Weiße Tennissocken in Badelatschen, Bermudashorts zu offenen Hemden und im Sekundentakt klickende Kameras. Das reichte nicht, um aufzufallen. Dazu mussten die etwa 200 Teilnehmer der Anti-Tourismus-Demo am Samstagmittag in Palma de Mallorca noch dicker auftragen: Wie Kriegsbemalung zierten fettig glänzende Sonnencreme-Schlieren ihre Gesichter. Mit Schirmen oder Golfschlägern wedelnd und im Rhythmus der übers Pflaster holpernden Rollkoffer drängte sich ihr Protestzug durch die engen Altstadtgassen, um lauthals absurde Forderungen zu skandieren: "Paella, Paella!" oder "Alles inklusive!" Als Krönung schickten sie noch eine sarkastisch gemeinte Petition an die Stadtoberen: eine Vorfahrtsspur für Fremde. Schließlich seien die Mallorquiner inzwischen die Fremden in ihrer eigenen Stadt.
Zu der frechen Demo hatte die Bürgerinitiative "Ciutat per a qui l'habita, no per a qui la visita", was so viel heißt wie "Stadt für die Bewohner, nicht für die Besucher" aufgerufen. Aber auch die wichtigste Umweltorganisation der Insel, der Vogelschutzbund Gob, unterstützte den Protest. Weitere Aktionen sollen folgen.
Kritik am Tourismus - ausgerechnet auf einer Insel, die fast ausschließlich von den Besuchern lebt, die Jahr für Jahr zu Millionen herbeigeflogen kommen? Das muss man gut erklären. Als einer der Veteranen der Plattform versucht sich Pere Perelló daran. Der 42-jährige PR-Spezialist wohnt in einer der Altstadtgassen, dem Carrer Sindicat: "Alle meine Nachbarn sind inzwischen weggezogen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können", sagt er. "Stattdessen werden die Wohnungen jetzt per Airbnb an Urlauber vermietet." In den Geschäften im Zentrum könne er nur noch Souvenirs, Burger, Frozen Joghurt oder Luxusartikel erstehen. "Neulich brauchte ich beim Kochen zwei Zitronen. Bei Nachbarn konnte ich nicht fragen, alles Ferienwohnungen, und Obsthändler gibt es in der Innenstadt nicht mehr."
Am Rande des Spektakels sind nur zaghaft Gegenstimmen zu hören: Wer gegen die Haupteinnahmequelle der Insel protestiere, schneide sich ins eigene Fleisch, kritisiert ein verärgerter Zuschauer. Doch für Demonstranten wie Lluis Gené ist die Vorstellung vom Reichtum durch den Tourismus nur ein Mythos. Bei vielen Menschen kämen die Rekordumsätze durch den Tourismus nicht an, klagt Gené. Die Gehälter sinken, während die Kosten für den Lebensunterhalt steigen. 600 Euro an Miete für eine Einzimmerwohnung könne er nicht aufbringen, sagt Gené. Er verdient als Architekt monatlich 850 Euro. So wohne er immer noch bei seinen Eltern - mit 28 Jahren. Die Politik müsse die Immobilienspekulation beenden und die Vermietung von normalen Wohnungen an Urlauber streng regulieren, sagt er.
Die Gelegenheit dafür scheint günstig zu sein. Denn eigentlich fordern die Demonstranten von dem auf den Balearen regierenden Linkspakt nur, seine Versprechen umzusetzen. Der Entwurf eines Tourismusgesetzes sieht vor, die Vermietung von Privatwohnungen an Urlauber streng zu regulieren. Die Gesamtbettenzahl für Touristen auf der Insel - in Hotels, Herbergen, Stadtwohnungen - soll demnach begrenzt werden. So wollen Umweltschützer und Gentrifizierungsgegner mit ihren Aktionen die Regierung stützen, damit sie im harten Konflikt mit Hoteliers und Vermietungsportalen à la Airbnb nicht einknickt.
Im August 2016 sollen erstmals 1,5 Millionen Menschen auf einmal auf der Insel gewesen sein
Den Luxus, über die negativen Folgen des Tourismus zu mäkeln, kann sich die Insel allerdings nur leisten, weil der Besucherstrom seit Jahren anzieht. Terroranschläge und Bürgerkriege in alternativen Mittelmeer-Destinationen lassen das als sicher geltende Mallorca boomen. Statistiker berechneten, dass am 9. August 2016 erstmals in der Geschichte knapp 1,5 Millionen Menschen gleichzeitig auf der Insel waren. Gemeldet sind gut die Hälfte. Der Flughafen Son Sant Joan vermeldet Monat für Monat neue Rekorde. Die Zahl der über die Straßen kurvenden Mietwagen, Motorräder und Rennräder wächst ebenfalls stetig, und die Hoteliers investieren auch angesichts der drohenden Deckelung der Bettenzahlen schnell noch mal in den Ausbau.
In diesem Jahr beschränkte der Inselrat erstmals den Zufahrtsverkehr zu mehreren Badebuchten im Süden der Insel. Auch die niemals ausreichenden Parkplätze am Traumstrand Es Trenc sollen weiter reduziert werden. Und für die Nordspitze der Insel, das Cap Formentor, herrscht schon bald ein allgemeines Autoverbot. Den Demonstranten vom Samstag reichen die Maßnahmen nicht. Besser wäre eine Begrüßungstafel am Flughafen, forderten manche: "Wegen Überfüllung geschlossen!"