Flugzeugkabinen:Kampf um jeden Zentimeter an Bord

Flugzeugkabinen: Kinobestuhlung: In der "Holzklasse" rücken die Sitzreihen immer enger zusammen, hier der A330neo, der in diesem Jahr seinen Erstflug absolvieren soll.

Kinobestuhlung: In der "Holzklasse" rücken die Sitzreihen immer enger zusammen, hier der A330neo, der in diesem Jahr seinen Erstflug absolvieren soll.

(Foto: Airbus)

Mehr Platz? Die meisten Passagiere wollen lieber billig fliegen - also schrumpft der Knieraum weiter. Dabei gäbe es andere Lösungen.

Von Andreas Spaeth

Ständig befinden sich rund 700 000 Menschen irgendwo in der Luft. "Das ist die Bevölkerung von San Francisco", sagt Anthony Harcup, ein Designer für Flugzeugsitze aus London. "Im ganzen Jahr fliegen heute rund dreieinhalb Milliarden Menschen, das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Indien, China, Brasilien und den USA zusammen", weiß Harcup. Die allermeisten dieser Passagiere müssen sich über den Wolken mit einem Minimum an Privatsphäre und Platz begnügen.

"Ein First-Class-Sitz kann mehr als zweieinhalb Quadratmeter Kabinenfläche beanspruchen und bis zu 110 Kilo wiegen", so der Designer. In der Economy Class sind es gerade mal 0,4 Quadratmeter, ein typischer Sitz wiegt zwölf bis 15 Kilo."

Klar ist: Der Platz in einem Flugzeug ist äußerst knapp - ganz im Gegensatz zur Ausstellungsfläche auf der weltgrößten Fachmesse, der Aircraft Interiors Expo (AIX). Gerade haben sich Sitzhersteller, Zulieferer, Designer und Airlines wieder in Hamburg getroffen. Mit über 530 Ausstellern und mehr als 18 000 Fachbesuchern, darunter Vertreter von fast 200 Airlines, war die Messe so groß wie noch nie. Derzeit sind die Treibstoffkosten so günstig wie lange nicht mehr, die meisten Fluggesellschaften machen gute Gewinne. Ein idealer Zeitpunkt für Innovationen also, sollte man meinen.

Doch die meisten Verbesserungen gibt es ausschließlich im Segment der Premiumklassen: Mit immer üppigeren Angeboten in First und Business Class verdienen viele Airlines den Löwenanteil ihre Geldes. So zeigte etwa der deutsche Hersteller Recaro eine interessante Studie eines "Wellness"-Sitzes für die Business Class: Ähnlich wie es bei Autositzen schon möglich ist, lässt sich hier die Sitzfläche sowohl beheizen als auch durch eine Belüftung der Sitzauflage kühlen. Endlich muss niemand an Bord mehr frieren oder schwitzen, beides häufige Klagen von Passagieren.

Für die Touristenklasse sind einfache Sitze gefragt. Ohne verstellbare Rückenlehne

Für das nächste Jahrzehnt werden keine wegweisend neuen Flugzeugtypen mehr auf den Markt kommen, nachdem zuletzt der Airbus A350 bei einem halben Dutzend Gesellschaften in den Liniendienst ging. "Deshalb konzentriert sich die ganze Dynamik der Branche jetzt auf die Kabine, und das ist gut für uns", freut sich Recaro-Chef Mark Hiller. Die Firma gehört zu den weltweit führenden Anbietern und verzeichnet jährlich mindestens zehn Prozent Umsatzplus. Das ist insofern erstaunlich, weil Recaro vor allem Economy-Class-Sitze herstellt.

Und dort sind die Airlines sehr zurückhaltend, was Innovation angeht. Zum Beispiel in Form von automatischen Sensoren, die der Besatzung anzeigen, wenn in der Kabine die Sitzlehnen und Tische zu Start und Landung nicht hochgeklappt sind. "Das Hochklappen ist nötig, weil die Sitze nur in diesem Zustand zugelassen sind, die müssen bei einem Aufprall bis zum 16-Fachen der Erdanziehung aushalten", so Hiller. Trotzdem werden sie immer leichter: Bei Recaro liegt das Minimum bei 9,5 Kilo, die französische Firma Expliseat hat einen Leichtsitz von nur fünf Kilo im Angebot.

Doch Leichtbau kostet Geld. Deshalb sind eher einfache Sitze für die Touristenklasse in Mode, an denen sich die Sitzlehne gar nicht mehr verstellen lässt. Damit rüstet TAP Air Portugal gerade ihre gesamte Airbus-Flotte aus, genau wie es Billiganbieter wie Ryanair und Easy-Jet schon länger praktizieren. "Unsere Kunden wollen günstige Preise, und die wollen wir ihnen geben", sagte Trey Urbahn aus der Chefetage von TAP zu dem Strategiewandel. Nur so meinen die Portugiesen den Billigfliegern Paroli bieten zu können. Heißt im Klartext, dass TAP im hinteren Teil aller ihrer Flugzeuge den Abstand auf 71 Zentimeter verringert, nachdem früher um die 81 Zentimeter Branchenstandard waren.

"Dank der dünnen Lehnen neuer Sitze fühlt sich das aber an wie 76 Zentimeter", meint Urbahn. So oder so, es ist ein Feilschen um Zentimeter und möglichst niedrige Tarife, die eben nur mit minimalstem Komfort wirtschaftlich sein können. Dabei gibt es längst Innovationen für die Economy Class, die den Komfort des Einzelnen massiv verbessern könnten, die Fluggesellschaften aber nicht mehr Platz kosten.

"Angst vor radikalen Veränderungen"

Anthony Harcup hat mit Kollegen seiner Design-Firma Acumen schon vor rund zehn Jahren seitlich gegeneinander versetzte Sitzreihen entwickelt, die jedem Economy-Reisenden seine eigene Armlehne geben sowie eine feste Seitenwand zum Abstützen des Kopfes im Schlafe. Also jene beiden Dinge, die auf den günstigsten Plätzen am schmerzlichsten vermisst werden. In den vergangenen Jahren hat der Sitzhersteller Thomson diesen "Cozy" genannten Sitz stets auf der AIX an seinem Stand gezeigt, in diesem Jahr nicht mehr. Es wollte einfach keine Fluggesellschaft das neue Konzept einführen.

"Der Markt scheint Angst zu haben vor radikalen Veränderungen", so Anthony Harcup. "Dabei hat British Airways 1998 das erste flache Bett in der First Class eingeführt und damit eine Revolution ausgelöst. Heute bietet jede Business Class auf Langstrecken Sitze, die sich in ein ebenes Bett verwandeln lassen", so Harcup. Und er ist sich sicher: "Das wird auch in Economy passieren, die Frage ist nicht ob, sondern wann, und wer der erste Anbieter sein wird."

Zwar gebe es bei den Billigfliegern keine Nachfrage, aber auch in der Economy Class seien aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs Verbesserungen zu erwarten. Differenzierung tut not, denn die Zahl von derzeit rund 20 000 Verkehrsflugzeugen weltweit wird sich in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich mehr als verdoppeln. Die hohe Nachfrage bei den Kabinenausstattern dürfte also anhalten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: