Italien:Logieren in verstreuten Berg-Bauernhöfen

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Manche Dörfer waren jahrhundertelang von der Außenwelt abgeschnitten. Hier haben sich alte Mundarten und Traditionen gut erhalten. (Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

Weite Teile der Karnischen Alpen in Friaul-Julisch Venetien waren einst von der Außenwelt isoliert. Heute profitiert die Gegend davon.

Von Helmut Luther

Zuerst ist da nur ein Paar schlammverschmierte Gummistiefel an der Hauswand zu sehen. Rauch kringelt sich über der Küche, die im rechten Winkel an einen schmalen, lang gezogenen Stall angebaut wurde, ein graues Natursteingebäude am Osthang des Monte Zoncolan. Der Stall ist schon leicht in sich zusammengesunken, die Alm wirkt verlassen. Aber da ist ein Dutzend schwarz-weiße Kühe, die stoisch im Gras rund um die Hütte weiden, wo tagelanger Regen die Böden zu einer einzigen Matschfläche aufgeweicht hat. In den seltenen Augenblicken, in denen ein paar Sonnenstrahlen hinter den Wolkengebirgen hervorblitzen und die Szene beleuchten, glänzt das Fell der Tiere seidig.

Eine Tür neben der Küche steht offen, dahinter zeichnen sich die Umrisse eines eisernen Bettgestells ab. Unter einem Stapel Decken schaut dort ein mit einer Wollmütze bedeckter Kopf hervor. Keine schlechte Idee angesichts der Wetterlage, es regnet ja schon wieder. Er behalte von dieser Position aus seine Tiere stets im Auge, sagt der Mützenmann, der sich als Ibrahim vorstellt. "Gleichzeitig sitze ich im Warmen und Trockenen." Der etwa 35-jährige Mann kommt aus einem Dorf in der Nähe von Marrakesch. Er ist schüchtern, und sein Italienisch ist ziemlich gebrochen, weshalb er auch nicht genau sagen kann oder will, seit wann er hier ist und wie es ihn auf die Alm verschlagen hat.

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(Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

Auf dem Karnischen Höhenweg an der Staatsgrenze zwischen Italien und Österreich erleben Wanderer eine urwüchsige alpine Landschaft. Fotos: Roberto Maggioni/Tourist Marketing

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(Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

Gletscher und spektakuläre Felsformationen sucht man in den Karnischen Alpen vergeblich. Doch die Einheimischen sind stolz auf ihre Berge.

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(Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

Viele Entwicklungen hat die Gegend ignoriert oder verschlafen. Doch dass die Dörfer von hässlichen Neubauten verschont geblieben sind, gefällt Touristen.

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(Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

Kulinarisch haben die Bewohner diesseits und jenseits der österreichisch-italienischen Grenze viel gemeinsam.

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(Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

Viele Produkte stammen aus der heimischen Almwirtschaft: Butter, Eier, Milch,...

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(Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

...oder geräucherter Ricotta.

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(Foto: N/A)

Aus San Daniele, nordwestlich von Udine, stammt der gleichnamige luftgetrocknete Schinken.

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(Foto: Roberto Maggioni/Tourist Marketing)

Übernachten können Gäste in manchen Orten in ehemaligen Bauernhäusern, die über das gesamte Dorf verstreut sind - "Albergo diffuso" heißt dieses Konzept.

Das Kühemelken beherrsche er inzwischen problemlos, gibt er zu verstehen, die Einsamkeit hier oben mache ihm ebenfalls wenig aus, nur an die Kälte könne er sich nicht gewöhnen, erklärt er und reibt sich die Oberarme. "In Marokko ist es jetzt 45 Grad heiß!" Erst im Spätherbst wird Ibrahim in sein Heimatdorf zurückkehren und seine Frau und den knapp einjährigen Sohn in den Arm nehmen. Vorher muss er jedoch mit den Kühen dem Weidegras hinterher weiter auf den Berg hinaufziehen, wo es um einiges kühler sein wird. "Ob ich mir Handschuhe besorgen soll?"

Die Meleit-Alm und der Monte Zoncolan befinden sich im Herzen der Karnischen Alpen. Der Zoncolan ist eher breit und stämmig als steil, als Berg also ein typischer Vertreter des Karnischen Hauptkammes, der sich zwischen Italien und Österreich auf einer Länge von etwa 150 Kilometern erstreckt. Seine höchste Erhebung bildet die Hohe Warte, mit 2780 Metern eher ein Mittelkaliber. Es gibt in diesem Teil der Alpen weder Gletscher noch spektakuläre Felsformationen wie beispielsweise in den Dolomiten. Es ist kein Gebiet für Leute, die ihr Tourenbuch mit namhaften Gipfeln schmücken wollen. Die Einheimischen der Region Friaul-Julisch Venetien sind aber stolz auf ihre Berge und noch mehr auf ihr Furlan, eine amtlich anerkannte Minderheitensprache, die nach einer umstrittenen Theorie mit dem Ladinischen und Bündnerromanischen verwandt sein soll. Jedenfalls ist sie ziemlich alt.

Alt bedeutet in dieser Region allerdings auch, dass man hier viele Entwicklungen ignoriert oder gar verschlafen hat. Die lokalen Tourismusbetreiber hingegen fänden schon allein aus eigenem Interesse etwas mehr Bewegung gut. "Unser Hauptproblem ist, dass die regionale Politik auf Orte abgestimmt ist, an denen es viel zu verdienen gibt: auf Adriastädte wie Grado oder Lignano Sabbiadoro", sagt Enzo Marsiglio. Der 57-jährige gelernte Bankkaufmann muss es wissen, schließlich war er lange Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Sutrio und sitzt nun für den Partito Democratico, die Partei von Ministerpräsident Matteo Renzi, im Regionalparlament.

Es ist der zweite verregnete Wandertag auf einem der Zubringerwege des Karnischen Höhenweges. Marsiglio empfängt die Gruppe in Sauris, einem jahrhundertelang von der Außenwelt abgeschnittenen Dorf. Was früher einen Nachteil bedeutete, stellt heute einen Vorteil dar: Die deutsche Mundart, die einige Bewohner immer noch sprechen - ihre Vorfahren sind vermutlich aus dem Hochpustertal eingewandert - , hat sich genauso erhalten wie archaische Faschingsbräuche und der von hässlichen Neubauten verschonte Ortskern. All das zieht nun Touristen an. Vor allem jedoch liegt Sauris auf einer grünen Sonnenterrasse, umrahmt von Gipfeln, im Tal leuchtet ein nach dem Zweiten Weltkrieg gebauter Stausee.

Die Gäste logieren nicht wie sonst üblich in Hotels, sondern in ehemaligen Bauernhäusern, die über das gesamte Dorf verstreut sind. Vom Zimmerfenster aus kann man dem Nachbarn dabei zuschauen, wie er auf seinem Hackstock Brennholz zerkleinert. Im ersten Dämmerlicht beginnen einige Hähne mit ausgiebigem Morgengrüßen. Dieses "Albergo diffuso" genannte Konzept, das es längst in mehreren italienischen Orten gibt, sei in den Neunzigerjahren zum ersten Mal in Sauris umgesetzt worden, behauptet Enzo Marsiglio. Er selbst habe als Bürgermeister in seiner Gemeinde Sutrio versucht, ein ähnliches Dorftourismus-Projekt auf die Beine zu stellen. "Den meisten Gästen gefällt diese Art des Wohnens. Manche reisen allerdings vorzeitig ab, weil sie die ungewohnte Stille nicht ertragen."

Wandern kann man hier jedenfalls sehr gut. Im Nachbartal Pesarina geht es an Buchen vorbei, deren noch zartes Laub von den Frühjahrsfrösten verbrannt wurde, es folgt ein Zickzackweg hinauf zu einem Hochplateau rund um eine verlassene Alm. Die menschenleere Weite mit niedrigen Sträuchern, Tümpeln und im Wind wogenden Seggengräsern ähnelt einer Tundralandschaft. Dann geht es steil hinab in das Pesarinatal, durch das der gleichnamige Fluss mäandert.

Im Hauptort Pesariis leben heute 150 Menschen, vor einem halben Jahrhundert waren es noch 800. An die großen Zeiten erinnert das Uhrenmuseum in einem Haus an der Hauptgasse, mit Hunderten verschiedenen Modellen, die im Lauf der Zeit in Mode waren. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg bildete Pesariis ein wichtiges Zentrum der Uhrenproduktion. Einige in der Branche bahnbrechende Erfindungen wie die mechanische Klappzahlenuhr habe man hier gemacht, erklärt die Museumsführerin Pamela Casali. Dass auf den deutschsprachigen Flyern im Regal aufgrund vertauschter Buchstaben das Uhren- als "Hurenmuseum" bezeichnet wird, deutet die junge Frau schlagfertig als Marketingtrick: "So kommen mehr Besucher!" Man wünscht es dem verschlafenen Ort, die letzte Eintragung im Museumsgästebuch ist eine Woche alt.

Am letzten Wandertag übernimmt erneut ein Bürgermeister die Führung. Nachdem er sein Auto an einer Kehre unterhalb des Lanzenpasses geparkt hat, zeigt Merlino Peresson, erster Bürger von Arta Terme, einen Grenzstein aus der Zeit Maria Theresias: Vorne ziert ihn das Bild eines Doppeladlers, auf der Rückseite prangt Venedigs Löwe. Im Schlangenkurs geht es an der Grenze entlang, sobald die Kammhöhe über den Weg 403 erreicht ist. Der Blick schweift über bewaldete Hügel mit hineingetupften Almwiesen, im Osten ragen die silbrigen Felsspitzen der Karawanken empor.

Ein letztes Schild mit der Aufschrift "Achtung Grenze" habe er erst vor einigen Jahren gemeinsam mit seinem österreichischen Amtskollegen abmontiert, sagt Peresson, als wir an einer langsam verfallenden Zollhütte vorbeikommen. Was sich vor der Hütte wie ein gewundener, grasbewachsener Bewässerungskanal ausnimmt, sei in Wahrheit ein Schützengraben aus dem Ersten Weltkrieg, erklärt Peresson. "Dabei gibt es zwischen uns und den Bewohnern jenseits der Grenze viele Gemeinsamkeiten, nicht zuletzt in der Küche."

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Eine Kostprobe davon gibt es beim Abendessen im Agriturismo Pramosio. Er schmiegt sich an ein natürliches Amphitheater, in dem der Wachposten einer Murmeltierkolonie Männchen machend vor seiner Höhle steht. In die grünen Hänge ringsum hat das Weidevieh seine Trampelpfade gedrückt. Teresa und Marino Screm führen die Almwirtschaft seit 33 Jahren gemeinsam mit zwei mittlerweile erwachsenen Söhnen und scheinen sich gegenseitig bestens zu ergänzen. Der stämmige Marino schweigt lieber und verschwindet beim Auftauchen von Gästen in der Käserei hinter dem Haus, wo man ihn mit Kannen und Töpfen hantieren hört. Die kommunikative Teresa hingegen zeigt sich höchst erfreut über das Interesse an ihrem Betrieb, "dem ersten Agriturismo im Friaul!", wie sie stolz verkündet.

Nachdem sie den Gästen in geschmolzener Butter ertränkte Cjarsons serviert hat - das sind Teigtaschen, die mit zerstampften Kartoffeln, Kräutern, Rosinen sowie Topfen gefüllt werden -, setzt sie sich in dunkelblauer Daunenweste und weißen Lederschuhen mit an den Tisch. Alles hänge von artgerechter Tierhaltung ab, erklärt die Wirtin. Das bedeute: Sämtliche hier angebotenen Spezialitäten aus Butter, Käse, Eiern und Milch seien von höchster Qualität, sogar der Speck ihrer Hausschweine enthalte viele Omega-3-Fettsäuren, weil die Tiere hauptsächlich mit Molke gefüttert würden. "Das habe ich bei einem Fortbildungskurs im österreichischen Villach gelernt", sagt sie. "Für unsere Produkte haben wir viele Auszeichnungen bekommen."

Den Übernachtungsgästen stehen im Agriturismo neben einem Matratzenlager mehrere Zweibettzimmer mit Holzvertäfelung und Wandbehang zur Verfügung. Im Dachzimmer direkt unter dem Kamin sollte man allerdings darauf achten, dass das Klappfenster über Nacht geschlossen bleibt. Denn Marino Screm feuert in seiner Selchkammer abends noch mal kräftig an - andernfalls riecht man am nächsten Tag selbst nach geräuchertem Speck.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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