Hudson Bay:Im Bus zum Bären

Lesezeit: 5 min

Im kanadischen Churchill leben die Menschen mit und von den Eisbären - ein Spaziergang im Dunkeln kann hier tödlich enden.

Birgit Lutz-Temsch, Churchill

Der Bär ging durch das Tor in die Garage des Krankenhauses - und zwar im Wortsinn. Das massive Eisentor war verschlossen. Der Eisbär zertrümmerte es einfach, mit ein paar Prankenschlägen. Das machen Bären so, wenn sie irgendwo hineinwollen.

Hudson Bay: Churchill liegt mitten im Eisbärenland.

Churchill liegt mitten im Eisbärenland.

(Foto: Karte: SZ-Graphik)

Vorkommnisse wie diese sind nicht alltäglich in Churchill. Aber ungewöhnlich auch wieder nicht. Bob Windsor, der Chef der örtlichen Naturschutzbehörde Manitoba Conservation, steht in den Trümmern und sagt: "So etwas passiert jedes Jahr hier. Das ist auch ganz gut, denn es erinnert die Leute daran, dass sie vorsichtig sein sollen. Gerade wenn sie leichtsinnig werden."

Leichtsinnig werden heißt in Churchill, dem Ort mit weniger als 1000 Einwohnern am Ufer der Hudson Bay, dass man im Herbst besser nicht alleine spazieren geht. Dass man eigentlich überhaupt nicht spazieren geht. Dass man 50 Meter zum Supermarkt mit dem Auto fährt, vor allem, wenn es dunkel ist. "In der vergangenen Woche hatten wir 30 Bären in der Siedlung", sagt Windsor. Das sind im Schnitt mehr als vier am Tag.

Dass die Bären so oft in den Ort kommen, liegt nicht am Klimawandel und nicht daran, dass die Eisbären Hunger haben. Das wärmere Klima setzt ihnen zwar enorm zu (Bericht folgt), aber das ist nicht der Grund für ihre Spaziergänge durch Downtown Churchill. Dass hier so viele Bären auf relativ kleinem Raum unterwegs sind, liegt an zwei Dingen: An der Eisströmung in der Hudson Bay - die verläuft gegen den Uhrzeigersinn. Und an der Lage Churchills - in der Nähe eines Kaps.

Endstation Churchill

Wenn im Sommer das Eis in der Bucht aufbricht, driften die Bären auf den letzten Schollen gegen den Uhrzeigersinn, bis sie am Kap hängen bleiben. An dieser natürlichen Endstation steigen sie vom Eis und wandern ein Stück weit hinein ins Land.

Wenn im Herbst die Bucht dann wieder zufriert, kommen die Bären zurück ans Ufer, und wiederum in die Nähe von Churchill: Weil hier mehrere Flüsse ins Meer münden, und Süßwasser schneller friert als Salzwasser. Das wissen die Bären. Und da stört nun dieses Churchill, vom Menschen mitten hinein in den Migrationsweg gebaut.

Der Mensch steht zwar nicht ganz oben auf dem Speiseplan der Bären, denn er ist nicht fett genug. Fett genug sind nur Robben. Aber ein Eisbär, der naturgemäß den ganzen Sommer über sehr wenig gegessen hat, hat im November Hunger. Ein Mensch wäre dann also auch recht.

Jenseits aller Scherze ist die jährliche Bärenwanderung ein ernstes Problem für die Bewohner Churchills, zumindest gewesen. "In den sechziger Jahren hatten wir in einem kurzen Zeitraum fünf Todesfälle", erzählt Windsor, "und aus Notwehr wurden jedes Jahr um die 20 Bären erschossen. Es musste eine Lösung her, für die Menschen und die Bären."

Bei Problemen ins Gefängnis

So kam es zur Einführung des sogenannten Polar Bear Alert Programms, dessen Chef Windsor ist. Drei Hauptziele hat dieses Programm: Die Sicherheit der Menschen und ihres Eigentums zu garantieren, den Bärenbestand zu erhalten und Maßnahmen zu ergreifen, die eine Gewöhnung der Bären an den Menschen verhindern. Drei Kontrollzonen haben die Eisbärenwächter in und um den Ort eingeführt; überall stehen Schilder mit einer Telefonnummer, bei der man sofort anrufen soll, wenn man einen Bären sieht.

Innerhalb von Minuten rücken dann die Wächter an und versuchen, ihn mit Signalpistolen zu vertreiben, was in den meisten Fällen gelingt. Manchmal gehen die Bären auch in eine der an besonders kritischen Orten aufgestellten Fallen. Dann kommen sie in das Eisbärengefängnis, ein Gebäude außerhalb der Stadt, ähnlich wie ein Flugzeughangar, in dem es 28 Zellen für Bären gibt.

"Bären sind nicht dumm", sagt Windsor, "sie merken sich, dass sie nach einem Besuch im Ort eingesperrt waren. Das wollen wir. Die Bären sollen Menschen weder mit Futter noch mit anderen angenehmen Erfahrungen verbinden, damit sie nicht wiederkommen." Mindestens 28 Tage bleiben die Gefangenen in dem Polar Bear Compound, in dem sie nichts zu essen bekommen. Das sind die Bären während ihrer Zeit an Land ohnehin gewöhnt.

Nach 28 Tagen werden die Tiere per Hubschrauber in die Tundra ausgeflogen, außerdem markiert, damit die Wächter sehen können, ob sie dieselben Bären mehrmals fangen. "Nur richtige Problembären lassen wir bis zum Zufrieren der Bay im Compound und fliegen sie weit aufs Eis hinaus", sagt Windsor. Als Problembär gilt zum Beispiel der Besucher der Krankenhaus-Garage.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema