Zschäpe vor Gericht:NSU-Prozess, Spiegel der Gesellschaft

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Es ist der 6. Mai 2013. Die Angeklagte Beate Zschäpe (rechts) steht zum Prozessauftakt in mittlerweile gewohnter Pose im Gerichtssaal in München. Das Medieninteresse ist enorm. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Trotz aller Kritik hat der NSU-Prozess bisher mehr geleistet, als man ihm zugetraut hatte. Er hat nicht nur Aufklärung gebracht über die Schuld der fünf Angeklagten. Er wirft auch ein Schlaglicht auf 20 Jahre deutsche Geschichte nach der Wende: auf die Entwurzelung der Ostdeutschen, auf das Chaos in den Sicherheitsbehörden - und auf das Verharmlosen des Ausländerhasses.

Ein Kommentar von Annette Ramelsberger

Vor einem Jahr hat der Prozess gegen die rechtsradikale Terrortruppe NSU mit einem Eklat begonnen, und die Kritik an ihm reißt bis heute nicht ab: Viel zu groß sei der Aufwand, viel zu lang dauere das alles, viel zu wenig komme dabei heraus. Und: Warum die Täter zehn Menschen töteten, wie sie ihre Opfer auswählten und wer ihnen half, das könne doch nur die Angeklagte Beate Zschäpe wissen. Und die schweige ja. Warum also das alles?

Der Prozess hat in diesem ersten Jahr mehr geleistet, als man ihm zugetraut hatte: Er hat Aufklärung gebracht, nicht nur über die individuelle Schuld der fünf Angeklagten, mehr noch über den Zustand der deutschen Gesellschaft. Die kann sich im Gerichtssaal oft wie in einem Spiegel selbst erkennen - gerade wenn dort wieder Polizisten auftreten, die keinerlei Fehler bei sich finden wollen und sich loben, wie nett man mit den Angehörigen der Toten Tee getrunken habe; dass gleichzeitig die Telefone der Hinterbliebenen abgehört wurden, sagen die Polizisten nur auf Nachfrage des Gerichts.

Aber man erfährt in diesem Prozess noch viel mehr - auch, weil die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in der DDR geboren wurde, in Wendezeiten aufwuchs und in der neuen Bundesrepublik untertauchte. Der Prozess gibt Einblick in 20 Jahre deutsche Geschichte nach der Wende - in die Entwurzelung der Ostdeutschen, das Chaos in den Sicherheitsbehörden, das Verharmlosen von Ausländerhass.

Im Gerichtssaal von München sieht man die Schattenseiten der Wiedervereinigung. Zwei der eindrücklichsten Tage im Prozess waren die Auftritte der Eltern der mutmaßlichen Täter. Die Mutter von Uwe Böhnhardt, eine Lehrerin, trat als Zeugin auf wie vor dem Gericht eines fremden Landes. Sie ließ durchblicken, dass ihr Sohn, der spätere NSU-Mörder, im funktionierenden Schulsystem der DDR nicht auf die schiefe Bahn geraten wäre. Und der Vater von Uwe Mundlos, ein Informatikprofessor, packte vor Gericht seine Brotzeit aus.

Man muss sich vorstellen, das hätte ein Student bei ihm in der Prüfung getan. Vater Mundlos legte vor Gericht in erster Linie Wert darauf, dass ihn der Richter mit "Herr Professor" ansprach. Ansonsten war für ihn der Verfassungsschutz schuld an der Entwicklung des NSU. Wenn Jugendfreunde der Angeklagten aussagen, wird deutlich, wie sich die Jugendlichen damals abkapselten von den Eltern, deren Selbstwertgefühl durch die Wende erschüttert war; wie sie Stärke in der Gruppe fanden, und diese Gruppe war rechts.

Brigitte Böhnhardt im NSU-Prozess
:"Sie waren so lieb zueinander"

Für sie bleibt er "der Kleine": Die Mutter von Neonazi Uwe Böhnhardt berichtet im NSU-Prozess, wie ihr Sohn durch den Unfalltod des Bruders traumatisiert wurde - und sich anschließend immer öfter mit Uwe Mundlos traf. Als sie die Beziehung ihres Sohnes zu Beate Zschäpe als "kuschelig" bezeichnet, wirkt die Angeklagte ergriffen.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

Selten erkennt man so deutlich wie im NSU-Prozess, wie sich politische Fehler rächen. Wo die Behörden und Unternehmen gute Leute in den Osten schickten, gedieh die Gemeinsamkeit. Aber oft gingen auch die Dritt- und Viertbesten in die neuen Länder - wie der Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes. Es war bekannt, dass der Verfassungsschutz dort nicht funktionierte. Die Verantwortlichen in den Sicherheitsbehörden nahmen es hin, weil lange niemand eine braune RAF für möglich hielt. Zu absurd erschien eine solche Vorstellung.

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Mit jedem Zeugen, jeder Aussage im Prozess wird deutlich, dass die Terroristen nur deswegen 13 Jahre lang unentdeckt im Untergrund bleiben konnten, weil sie Helfer hatten. Da treten Friseurinnen, Hausmeister, Notargehilfinnen, Lastwagenfahrer auf, die Beate Zschäpe und ihre Freunde kannten - aber nie misstrauisch wurden; weil sie sich zwar als "ganz normale" Bürger sehen, aber vollgesogen sind mit rechtsradikalen Ansichten.

"Normal" ist das im NSU-Prozess am häufigsten gebrauchte Wort, aber es definiert dort einen Zustand, der alles andere ist als normal: Da finden scheinbar bürgerliche Zeugen nichts dabei, dass ihr Freund, ihr Mann, ihr Schwager Ausländer hasst. Sie halten es für normal, wenn der Mann sich das Wort "Skinhead" auf die Brust tätowieren lässt und die Frau ihren radikalen Freunden Hilfsdienste leistet. Auch heute noch; auch vor Gericht. Die Mauer des Schweigens steht. Sie wurde durch die zehn Morde des NSU nicht erschüttert.

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Das ist das wirklich Schaurige an diesem Prozess: Einerseits ist die Republik entsetzt über die Brutalität des NSU, der Bundespräsident muss sich in der Türkei vorhalten lassen, sein Land solle erst die rechtsradikalen Morde aufklären, dann könne er Kritik üben. Andererseits sind all diesen Zeugen die Bundesrepublik und die Werte ihrer Gesellschaft egal. Sie lassen die Fragen des Gerichts abperlen und fläzen sich in den Zeugenstuhl. Ein Mord, zehn Morde sogar, sind für sie kein Grund, um die Loyalität mit den Tätern infrage zu stellen. Für sie hat sich durch die Morde offenbar nichts geändert. Das ist die bisher schwierigste Erkenntnis aus dem NSU-Prozess.

© SZ vom 06.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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