Naturismus ist aus Sicht der Naturisten ein Lebensstil, der gegenseitige Rücksichtnahme, Naturschutz und Solidarität mit Sinnesgenossen einschließt.
(Foto: AFP)Der Spaziergang am Strand entlang führt mich zum legendären Schweinchenstrand, wo die Menschen laut Houellebecq eine besonders tolerante Einstellung gegenüber anderen Nackten pflegen sollen. Abseits vom Familienstrand, zwei Kilometer vom Nudistendorf entfernt, rotten sich dort Neo-Naturisten zusammen, die sich vom ursprünglichen, unschuldigen Ansinnen der FKKler absetzen, indem sie die hedonistische Seite des Nacktseins offen ausleben, um es vorsichtig auszudrücken. Um es direkter zu sagen: Am Schweinchenstrand geht es in der Hochsaison zu wie auf dem Set eines Open-Air-Pornofilms.
Aber muss das nachmittags am Strand geschehen? Umgeben von Touristen? Nein, muss es nicht. Das finden auch die beiden Polizisten, die per Jetski an die Schweinebucht heranschießen. Sie tragen eine Art Neopren-Version der französischen Polizeiuniform und halten Ferngläser in der Hand. Sie brüllen etwas, das nicht freundlich klingt.
Aber als sie am Strand ankommen, ist längst alles vorbei. Und wenig später geht es hinter den Dünen weiter. Natürlich ist Nacktheit natürlich, und man kann natürlich auch behaupten, öffentlicher Sex sei natürlich. Aber geht eine Orgie unter freiem Himmel nicht zu weit? Doch, finden viele Anwohner, und deshalb wunderte sich auch keiner, dass zwei der berüchtigten Clubs im vergangenen Sommer abbrannten - vermutlich Brandstiftung.
Auf dem Weg zurück zum Hotel kommt man an Reihenhäusern vorbei, wie sie in jeder deutschen Kleinstadt stehen könnten. Jägerzaun, ordentlich gestutzte Hecke, Sichtschutz aus Bast, Wäscheständer mit frisch gewaschenen T-Shirts und Unterhosen. Moment mal, wozu brauchen Nudisten eigentlich einen Wäscheständer? Das wirkt irgendwie unnatürlich. An der Rezeption des sehr eleganten Nackthotels werde ich von ordentlich angezogenen Damen begrüßt. Die Natureva Spa Résidence ist ein gehobenes Nackthotel, das sich vom zweifelhaften Ruf mancher Nacktclubs auf dem Naturistengelände angenehm abhebt. Nacktsein ist hier erlaubt, aber nicht Zwang.
Der Abend ist recht frisch, vom Balkon her weht ein kühler Wind ins Zimmer, also ziehe ich mir heimlich eine Hose und ein Hemd an. Weil der Kachelboden ziemlich kühl ist, trage ich sogar Schuhe. Der Stoff schabt auf der Haut, die Füße fühlen sich eingesperrt an. Voll bekleidet lege ich mich aufs Bett - und schlafe ein. Mein Traum handelt wieder mal von nackten Menschen, und ich bin der einzige Angezogene. Keiner lacht.
INFORMATIONEN:
Anreise: Hin- und Rückflug nach Montpellier kostet rund 200 Euro
Unterkunft: Résidence Natureva-Spa, 1 - Impasse du Bagnas, Village Naturiste Cap d'Agde, 34300 France, www.natureva-spa.com; ab 70 Euro/Nacht in der Nebensaison, ab 170/Nacht in der Hauptsaison
Weitere Auskünfte: Französische Zentrale für Tourismus Atout France, Postfach 100128, 60001 Frankfurt a. Main, www.franceguide.com oder vor Ort: Tourismusbüro Cap d'Agde, BP 544, 34305 Le Cap d'Agde, Tel.: 0033/4/67 01 04 04, www.capdagde.com