Hitze in der Bahn:Ein Hoch auf das Schiebefenster

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Der moderne Mensch kann in seinem mobilen Leben kaum mehr ein Fenster öffnen. Das ist bedauerlich - nicht nur beim Streik von Bahn-Klimaanlagen.

Martin Zips

Es wird dieser Tage viel geredet über Klimaanlagen in deutschen Zügen. Sie seien zu alt, zu unzuverlässig, womöglich sogar ein Fall für den Staatsanwalt. Das geht doch nicht, dass mitten in der Sommerhitze in einem überfüllten ICE die Klimaanlage streikt, heißt es. Zumal der ICE zu jener Art von Zug gehört, die nicht an jedem Bahnhof hält und deren Fenster stets fest verschlossen sind.

Bahnfahren
:Als Fensterln noch zum Reisen gehörte

Ein Abschiedkuss von Elvis, Erich Honecker reicht Helmut Schmidt ein Bonbon für die Fahrt: Ohne Schiebefenster hätte die Welt schöne und seltsame Szenen verpasst.

Das ist das eigentlich Erschreckende: Dass es in der modernen Welt immer mehr Orte gibt mit Fenstern, welche sich nicht öffnen lassen: Züge, Busse, Schiffe, Hotels, Büros, Wohnhäuser werden so zu Bunkern ihres jeweiligen künstlichen Mikroklimas. Dabei ist das weit geöffnete Fenster seit alters her nicht nur eine Verbindung zwischen innen und außen, sondern auch zwischen Diesseits und Jenseits. Gott Baal ruft durch ein offenes Fenster seines Himmelspalastes dem Menschen wichtige Dinge zu. In der Malerei, etwa bei Dalí oder Caspar David Friedrich, deuten geöffnete Fenster auf eine andere, womöglich wesentlich besser durchgelüftete Welt.

Züge, die noch über händisch zu öffnende Schiebe- oder Klappfenster verfügen, haben im Vergleich zu ihren voll klimatisierten Geschwistern unschätzbare Vorteile. Wo sonst bekommt der Mensch derart viel Geist und Körper kühlende Frischluft gleich literweise in Mund und Nase geblasen? Weiterhin kann das geöffnete Zugfenster der - nicht ganz legalen - Entsorgung dienen. In dem Film "Leben und sterben lassen" etwa entledigt sich James Bond über diese Öffnung eines wenig sympathischen Mitreisenden.

Schon von ferne kann der Reisende durch das geöffnete Fenster allen am Bahnsteig auf ihn Wartenden durch einen kurzen, fröhlichen Zuruf seine Position mitteilen - ganz ohne dafür ein modernes Kommunikationsmittel zu benutzen. Und was hätte es für ein Hallo gegeben, wäre die deutsche Nationalmannschaft, so wie einst Fritz Walter und seine Freunde im Jahr 1954, am geöffneten Fenster winkend mit dem Zug von der WM zurückgekehrt? So mussten Hunderte verzweifelter Fans in klimatisierten, fast fensterlosen Räumen des Frankfurter Flughafens auf ihre Helden warten. Und sie warteten vergeblich.

Vor allem aber dürfte es kaum etwas geben, das für den Moment des Abschieds besser geeignet wäre als das geöffnete Zugfenster. Nur noch ein paar Worte, ein Kuss, ein Händedruck, ein Hustenbonbon - und schon ist alles Vergangenheit.

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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