Marc Born sitzt am Rande des Allgäus in einem Spa-Hotel und freut sich, dass die Bedienung gerade die Tischkerze angezündet hat. Die Tischkerze ist für sich genommen nicht entscheidend, das weiß Born auch. Aber Kerzenschein sorgt für Stimmung, Pärchenstimmung. Und Pärchenstimmung ist genau, was der Geschäftsmann Born hier haben will.
Born ist 31 Jahre alt und der Gründer von Weekend4Two, einer Internetseite, die auf Kurzurlaub für Paare spezialisiert ist. Seit November ist er auch in Deutschland aktiv. Eben hat er noch in der Sauna geschwitzt, jetzt sitzt er in der Wälderstube des Balderschwanger Hotels mit dem etwas umständlichen Namen "Hubertus Alpin Lodge und Spa" und spricht über das Geschäft mit den Paaren auf der Suche nach Romantik, Wellness, Sport, vor allem aber Zweisamkeit. "Da sollen nicht unbedingt Kinder rumflitzen", sagt Born, "sonst ist die Stimmung dahin."
In der Schweiz sei Weekend4Two inzwischen Marktführer, sagt Born. Eine Statistik, einen Beleg für seinen Erfolg, gibt es allerdings nicht. Auch in Deutschland erfasst noch niemand den Marktanteil, den Zielgruppen wie Paare inzwischen haben. Sicher ist nur: Hotels und Reiseanbieter wenden sich immer stärker bestimmten Zielgruppen zu. Ob Singles, Paare, Familien, Senioren, es geht darum, das Gefühl zu vermitteln: Hier ist ein maßgeschneidertes Angebot, nur für dich.
Der Urlauber will schon vor der Reise wissen, was ihn erwartet, sogar die Sportgeräte-Marke
Und nicht nur Lebensphasen werden in eigenständige Hotels verwandelt, auch aus Hobby, Interessen, Vorlieben und sexueller Orientierung zimmert die Reisebranche ihre Ideen: Für Angler gibt es inzwischen genauso Hotels wie für Heavy-Metal-Fans, Nachtschwärmer, Gesundheitsbewusste, Surfer oder Hundebesitzer. Früher war es nur wichtig, zwei Wochen an irgendeinem Strand zu verbringen, wo das Hotel vor allem das bot: von allem etwas. "Heute", sagt Steffen Boehnke, "will der Kunde es ganz individuell."
Steffen Boehnke ist bei Tui Deutschland für Zielgruppen- und Konzepthotels zuständig. Inzwischen reisen mehr als die Hälfte der Tui-Gäste in ein Hotel mit einem speziellen Konzept, 84 Häuser dieser Art gibt es bei dem Unternehmen schon. Allein in der Saison 2016, die im April beginnt, eröffnen 34 neue Tui-Häuser, die sich an eine besondere Zielgruppe wenden. Das Gleiche bei Thomas Cook. Das Unternehmen startet seine nächste Marke, Casa Cook, im Mai. In den dazu gehörenden Hotels hat man es auf Lifestyle-bewusste Reisende abgesehen. Die Hotel-Gruppe Remus hat sich sogar ganz auf eine Zielgruppe festgelegt, die oft zahlungskräftige Generation 50 plus. Alle aber eint: Wer in einem Konzepthotel bucht, will vor allem eines - unter seinesgleichen sein.
Reise-Knigge Hotel:Schön, dass Sie da waren!
So kommt man stilvoll bis zum Pool und bewahrt Gelassenheit in wirklich peinlichen Situationen. Was man im Hotel darf und was man besser lässt.
"Der Kunde will schon vor der Reise sehr genau wissen, was ihn erwartet", sagt Tui-Mann Boehnke. Selbst die Marke der Sportgeräte vor Ort werde abgefragt. "Dafür aber ist auch die Zahl der Wiederholer größer." Derjenigen also, die das Hotel weitere Male buchen. An der Vernischung der Hotelbranche führt anscheinend kein Weg mehr vorbei: Der Kunde wünscht es so. Andererseits bekommen Hotels neue Kunden. Auch wenn man dafür, wie in einer Neuköllner Fabriketage geschehen, Wohnwagen mit Namen wie "Herzensbrecher" und "Berghütte" bereitstellen muss - ein Wohnwagen-Hotel.
In Balderschwang, im Hubertus Alpin Lodge und Spa, das auf Paare spezialisiert ist, erwartet die Kunden ein fein ausgetüfteltes Romantikkonzept, haben sie es erst einmal ins Pärchenhotel geschafft. Sofort umarmt sie eine Atmosphäre aus Holz, Lammfellen, Lümmelsofas, Himmelbetten und Abgeschiedenheit. Rechts neben der Lobby geht es in den Spa-Bereich, da spazieren Händchen haltende Paare im flauschigen Bademantel um den Außenpool.
