Wulff-Nachfolger:Was die Politik aus dem Debakel gelernt hat

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Nach der Flucht von Bundespräsident Köhler verlief die Suche nach einem Nachfolger chaotisch. Was nach außen drang, klang eher nach einer handfesten Prügelei ums Schloss Bellevue als nach einer geordneten Kandidatenkür. Die Suche nach einem Wulff-Ersatz verläuft bislang erstaunlich geräuschlos. Wenn es dabei bleibt, dann war die Episode Wulff wenigstens dafür gut.

Thorsten Denkler, Berlin

Es ist Zeit für ein Lob. Ein Lob für die bis jetzt zumindest sehr ernsthafte und relativ geräuschlose Suche nach einem parteiübergreifenden Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Die Beteiligten haben ja inzwischen gewisse Erfahrungen gesammelt mit der Kandidatensuche für das höchste Staatsamt. Es sind Erfahrungen, aus denen sie offenbar gelernt haben. Eine Lehre scheint zu sein, dass es unwürdig ist, wenn ständig neue Namen aus dem innersten Kreis der Sucher nach außen ventiliert werden.

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Das war 2010 so. Merkel wollte nach der Fahnenflucht des politischen Quereinsteigers Horst Köhler einen erfahrenen Parteisoldaten in das Amt bugsieren. Damals brachten sich gleich reihenweise Minister ihres Kabinetts und amtierende Ministerpräsidenten in Stellung. Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen, Christian Wulff, zeitweise auch Annette Schavan.

Alle schoben ihre Spindoktoren in Position. Was da nach außen drang, klang eher nach einer handfesten Prügelei ums Schloss Bellevue als nach einer geordneten Kandidatenkür. Es ging soweit, dass sich von der Leyen schon sicher war, die erste Bundespräsidentin der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Christian Wulff aber hat es geschafft, ihr in der letzten Runde noch den entscheidenden Kinnhaken zu verpassen.

Im Grunde war das Amt schon beschädigt, bevor die Bundesversammlung den Nachfolger gewählt hat. Einen Teil dazu trug auch Christian Wulff bei. Der wollte zwar unbedingt Schlossherr werden, hatte aber keine erkennbare Idee, weshalb nun ausgerechnet er das Amt bekommen sollte. Merkel war das egal. Hauptsache, sie hatte ihren erfahrenen Parteipolitiker.

Jetzt will sie einen Konsenskandidaten. Das schafft neue Möglichkeiten. Weil schon der Ansatz machpolitische Taktierereien weitgehend ausschließt. Jeder Name, der ins Spiel kommt, muss sich daran messen lassen, ob er allen anderen Parteien zuzumuten ist. Schon deshalb scheiden viele aus.

Die Vorgaben machen die Suche schwieriger aber auch bedächtiger. Da wird nicht wie wild mit Namen jongliert, wie 2010. Da entsteht nicht der Eindruck, einzelne mögliche Kandidaten-Kandidaten unterhielten eigene Kampagnenbüros um potentielle Gegner auszubooten.

Diesmal halten sie dicht im inneren Zirkel der Macht. Parteivorsitzende und Fraktionschefs von Union und FDP beteiligen sich an der Suche. Und wenn sie schlau sind, binden sie jetzt schnell auch SPD und Grüne in die Suche ein, auf dass es eine gemeinsame werden kann.

Dass kaum etwas nach außen dringt, liegt natürlich auch an Umständen, die Merkel jetzt zu Gute kommen:

[] In der Bundesversammlung hat das schwarz-gelbe Lager eine wenn auch knappe Mehrheit. Einige Wochen später, nach der Landtagswahl im Saarland, wäre diese Mehrheit wohl weg gewesen. Dann hätten SPD und Grüne die Oberhand gehabt. Und die hätten sich die Chance nicht entgehen lassen, einen der ihren ins Rennen zu schicken.

[] Die FDP ist zu schwach, um wirklich Gegenwehr aufbauen zu können. Dabei fällt es ihr besonders schwer, einen Kandidaten ausfindig zu machen, der auch noch SPD und Grünen schmecken soll. Die Liberalen würden viel lieber einen erkennbar schwarz-gelben Kandidaten aufstellen. Als eine in den Umfragen marginalisierte Partei aber können sie froh sein, dass sie überhaupt mitreden dürfen. Merkel bindet sie nur deshalb ein, weil sie nicht noch zwei Jahre Stress mit ihrem dahinsiechenden Koalitionspartner haben will. Da bleibt die FDP lieber still.

[] Weil Horst Seehofer jetzt de facto Staatsoberhaupt ist, schießt die CSU nicht quer, wie es Merkel eigentlich von ihr gewohnt ist. Seehofer übernimmt als amtierender Bundesratspräsident die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten. Aus der Position heraus ist es schon schwer genug, mit einer eigenen Agenda in die Suche zu gehen. Nahezu unmöglich ist es, halb-öffentlich Namen in die Runde zu werfen, um sie entweder zu pushen oder sie zu verbrennen. Im Gegenteil: Die CSU ist geradezu zur Staatsräson gezwungen.

Und so könnte diese Kandidatensuche als beispielgebend in die Geschichte eingehen. Bisher scheinen alle Beteiligten daran ein ernsthaftes Interesse zu haben. Wenn die Episode Wulff irgendetwas Gutes hatte, dann die, dass daraus die richtigen Lehren gezogen wurden.

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