Kolumne: Hin und weg:Der Amazonas von irgendwas

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Auch schon fast ein Amazonas: die Peene in Mecklenburg-Vorpommern. (Foto: A. von Dueren/IMAGO/blickwinkel)

Hamburg, Deggendorf, das Bergische Land: Sie alle reklamieren einen Amazonas für sich. Wo soll das nur hinfließen?

Glosse von Titus Arnu

Es ist schwer, nicht in der Informationsflut abzusaufen, die täglich das E-Mail-Postfach überschwemmt. Gerade frisch angespült: eine Einladung zur Herbstsafari auf dem "Amazonas des Nordens". Beim Amazonas des Nordens handelt es sich laut dem recht flüssig geschriebenen Werbetext um die Peene, ein Flüsschen in Mecklenburg-Vorpommern. "Paddeln auf der Peene" hätte man sofort gelöscht, aber "Amazonas des Nordens"? Klingt abenteuerlich.

Hat sich ein selbsternannter Mark Twain der Reise-PR den "Amazonas des Nordens" ausgedacht? Oder warum heißt die vergleichsweise popelige Peene wie der größte Strom der Welt? Der Amazonas Südamerikas ist 6400 Kilometer lang, bis zu zehn Kilometer breit und bis zu 100 Meter tief. Der Amazonas Norddeutschlands ist nur 126 Kilometer lang und maximal fünf Meter tief. Es gibt in der Peene keine Piranhas, keine Krokodile und keine Delfine, dafür Aale und Welse. Das Gefälle der Peene beträgt 30 Zentimeter auf hundert Kilometer, sie schwappt träge durch die platte Landschaft. Wildwasser geht anders.

Stilles Wasser ist geduldig, heißt das nicht so? Deshalb lässt sich vielerorts ein Amazonas in Bäche oder Tümpel, ja sogar in Wiesen hineindichten. Auch Hamburg erhebt Anspruch auf den Titel "Amazonas des Nordens": Die Alte Süderelbe gilt offiziell als zweitgrößter See der Hansestadt und wird als urwaldartiges Amazonasgebiet beworben. Überraschenderweise gibt es Naturfreunde, die die Wupper, eine ehemalige Industrie-Kloake, als "Amazonas des Bergischen Lands" feiern, nachzulesen in einem üppig ausufernden Bildband. Als bayerischer Amazonas wird die Donau bei Vilshofen bezeichnet, ganz in der Nähe liegt laut Bayerischem Rundfunk der Isar-Amazonas, das Mündungsgebiet der Isar in die Donau bei Deggendorf.

Ist jedes Rinnsal, das sich in Schleifen durch einen Wald windet, gleich ein Amazonas von irgendwas? Nein, es braucht nicht einmal Wasser dazu. "Bis zu 5000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten leben in und von einer Streuobstwiese", erfährt man auf einer Naturgarten-Website, "somit werden sie auch als Amazonas des Westens bezeichnet." Amazonas des Nordens, des Westens, des Südens - was ist eigentlich im Osten los, amazonasmäßig? Einiges: Die Flüsse Biebrza und Narew in Polen bilden das Amazonasgebiet Osteuropas, Konkurrenz gibt es von der Donaumündung in Rumänien und vom Amazonas des Balkans, der Save. Weiter im Osten liegen die Auenwälder des Flusses Bikin, des Amazonas Russlands. Der Amur ist der Amazonas Asiens, so heißt auch eine Fernsehserie, die in drei Teilen faszinierend dahinmäandert. Dann gibt es noch den Kinabatangan, den Amazonas des Ostens, einen Fluss auf Borneo. Nicht zu verwechseln mit dem Amazonas Ostdeutschlands, dem Spreewald!

Selbst das kleine Saarland besitzt einen eigenen Saarmazonas. Junior, die Kinderbeilage der Apotheken-Umschau, druckte aus Versehen ein spiegelverkehrtes Foto der Saarschleife auf einer Doppelseite, um eine Amazonas-Geschichte zu illustrieren. Na gut, bevor dieser Fließtext ausufert und in seichten Seitenarmen versandet, beenden wir diese gedankliche Fluss-Safari.

Eine trockene Schlussbemerkung sei aber erlaubt: In der PR-Branche kommt es darauf an, Reiseziele mit Schlagworten zu labeln, damit sie auffallen. Dabei ist allerdings größte Sorgfalt zu verwenden, damit nichts danebengeht. Wie drückte es der echte Mark Twain der Reiseliteratur aus: "Wer nicht weiß, wohin er will, der darf sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt."

Der Autor ist schon auf dem Amazonas von Starnberg gepaddelt, der Würm. Den echten Amazonas kennt er nur aus Filmen und Comics. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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