Vielleicht war der Mann ja einfach irre. Der Gedanke kann einem schon einmal kommen, wenn man auf der Schotterstraße D826 mit dem Landcruiser durch Namibia in Richtung Sonnenuntergang rumpelt, die Gedanken so frei, wie es nur die Weite Afrikas erlaubt, und plötzlich aus der Träumerei gerissen wird. Denn rechter Hand thront auf einer kleinen Anhöhe das, man muss es so sagen, verrückteste Gebäude des Landes: Duwisib Castle, erbaut von dem sächsischen Adligen Hansheinrich von Wolf während der deutschen Kolonialzeit.
Duwisib steht da wie eine Burg aus einem alten Lego-Prospekt, mit großem Hauptturm und kleineren Ecktürmen, mitten im besonders trockenen Süden des ohnehin trockenen Namibias. In der Umgebung gibt es Kameldornbäume und Euphorbia-Gewächse und direkt vor dem Haupteingang einen dieser markanten Köcherbäume, ansonsten Steine und Sand, und davon jede Menge. Die nächste Ortschaft, die eine solche Bezeichnung verdient, ist rund 80 Kilometer entfernt und heißt Maltahöhe, noch so ein Relikt der Kolonialzeit. Gleich neben der Schlossburg liegt eine Farm, aber dazu später.
Erst einmal hinein in diese rötliche Sandsteinfestung mit dem fast quadratischen Grundriss - und am Türstock unter der Zahl 1909, dem Jahr der Fertigstellung, hindurch in die Eingangshalle. Die ist zwei Stockwerke hoch und ähnlich ungewöhnlich wie der Anblick von außen: Säbel an der Wand, daneben alte Bilder mit Reitern. Zwei offene Kamine, ein Klavier, Lederstühle mit Doppeladlern als Rückenlehne. Ein Kronleuchter hängt von der Decke. Im Innenhof ein Brunnen, grünes Gras und Palmen, Türen führen in die Räume der Seitenflügel. Fünf dieser Räume sind Gästezimmer, einer dient als Büro für den Manager des staatlichen Hotelbetreibers Namibian Wildlife Resorts (NWR), Thomas Skrywer.
Skrywer, ein wunderbarer Geschichtenerzähler, sagt: "Wenn man solch eine Geschichte hat wie das hier, ist das ein großes Vermächtnis." Die Worte "großes Vermächtnis" spricht er auf Deutsch; er weiß, dass so was gut ankommt bei den meist mitteleuropäischen Gästen. Obwohl die NWR auf telefonische Nachfrage keine Besucherzahlen mitteilen können ("Wir haben da keine Statistik. Es sind aber sehr viele"), wurde das Anwesen 2014 aufwendig renoviert. Duwisib ist heute schließlich ein nationales Baudenkmal in staatlichem Besitz. Angeblich, so geht jedenfalls die Legende, die auch Skrywer verbreitet, hat Hansheinrich von Wolf das Schloss vor allem für seine US-amerikanische Ehefrau Jayta errichten lassen. Ein solches Monument der Liebe verpflichtet zum Erhalt, irgendwie.
Auch ohne romantische Note ist Wolfs Geschichte ziemlich gut, Hollywood-Stoff quasi. Bislang gibt es allerdings nur ein kurzweiliges, ziemlich gründlich recherchiertes Büchlein über Duwisib, verfasst vom ehemaligen deutschen Botschafter in Namibia, Harald N. Nestroy, dem es dabei an Begeisterung für die koloniale Ära und den Schlossherren nicht mangelte. Letzterer war demnach nicht nur groß, gut aussehend, ein im Gefecht erprobter Schutztruppen-Offizier und Farmer, sondern vor allem auch ein Lebemensch hemingwayscher Prägung mit - das lässt sich nur zwischen den Zeilen entziffern - entsprechender Tendenz zur nächsten Bar und zu an Größenwahn grenzenden Visionen. 150 000 Hektar Farmland wollte der "tolle Baron" (Volksmund) Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutsch-Südwestafrika erwerben, eine Fläche fast fünfmal so groß wie das Münchner Stadtgebiet. Für die ersten 10 000 zahlte er 30 Pfennig pro Hektar. Letztlich kam er auf 55 000, züchtete dort Pferde und Karakulschafe, die sich als Steppentiere mit den rund 120 Millimeter Niederschlag pro Jahr bestens arrangierten.
Zur Eröffnung im Jahr 1909 gab es französischen Schampus und russischen Kaviar
Für sein sehr feudales Farmgebäude wiederum hatte er 1908 den Architekten Wilhelm Sander beauftragt. Dessen Werke, beispielsweise das kolonial-eklektizistische Windhoeker Trio Schwerins-, Heinitz- und Sanderburg, zählen noch heute zum Pflichtprogramm jedes geschichtsbewussten Touristen. Auch Duwisib geriet unter Sander zu dem hier üblichen Konglomerat aus Neoromanik, Gotik und Renaissance. Am Bau beteiligt waren italienische Steinmetze sowie Schreiner aus Schweden; bei der Eröffnung gab es französischen Champagner, deutsche Biere und russischen Kaviar. Klotzen statt kleckern, lautete die Devise.
Die Geschichte des Schlosses erzählt aber nicht nur etwas über seinen Erbauer und die kurze Ära kolonialarchitektonischer Blüte; sie steht ein Jahrhundert später auch für den touristischen Wandel in dieser Region. Um sich diesen erklären zu lassen, übernachtet man am besten in der angrenzenden Duwisib-Gästefarm bei Jochen Frank-Schultz. Der gepflegte Campingplatz der Farm ist nur zwei kraftvolle Steinwürfe vom Schloss entfernt, das Hauptgebäude zwei weitere Steinwürfe. Jedenfalls lohnt es sich, dort wenigstens das Abendessen einzunehmen. Gut möglich, dass Jochen Frank-Schultz, ein Mann mit freundlichen Augen und riesigen Farmerhänden, mit am Tisch sitzt und dann sagt: "Im Grunde mache ich jeden Tag mit meinen Gästen hier Urlaub. Ich würd' die Leute am liebsten umsonst bewirten."
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Macht er natürlich nicht, weil noch andere mitreden, sein Sohn Christian zum Beispiel. Der verantwortet mittlerweile das 6000 Hektar große Gelände, das wegen der Trockenheit "eigentlich etwas zu klein für die Viehzucht ist", wie der Seniorchef sagt. Der bald 70-Jährige hat es 1987 gekauft, drei Jahre vor der Unabhängigkeit Namibias. Die Investition entpuppte sich als Glücksfall. Denn mit der Unabhängigkeit kamen die Touristen, und sie kamen immer häufiger auch in den Süden Namibias. Nach einer siebenjährigen Auszeit in Windhoek zog es Jochen Frank-Schultz im Jahr 2000 schließlich zurück auf sein Anwesen, er eröffnete dort, nur 60 Meter vom Schloss entfernt, erst einen kleinen Kiosk für die Tagesgäste und richtete wenig später die ersten Gästezimmer ein. Sogar das Schloss selbst wollte er einst pachten, aber auf seine Schreiben habe er nie eine Antwort bekommen. Inzwischen sei der Farmbetrieb nur noch Liebhaberei, und wenn man so will, profitiert die Familie Frank-Schultz noch heute von Hansheinrich von Wolfs Vermächtnis.
Der Soldat aus Sachsen dagegen verließ Südwestafrika und seine große Farm schon 1914, für immer. Er fiel 1916 in der Schlacht an der Somme in Frankreich, kinderlos. Seine weltläufige und wohlhabende Frau Jayta kehrte alleine auch nicht mehr zurück in die Burg. Sie lebte noch bis 1963 und habe, so ist zu lesen, über ihre Zeit im damaligen Südwestafrika rückblickend gerne gesagt: "Ach, wissen Sie, das war doch ein sehr interessantes Experiment."