Im Zimmer streuen sie für die Weekend4Two-Kunden sogar Rosenblüten aufs Bett. Und am Abend, im Hotelrestaurant Edelweiß, erlebt man einen Mix aus Säuseln und Schweigen. Zweisamkeit total. Ein Ambiente, das sicher auch Volker Böttcher genießen könnte, würde er nicht mit dem analytischen Blick eines Wirtschaftswissenschaftlers auf die Sache schauen.
Unterwegs mit einem Hoteltester:Jenseits der Ekel-Grenze
Er riecht an Klobürsten, kriecht unter fremde Betten und hat immer ein eigenes Kopfkissen dabei: Hoteltester mit Spionage-Auftrag.
"Solche Lebensphasen-Angebote gibt es, weil die Anbieter sich dem direkten Vergleich entziehen wollen", sagt Böttcher, Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz und langjähriger Tui-Chef. Wer sich durch den ausufernden Hoteldschungel schlagen muss, schaut meistens auf den Preis, das einzige Kriterium, das verlässlich zu sein scheint. Zweite Möglichkeit: "Man wählt ein Hotel, das ideal zu einem passt", sagt Böttcher. Zum Beispiel ein Pärchenhotel mit Spa-Bereich. "Familien-Pakete gibt es schon länger", sagt Böttcher. Der gesellschaftliche Wandel habe inzwischen auch Single-Hotels nötig gemacht, und die Individualisierung beschere der Branche Fitness-Hotels, Natur-Hotels und Golf-Hotels. Die Nische ist für Reiseanbieter inzwischen wie der Heilige Gral. Wer zwischen unzähligen Regionen, Tausenden Hotels mit Hunderttausenden Angeboten wählen soll, ist froh, wenn jemand kommt und sagt: Verrate uns, in welcher Lebensphase du steckst, und wir sagen dir, was der ideale Urlaub für dich ist.
Ist irgendwann ein Ende der Ausdifferenzierung absehbar? Nein, sagt der Geschäftsmann
Bei den Lebensphasen könnte man fast von einem Lebensabschnittsurlaub sprechen: Zuerst schleifen einen die Eltern ins Familienhotel, bis man aus dem Gröbsten raus ist. Anschließend bucht man die Partyreise nach Lloret de Mar. Ist es was Ernstes mit der Freundin oder dem Freund, bricht man zum Pärchenurlaub auf. Früher oder später folgt dann das Familienhotel. Bis man wieder ohne Kinder im Pärchenhotel eincheckt.
Gibt es eigentlich auch eine Grenze, bei der die Hotel-Differenzierung nach Interessen und Lebensphasen absurd werden kann? Stephan Gerhard überlegt kurz, dann sagt er: "Eigentlich nicht."
Gerhard ist Geschäftsführer der Treugast Solutions Group in München und berät die Tourismusbranche. Schon länger beobachtet er: "Jeder will jetzt sein ganz eigenes Hotel." Die Zeiten, in denen ein Hotel noch eine Wasserrutsche gebaut hat, wenn das Haus nicht ausgebucht war, sind definitiv vorbei. Die alte Hotelstrategie "Viel hilft viel" hilft inzwischen gar nicht mehr. Heute lässt man lieber etwas weg.
Noch ist nicht jede Phase des Lebens und jedes Hobby urlaubsmäßig erschlossen. Alleinerziehende, Teenager oder Bogenschützen harren noch eigener Hotels. Und an die Urlaubsgeneration jenseits der 50 traut sich auch bis auf wenige Ausnahmen wie eben die Remus-Hotels nicht so richtig jemand ran. Die Branche ist unsicher, wie sie die Zielgruppe ansprechen soll: als Senioren, Best- oder Silver Agers? Obwohl der Branchenreport des Hotelverbands Deutschland (IHA) sogar davon spricht, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis Senioren die kinderlosen Paare überholt hätten in Sachen Reiseintensität.
Die Individualisierung kennt vielleicht keine Grenzen, die Aufmerksamkeit der Kunden schon. Tui bewirbt deshalb nicht speziell Vegetarier- und Veganer-Hotels, obwohl das ein starker Trend ist in letzter Zeit. "Unsere Kunden sollen noch den Überblick behalten", sagt Steffen Boehnke von Tui Deutschland. "Es geht auch darum, dass jeder noch die Abgrenzung versteht."