, die sich mit dem Prädikat "I borghi più belli d'Italia" - "Die schönsten Dörfer Italiens" - schmücken: Canale di Tenno, Rango und San Lorenzo in Banale. Ihre Gebäude stammen aus dem 14. oder 15., manche sogar aus dem 13. Jahrhundert. Ganz Italien zählt knapp 300 dieser "schönsten Dörfer", sechs von ihnen befinden sich im Trentino.

Gerade mal 40 Menschen wohnen in Canale di Tenno. Der Ort zieht Künstler und Wanderer an

Kühl und klar ist die Luft an diesem sonnigen Frühlingstag in Canale di Tenno. Eingebettet in Olivenhaine liegt es auf einer Höhe von 600 Metern. Von hier blickt man auf die markanten Gipfel der Pichea-Gruppe, sie tragen noch Häubchen aus Schnee. Urkundlich erwähnt wurde der Ort erstmals im Jahr 1221 - einige Gemäuer blieben bis heute so gut wie unversehrt. Ein Geflecht aus steilen, engen Gassen führt durch das Dorf mit seinen Häusern aus Kalkstein, Bogengängen und kleinen Innenhöfen. Hier fahren keine Autos, Souvenirläden und Restaurants gibt es nicht, aber vor ein paar Jahren eröffnete eine Bed&Breakfast-Herberge.

Still ist es hier, umso lauter hallen die Absätze einiger Besucher auf dem gepflasterten Weg. Sie wollen zum Künstlerhaus, der Casa degli Artisti Giacomo Vittone, um sich die Ausstellung "Arte Donna" anzusehen. Sie widmet sich bis 16. Juni speziell italienischen Künstlerinnen, die mit ihren Gemälden und Skulpturen das Novecento, also das 20. Jahrhundert, prägten. In der Casa degli Artisti werden regelmäßig Workshops für Musiker und Künstler veranstaltet.

In einem der Räume befindet sich eine historische Feuerstelle mit Sitzbänken. "Hier saßen die Familien früher zusammen und aßen Polenta", sagt Reiseführerin Carmen Picciani. "Im Mittelalter wohnten die Menschen teils gemeinsam mit ihren Tieren", fügt die Trentinerin hinzu und weist auf die auffallend breiten Eingangstore einiger Häuser hin: Auch das Vieh und hölzerne Karren für den Warentransport mussten hindurchpassen. Picciani kennt sich in der Geschichte der Region bestens aus und begleitet regelmäßig Besucher in "I borghi più belli d'Italia" des Trentino.

Hinter dem Titel steckt eine private, im Jahr 2001 gegründete Vereinigung mit Sitz in Rom, deren Ziel es ist, Ortschaften mit herausragender historischer und kultureller Bedeutung zu erhalten. Dafür hat dieser Klub Kriterien definiert. "Fördermittel vergeben wir nicht, aber wir machen Werbung für die Dörfer", sagt Monica Gillocchi, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung zuständig ist. Der Titel zieht Touristen an. Auch Geldgeber und Veranstalter gewinnt man damit leichter. Schließlich gilt es zu verhindern, dass die mittelalterlichen Dörfer verlassen werden.

So war Canale di Tenno nach Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den Sechzigerjahren ein Geisterdorf. Auch heute leben gerade mal 40 Einwohner ganzjährig dort. Zum Beispiel Claudia Ceretti und Eugenio Pachner, ein älteres Paar, das hier eine Töpferwerkstatt mit Ladengeschäft betreibt. Neben Tellern, Schalen oder Vasen finden sich im Laden auffallend viele Deko-Objekte in Katzengestalt. "Das sind unsere Lieblingstiere, wir haben sieben Katzen", sagt Ceretti. Vor 21 Jahren kamen sie aus dem Veneto hierher, um zu töpfern. An beinahe 365 Tagen im Jahr. Wird ihnen das nicht zu langweilig? Pachner schüttelt den Kopf. Indessen verfrachtet seine Frau mit einer Schaufel eine glutheiße Katzenkeramik auf einen Erdhaufen und bedeckt sie rundherum mit Erde, damit sie abkühlt. Konsum bräuchten sie keinen, sagen die beiden. Wenn sie doch mal das Bedürfnis nach einer gewissen Urbanität haben, ist der Aufwand gering, denn von hier nach Riva del Garda braucht man nur circa eine Viertelstunde mit dem Auto, nach Trento etwa eine Dreiviertelstunde.

"Im Sommer ist in Canale ein bisschen mehr los als im Frühling", sagt die Touristenführerin Picciani, "da kommen Mountainbiker und Bergsteiger. Man kann gleich vom Ort aus loswandern." Einer der bekannten Wanderwege, die sie selbst gegangen ist, heißt Sentiero della Regina. Zudem findet hier jedes Jahr in der zweiten Augustwoche ein Mittelalterfest statt.

Die Mitgliedschaft im Club motiviert die Bewohner dazu, ihr Dorf hübsch herauszuputzen

Auf der Weiterfahrt nach Rango bieten sich grandiose Ausblicke auf die Berge und Hochebenen im Gebiet der Giudicarie oder Judikarien, das sich von den Voralpen bis zu den Brenta-Dolomiten und der Adamello-Gruppe erstreckt. Erst 2015 wurden die Giudicarie gemeinsam mit den Alpen um den nahe gelegenen Ledrosee Biosphärenreservat der Unesco. Während im Tal Mandelbäume und Blutpflaumen blühen, ziehen auf der Fahrt von Canale nach Rango Nadelbäume, rosafarbene Erika-Blütenpolster und sattgelb leuchtende Forsythiensträucher an einem vorbei.

Kulturhauptstadt Matera
:"Nationale Schande" war einmal

Die Bewohner lebten einst in den Felswänden, Schriftsteller Carlo Levi sprach vom "höllischen Krater" - und machte das süditalienische Matera erst berühmt. Nun ist ausgerechnet der Ort der Wohnhöhlen Kulturhauptstadt.

Von Thomas Steinfeld

Interessant sind die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede zwischen den Dörfern dieser teils nur dünn besiedelten Region. Rango liegt auf einer Höhe von 800 Metern. Wie in Canale hängen getrocknete Maiskolben an den Balkonen aus jahrhundertealtem Holz, rote Geranien blühen vor den Fenstern. Typisch für diese mittelalterlichen Dörfer sind die Scheunen der oberen Stockwerke, in denen Heu getrocknet wurde. Für Rango charakteristisch ist die Form des Rundbalkons Ballatoio, der sich um einige der alten Häuser schmiegt. Der Ort wirkt etwas offener und freundlicher als Canale, was er auch seiner Lage in der breiten, rundherum von Bergen umkränzten Hochebene von Bleggio verdankt, die reich ist an Walnussbäumen. Sollte es Besuchern in einem der "schönsten Dörfer" so gut gefallen, dass sie sich dort eine Ferienwohnung mit mittelalterlichem Flair einrichten wollen, haben sie gute Chancen. Immer wieder sieht man an den Hausmauern ein Schild mit der Aufschrift "Vendesi - zu verkaufen". Sie müssen sich allerdings mit den strengen Vorschriften der Denkmalschutzbehörden anfreunden.

Nach ein paar Kilometern Autofahrt erreicht man das Dorf San Lorenzo in Banale, das ebenfalls auf einer Höhe von 800 Metern liegt. Jeder seiner sieben Ortsteile wartet mit einer oder mehreren Besonderheiten auf, fürs Auge oder für den Gaumen: So sind zum Beispiel im Kirchlein San Rocco in Pergnano aus dem 16. Jahrhundert stammende Fresken der Künstlerfamilie Baschenis zu sehen, die in vielen Tälern des Trentino wirkte. Im Ortsteil Senaso wird eine lokale Spezialität hergestellt - die Ciuìga-Wurst, eine tannenzapfenförmige Salami aus Schweinefleisch und Gemüse. In der Umgebung von San Lorenzo kann man viel unternehmen - zum Beispiel wandern im Naturpark Adamello Brenta und im Val d'Ambiez. oder auf dem Lago di Molveno, einem der schönsten Bergseen des Trentino, segeln. Oder den nahe gelegenen Ort Comano Terme besuchen, der für sein Heilwasser bekannt ist.

Egal ob die Initiative zum besonderen Schutz einer Kommune von Institutionen der Autonomen Provinz Trient ausging oder von den Einheimischen selbst: Prangen die rot-weißen Schilder des Vereins erst einmal an den Fassaden, wirkt das motivierend auf Bewohner: "Man kann sehen, dass Dörfer, die zu diesem Klub gehören, besonders hübschen Blumenschmuck haben und dass sich die Einheimischen mehr um die Pflege und Renovierung kümmern als in anderen Ortschaften", bemerkt Carmen Picciani. Seit 2012 ist die Zahl der Mitglieder des Vereins jedenfalls stark gewachsen - Bewerber werden ihm auch in Zukunft willkommen sein.

© SZ vom 04.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusItalien
:Lieblingsorte am Gardasee

Wer an den Lago di Garda fährt, reist dem Sommer ein Stück entgegen. Wir haben die besten Plätze für Sie zusammengetragen.​

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: