Ein Tag in Zermatt:Immer mit Aussicht

Das Matterhorn im Blick, ein Käsefondue zum Abschluss: unterwegs auf den höchsten Pisten Europas.

Von Karoline Meta Beisel

1. Handy weg

9.20 Uhr - Das Erste, was zu hören ist, wenn man die Gondel an der Station Trockener Steg verlässt, ist ein beherzter Fluch. Der Urheber des Fluchs, ein junger Mann, hat seine Ski neben sich an eine Wand gelehnt und prüft sorgsam alle Taschen seines Skianzugs, vergebens: "Ich hab' mein Handy im Hotel vergessen", sagt er zu seinen Begleitern. Nicht, dass er dringend hätte telefonieren wollen. Es hat fast 20 Grad unter null, hier oben gibt es nur einen guten Grund, das Handy aus der Tasche zu fummeln: um das Matterhorn zu fotografieren, das sich langsam aus den Wolken schält. Der Mann schaut wirklich sehr bedröppelt aus. Fast, als sei er nicht zum Skifahren, sondern zum Sightseeing gekommen - und das Matterhorn ist hier nun mal die größte Sehenswürdigkeit.

2. Alles schwankt

10.05 Uhr - In Höhenmetern gemessen, kommt man dem Berg am nächsten, wenn man auf das Klein Matterhorn hinauffährt. Von unten sieht es aus wie die Nase eines liegenden Mannes - mit der Bergstation als Piercing. Die liegt auf 3820 Meter, höher hinauf kommt man mit einer Seilbahn in Europa nirgends. Heute allerdings dürfen nur Fußgänger nach oben. Es ist zu windig, die obersten Pisten sind gesperrt. Vielleicht ist das auch besser so. Die Höhe macht sich nämlich bemerkbar, genauer: die ersten Anflüge von Höhenkrankheit. Die fühlt sich an, als wäre man auf einem schwankenden Schiff. Zu sehen gibt es aber auch für Fußgänger genug: etwa im "Gletscher-Palast", 15 Meter unter der Gletscheroberfläche, wo Erwachsene auf dem Bauch durch einen Eis-Tunnel rutschen.

3. Freier Fall

10.30 Uhr - Ohne die Pisten, die vom Klein Matterhorn hinabführen, bleibt als längste Abfahrt in diesem Teil des Skigebiets jene vom Trockenen Steg (2920 Meter) ins Tal - das wären sogar im freien Fall noch 1,3 Kilometer. Über die Bergbahnstation Furgg und die schwarze Piste 62 ist das Ganze zum Glück deutlich länger. Andere Skifahrer sieht man erstaunlich wenige. Das liegt daran, dass das Skigebiet mit 360 Pistenkilometern tatsächlich sehr, sehr groß ist und sich die Gäste gut verteilen - oder an der Tatsache, dass ein Tagespass 79 Franken kostet, etwa 72 Euro, das Kombiticket, das auch für die Lifte auf der italienischen Seite gilt, sogar 92 Franken.

4. Voll gemütlich

Der einzige Ort, an dem es voll ist, und das eigentlich immer, ist das urgemütliche Restaurant Blatten. Es liegt an der Talabfahrt zwischen der Furi-Bergstation und Zermatt. Der Chef, Leander Taugwalder, ist ein Nachfahre der Erstbesteiger des Matterhorns und selbst schon mehrmals oben gewesen. Auf dem Weg dorthin, im Bettenlager der Hörnlihütte, hat er 1980 seine Frau Sabine kennengelernt: "Wir haben darüber gestritten, ob das Fenster nachts auf oder zu sein soll", sagt sie. Am nächsten Morgen stand sie drei Minuten nach ihm auf dem Gipfel - und der Streit muss dann recht schnell vergessen gewesen sein.

5. Nahe dran

13.30 Uhr - Vom Theodulgletscher führt die Piste 69 mit dem äußerst passenden Namen "Matterhorn" ganz dicht am Berg vorbei, so dicht, dass man den Bergsteigern auf der Hörnlihütte zuwinken könnte. Seit dieser Saison fährt hier der neue Sechser-Sessellift "Hirli", auch den hat man für sich alleine. Kleiner Haken: Den großen Haken, das Matterhorn, kriegt man aus dieser Nähe kaum noch gut vor die Kamera - was nicht heißt, dass es nicht trotzdem viele versuchen.

6. Wie beim Großvater

14.15 Uhr - Mit gemütlichem Brummen zuckelt die Zahnradbahn den Berg hoch, draußen fährt ähnlich gemütlich eine Skischulgruppe im Schneepflug vorbei. Die Gornergratbahn ist nach der Jungfraubahn der höchste Bergzug in Europa, die höchste Station liegt auf 3089 Metern. Die Pisten hier oben gehören zu den schönsten des Skigebiets, auch deshalb, weil der Blick rüber zum Matterhorn fantastisch ist. Eine Wolke schlängelt sich auf halber Höhe um die Nordwand des Berges - wie bei einem gutmütigen Großvater, der in Pfeifenrauch gehüllt ist.

7. Das größte Iglu der Welt

14.50 Uhr - Am Rotenboden steht nicht nur das am höchsten gelegene Iglu-Dorf der Alpen (2727 Meter), sondern inzwischen auch das offiziell größte Iglu der Welt. Wochenlang hat Aldo Balatti, der Geschäftsführer, mit sechs Kollegen im Schichtbetrieb gewerkelt, um den Koloss mit 13 Meter Durchmesser und elf Meter Höhe aufzuschichten. Die Blöcke dafür sind aus Kunstschnee, weil der fester ist und sich besser verbauen lässt als das Naturprodukt. Zum 20. Geburtstag des Igludorfs kamen die Kontrolleure des Guinnessbuchs vorbei - und hätten gleich noch das Siegel für den "höchsten Showroom" der Welt vergeben können: In dem Schneehaus soll künftig ein Auto gezeigt werden.

8. In Zermatlantis

16.10 Uhr - Nicht nur das Orts-Maskottchen "Wolli", das Schwarznasenschaf, hat einen albernen Namen. Das 2006 eröffnete Matterhornmuseum neben der Dorfkirche heißt Zermatlantis - weil nur die kleine Glaspyramide, durch die es hineingeht, über der Erdoberfläche liegt. Unten sind in einer Art Freilichtmuseum ohne Freilicht alte Zermatter Hütten aufgebaut. Darin Überbleibsel der Erstbesteigung im Jahr 1865, zum Beispiel auch das gerissene Seil: Die vier Männer, die am unteren Ende hingen, stürzten in den Tod.

9. Memento mori

16.55 Uhr - In der Dämmerung muss man suchen, bis man auf dem Bergsteigerfriedhof das Grabmal von Vater und Sohn Taugwalder gefunden hat, die Vorfahren von Leander aus dem Blatten-Restaurant. Die Knochen des verunglückten Charles Hudson, die man später bergen konnte, liegen unter dem Altar in der kleinen englischen Kirche oberhalb der Bahnhofstraße. Für Besucher gibt es noch einen banaleren Grund, hinter einem Sushi-Restaurant die paar Stufen zur Kirche hinaufzuklettern: Direkt hinter dem Eingang steht ein Regal, aus dem man sich englischsprachige Romane ausleihen kann.

10. Dem Bauch nach

18.20 Uhr - Mit langsam recht schweren Beinen geht es noch einmal nach oben Richtung Furi, der Schlitten an der Hand wiegt plötzlich 100 Kilo. Zum Glück ist es nicht weit: Kaum hat man die letzten Straßenlaternen des Ortes hinter sich gelassen, leuchten hinter schneeverhangenen Bäumen die Lichter des Restaurants Höfu's den Weg. Damit vom Käsefondue im Topf nichts hängen bleibt, schlägt die Kellnerin am Ende noch ein Ei als Lösungsmittel hinein. Danach zieht der Käsebauch nach unten, der Absacker auch - der Schlitten läuft von allein. Vom Matterhorn ist nichts zu sehen.

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