Es herrscht Pulloverwetter in Swakopmund, mal wieder. Und grau ist der Himmel auch noch. Dabei hatten die beiden Damen von der Pensionsrezeption am Tag zuvor versprochen, dass ganz sicher die Sonne scheinen würde. Doch der kalte, fischreiche Benguelastrom des Atlantiks kühlt nicht nur die Küste im Vergleich zum Landesinneren Namibias weiterhin um 15 Grad herunter, er schickt auch eine Nebelbank bis in die Wüste. Dort steht wenig später Douglas Lewey, einer der Guides auf der Exkursion zu den Tieren der Wüste, und er sagt sinngemäß: "Ohne den Nebel gäbe es hier kein Leben."
Touren zu den sogenannten "Little Five" in den Weiten der Namib sind ein absoluter Renner unter Touristen in Swakopmund, jener kleinen Stadt an der Küste Namibias, die sogar 100 Jahre nach dem Ende der kurzen deutschen Kolonialzeit in Afrika nicht nur architektonisch weiterhin deutscher wirkt als manche deutsche Stadt. In der Buchhandlung gibt es Bücher in deutscher Sprache, das Brauhaus verspricht "Traditional German dishes", und rein klimatisch erinnert Swakopmund meist mehr an einen Küstenort in Schleswig-Holstein als einen afrikanischen Strand. Nur: Regen fällt hier in homöopathischen Dosen, gerade einmal 13 Millimeter pro Jahr sind es. Direkt hinter den Häusern beginnen die Dünen, außerhalb der Stadt sieht man auf den ersten Blick kein Wasser und kaum Pflanzen.
Namibias Wüsten:Bedrohtes Paradies
Namibias Atlantikküste ist durchgängig von Nationalparks geschützt. Doch das Paradies ist bedroht.
Auf der Flucht die Düne hinab überschlägt sich die Spinne bis zu 44 Mal. Pro Sekunde
Ausgestorben ist aber auch das Dünenmeer natürlich nicht. Douglas Lewey - ein selbst nach Jahrzehnten Namibia-Erfahrung glücklich in die Wüste verliebter Südafrikaner - biegt mit seinem Geländewagen kurz hinter Swakopmund in die Dünen ab und malt, dem Fahrzeug entstiegen, mit seinem Stock den Kreislauf des hiesigen Lebens in den Sand. Der geht, stark verkürzt, ungefähr so: Kalter Meeresstrom produziert Nebel, Käfer trinkt Nebel, Reptil frisst Käfer, Reptil wird von Schakal gefressen, Schakal streunt glücklich über die Dünen, sofern ihn kein deutscher Jäger erlegt. Auf dieser Nahrungskette basieren auch die Geschäftsmodelle diverser Veranstalter wie Living Desert Adventures, der alleine rund 5000 bis 6000 Gäste pro Jahr in die Wüste führt, etwa 70 Prozent davon aus Deutschland. Als Lockmittel dienen dabei die - in Anlehnung an die Big Five des Safaritourismus benannten - "Kleinen Fünf": Namaqua-Chamäleon, Zwergpuffotter, Schaufel-Schnauzeneidechse, Palmatogecko und die Tanzende Weiße Dame.
Die Käfer, die manchem der Little Five als Abendessen dienen, heißen wiederum Tok-Tokkies oder Tenebrio-Käfer. Alleine in Namibia soll es davon 200 verschiedene Arten geben, und einige davon leben gewissermaßen vom Hinterteil in den Mund: Um die Feuchtigkeit in der Luft abzufangen, machen sie einen Kopfstand. Die Feuchtigkeit kondensiert dadurch am breiten Rücken und läuft am Körper entlang in den Mund. Weil selbst Wüstenkäfern der Nebel alleine nicht reicht, braucht es als feste Nahrung noch das, was Lewey unter dem Begriff "Müsli" zusammenfasst. Er meint damit jene organischen Stoffe von Pollen bis zu Holzpartikeln, die sich am Fuße von Dünen ablagern.
Kaum hat man die Geschichte vom Kopfstandkäfer und dem Dünenmüsli angemessen bestaunt, da buddelt Lewey auch schon das nächste Wunder der Wüste aus. "Wenn wir die Spinne freigelegt haben, bitte nicht zu nahe hingehen. Sie ist leicht giftig", warnt er. Unter Wissenschaftlern heißt das tagsüber im Sand versteckte Tier Carparachne aureoflava. Eingängiger sind für den gemeinen Touristen: Dancing White Lady, also Tanzende Weiße Dame, oder: Cartwheeling Spider, Radspinne. Ihre Trivialnamen hat sie zwei sehr speziellen Verteidigungsmechanismen zu verdanken: Auf der Flucht schlägt sie dünenabwärts einige Räder, nämlich bis zu 44 pro Sekunde, was manchen schnellen Gecko mit offenem Mund zurücklässt. Reicht selbst diese Umdrehungszahl nicht aus, um Gegner abzuschütteln, beginnt die Weiße Spinne herumzuhüpfen. "Dadurch wirkt sie größer, abschreckender", sagt Doug Lewey, der das inzwischen ausgegrabene Tier gerade zum Tanz bittet. Dass er dabei ihren Tunnel zerstört hat und das nachtaktive Tier Tageslicht wie Fressfeinden aussetzt, sieht er als weniger problematisch an. Bis sie wieder im Sandreich verschwindet, dient nämlich ein Karton als Schattenspender.
Wahrscheinlich muss man in der Wüste leben, um zu wissen, was Doug weiß und um das zu sehen, was Doug sieht, zum Beispiel "ein Chamäleon! Da hinten!" Auf den ersten Blick erkennt der deutsche Tourist in 50 Metern Entfernung: nichts. Auf den zweiten Blick erkennt er: einen kleinen schwarzen Fleck. Könnte auch ein Stück Holz sein. Erst aus der Nähe stellt sich die Gewissheit ein: Es ist wirklich ein Chamäleon! So ähnlich läuft das auch bei Gecko und Eidechse, die sein Gehilfe so überraschend aus dem Sand fischt, dass man den Verdacht nicht loswird, er könnte die kleinen Kerle dort zuvor deponiert haben. Und nach nur einem Vormittag ist klar, dass man Leopard, Löwe, Nashorn, Elefant und Büffel ganz alleine sichten kann, ihre kleinen Safarikollegen der Wüste Namib aber sicher nicht.
Bestens angepasst an das Leben in der Namib-Wüste: der Skorpion,...
...das Namaqua-Chamäleon und...
...der Palmatogecko.