Zum Tod von John McCain:Der Anti-Trump

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Der Republikaner John McCain hinterlässt eine große Lücke, nicht nur in seiner Partei. Doch was nach seinem Tod bleibt, ist sein Appell an Europa, die Partnerschaft mit den USA nicht abzuschreiben.

Gastbeitrag von Wolfgang Ischinger

Sein ganzes Leben lang war John McCain ein unermüdlicher Verfechter der transatlantischen Partnerschaft. Er glaubte an die Idee des Westens, an die zentrale Bedeutung der engen Zusammenarbeit liberaler Demokratien für eine bessere Welt. Das war auch der Grund, warum er seit Jahrzehnten jedes Jahr wieder nach München kam, um an der Münchner Sicherheitskonferenz teilzunehmen. Seit vielen Jahren leitete McCain die sogenannte CoDel, die "congressional delegation", und brachte jedes Jahr eine stattliche Anzahl von Abgeordneten, Senatoren, aber auch Journalisten, Strategen und Beratern nach Deutschland. Es ist nicht zuletzt ihm zu verdanken, dass der Saal des Bayerischen Hofs der wohl einzige Ort außerhalb Washingtons ist, an dem regelmäßig gut ein Zehntel des US-Senats in einem Raum zusammenkommt.

John McCain hinterlässt eine große Lücke - nicht nur auf der Sicherheitskonferenz. Vielleicht geht mit seinem Tod auch eine transatlantische Ära zu Ende. John McCain verkörperte die Idee, dass die transatlantischen Beziehungen mehr sind als ein zufälliges Resultat der Geschichte, mehr als ein interessenbasiertes Bündnis, mehr als eine Verbindung auf Zeit. Sie waren für ihn der Kern einer liberalen Weltordnung, basierend auf der Überzeugung, dass Demokratie und Menschenrechte universelle Werte sind, für deren Bewahrung und Verbreitung wir Verantwortung tragen.

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In den letzten Jahren wurde er in diesem Kernanliegen immer deutlicher. McCain sah, dass die liberale Weltordnung und die Ideen, für die er seit Jahrzehnten gekämpft hatte, nicht nur durch den Wiederaufstieg autoritärer Großmächte infrage gestellt wurde, sondern vor allem aus dem Inneren unserer eigenen Gesellschaften. McCain warnte vor der zunehmenden Ablehnung universeller Werte und der Rückkehr zu völkischen Ideen, vor der Unfähigkeit und dem Unwillen, zwischen Tatsachen und Lügen zu unterscheiden, vor der Ablehnung und dem Hass gegenüber Minderheiten, Immigranten, insbesondere Muslimen. Vor allem aber warnte er davor, die Idee des Westens aufzugeben.

Für Europäer waren nicht alle Positionen McCains einfach nachzuvollziehen

Immer wieder verwies er in den letzten Jahren auf die Generation Ewald-Heinrich von Kleists, des Gründers der Sicherheitskonferenz, die nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Zivilisationsbruch des Holocaust den Grundstein für eine neue, bessere Weltordnung legte - eine, wie er in seiner letzten Rede formulierte, "nicht basierend auf Blut-und-Boden-Nationalismus, Einflusssphären oder der Eroberung der Schwachen durch die Starken, sondern basierend auf universellen Werten, der Rechtsstaatlichkeit, offenen Märkten und dem Respekt vor nationaler Souveränität und Unabhängigkeit". Er sah diese Ordnung zunehmend in Gefahr - und rief alle auf, weiterhin an die Idee des Westens zu glauben und entsprechend zu handeln: "Denn wenn wir nicht dafür einstehen, wer wird es dann tun?"

Für Europäer waren nicht alle Positionen von John McCain immer einfach nachzuvollziehen. Häufig waren wir uns uneins. McCain glaubte vielleicht nicht daran, dass alle Probleme militärisch gelöst werden können. Aber er war davon überzeugt, dass der Einsatz militärischer Macht für das Gute in der Welt genutzt werden sollte. In dieser Hinsicht war McCain ein Missionar. Wir Europäer sahen immer eher die Risiken und Nebenwirkungen und hielten seinen Optimismus und seinen Glauben an die Formbarkeit der Welt bisweilen für naiv. Er wiederum hielt uns gelegentlich zu Recht vor, uns vor den schwierigen moralischen Entscheidungen zu drücken. Aber bei allen Widersprüchen und Meinungsverschiedenheiten war für McCain immer klar, dass Amerika und Europa auf einer Seite standen.

Dass John McCain trotz seines Rufs als "Maverick" der amerikanischen Politik, also als unabhängiger Geist, auch nach der Wahl Donald Trumps bei den meisten Entscheidungen mit seiner Partei stimmte, ist ebenso richtig wie der Hinweis darauf, dass McCain in entscheidenden Momenten die Gefolgschaft verweigerte. So verhinderte er die von den Republikanern betriebene Abschaffung der Gesundheitsreform von Barack Obama, weil er der Meinung war, überparteiliche Kompromissmöglichkeiten seien nicht ausgelotet worden.

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McCain wurde zu einem der wichtigsten Kritiker von Präsident Trump

McCains moralischer Kompass scheint ein Teil seiner Partei heute verloren zu haben. Als McCain im Unterschied zu den anderen republikanischen Kandidaten bei den republikanischen Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl 2008 darauf beharrte, dass er nicht alle Verhörmethoden anwenden lassen werde, weil das Amerika, für das er stehe, nicht foltere, wurde er, weit zurück in den Umfragen, bisweilen ausgebuht. Und dennoch - oder gerade deswegen - sicherte er sich am Ende die Nominierung der Republikaner.

Später warb McCain für eine moderne Einwanderungsreform und wurde zu einem der wichtigsten Kritiker von Präsident Trump. Und selbst wenn auch er die Europäer dafür kritisierte, dass sie nicht genug Geld für Verteidigung ausgäben und nicht genug für ihre eigene Sicherheit täten, hätte McCain niemals die amerikanische Sicherheitsgarantie für Verbündete in Zweifel gezogen.

In vielerlei Hinsicht war McCain der Anti-Trump: ein Befürworter eines werteorientierten Westens, ein Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten, ein Anhänger der zivilisierten Debatte und der überparteilichen Zusammenarbeit, ein echter Held, der sich nicht selbst in den Mittelpunkt stellte. Genau deswegen wurde er zur Zielscheibe von Donald Trump und dessen Unterstützern. Es sagt viel über die gesellschaftlichen Zustände im heutigen Amerika aus, dass der langjährige Republikaner McCain in letzter Zeit mehr Zuspruch unter den Wählern der Demokraten fand als unter jenen der Republikaner. Für manch einen mag sein Tod daher auch den Abschluss einer Ära symbolisieren - den Abschied von einem Amerika, das es so nicht mehr zu geben scheint.

Im vergangenen Jahr, bei seinem letzten Auftritt bei der Sicherheitskonferenz, rief McCain den Europäern zu: "Macht keinen Fehler, meine Freunde. Es sind gefährliche Zeiten, aber ihr solltet Amerika nicht abschreiben. Und wir sollten uns gegenseitig nicht abschreiben." Viele hierzulande sind mittlerweile der Meinung, dass man Amerika abschreiben müsse. John McCain verkörperte ein Amerika, das es zwar gegenwärtig sehr schwer hat, das aber weiterhin existiert - und das wir ganz einfach nicht abschreiben dürfen. Für Europa und die Welt ist zu hoffen, dass McCain recht behält und die Krise des Westens zu seiner langfristigen Erneuerung und Revitalisierung führt. Die Verantwortung dafür liegt nicht nur bei uns, aber auch bei uns.

© SZ vom 28.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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