Adrian Lamo weiß, wie man in die Schlagzeilen kommt. Der Amerikaner mit kolumbianischen Wurzeln brach Anfang des Jahrhunderts in das Computersystem der New York Times ein, bei Yahoo und Microsoft. Lamo hat für seine Straftaten im Cyberspace viel Geld zahlen müssen und sah Gefängniszellen von innen. Das läutert.
Leitete offenbar vertrauliche US-Dokumente in großer Zahl an Wikileaks weiter: Soldat Bradley Manning
(Foto: AP)Später trat er im Fernsehen auf und auf Kongressen, zuletzt spielte er sich selbst in einem bislang unveröffentlichten Film, den Oscar-Preisträger Kevin Spacey produzierte. Adrian Lamo war prominent geworden, keine kolossale Berühmtheit, aber ein schwach leuchtender Stern am Hacker-Himmel.
Bis er Bradley Manning verriet - den Mann, von dem Wikileaks offenbar Abertausende als geheim eingestufte Dokumente erhalten hat, die in mehreren Tranchen veröffentlicht wurden. Persönlich haben sich Lamo und der Soldat Manning nie kennengelernt. Und doch haben sie ihre Leben wechselseitig nachhaltig verändert.
Die Geschichte beginnt am 22. Mai filmreif: Der namhafte Hacker wird offenbar von Manning, dem unbekannten IT-Spezialisten im Rang eines Obergefreiten, kontaktiert. Der Soldat befindet sich gerade auf der Militärbasis Hammer im Irak.
Ihr Kontakt besteht allein in Internet-Chats, in denen sich die beiden jungen Männer über die höchst brisanten Staatsgeheimnisse unterhalten, auf die Manning zugreifen konnte. Früh brüstet sich Manning damit, welch außergewöhnlichen Möglichkeiten er hat: "Was würdest du tun, wenn du unbegrenzten Zugang zu geheimen Netzwerken hättest, 14 Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche und das für mehr als acht Monate?", fragt der Noname-Gefreite den erfahrenen Hacker.
Etwa fünf Tage läuft die Unterhaltung, ab Tag drei lesen die von Lamo alarmierten US-Staatsschützer mit. Nach fünf Tagen greifen die US-Behörden zu: Am 26. Mai nehmen sie Private First Class Bradley Manning fest.
Über den inzwischen 23 Jahre alten Whistleblower ist nicht sehr viel bekannt. Er soll aus Potomac im Bundestaat Maryland stammen, eine britische Mutter haben und einen amerikanischen Vater.
Nach der Scheidung der Eltern ist er dem Daily Telegraph zufolge in Wales zur Schule gegangen. Im Internet kursieren inzwischen Fotos, die ihn mal in Uniform zeigen, mal in Freizeitkleidung: ein blasser Mann, jung mit kurzen rötlichen Haaren, der breit in die Kamera lacht.
Der Telegraph befragte einige Bekannte und Verwandte zu Manning, sie gaben mitunter ein diffuses Bild: Mal wird er als introvertiert, mal als hitzig beschrieben. Sein Onkel erzählte, wie sehr seine Mutter leidet. "I think the boy did the right thing", fügte er hinzu.
Auf seinem Facebook-Account machte Manning aus seiner Homosexualität keinen Hehl, ein Foto zeigt ihn mit einem selbstgefertigten Plakat, auf dem er Gleichtberechtigung für Schwule fordert - auch auf dem "Schlachtfeld". Liebeskummer habe er um die Jahreswende gehabt, heißt es. Er sei wohl einsam gewesen, erklärte sich Hacker Lamo den Umstand, warum Manning sich ihm anvertraut habe.
Inzwischen sitzt Manning in einer Zelle auf dem Militärstützpunkt Quantico, Virginia. Er wartet auf seinen Prozess. Mittlerweile ist seine Festnahme mehr als 185 Tage her. Erst in Jahrzehnten dürfte Manning wieder in Freiheit sein: 52 Jahre Gefängnis drohen ihm, sollte er in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden. Dabei hat er offenbar auch offensichtliche Kriegsverbrechen verraten, als ein Video aus Bagdad zeigte, wie US-Soldaten von einem Hubschrauber aus Passanten erschießen.
Orientierung an humanistischen Werten
Längst gibt es eine Unterstützer-Website für Manning, auf der sein Fall dokumentiert wird. "Einen Helden" nennt ihn die Geistesgröße Noam Chomsky, auch Filmemacher Michael Moore fordert seine Freilassung.
Es zählt zu den Kuriosa dieser Geschichte, dass es inzwischen zahlreiche Zitate von Bradley Manning gibt - allerdings stammen sie allesamt aus dem Chat von Manning mit Lamo: Die virtuellen Protokolle ließ Lamo bei Wired veröffentlichen - nachdem die sensiblen Stellen getilgt worden waren. Nur mehr ein Viertel blieb angeblich übrig.
Es handelt sich also um O-Töne vom Verräter des verratenen Verräters - und deshalb ist nicht sicher, ob die Zitate echt sind. Eingedenk dieses Vorbehalts, lesen sich die Protokolle durchaus plausibel. Gerade, was die Selbstcharakterisierung und die Motivation Mannings angeht, wirken die kolportieren Äußerungen stimmig. Er folge "humanistischen Werten". An anderer Stelle: "Ich möchte, dass die Menschen die Wahrheit sehen, egal, wo sie sind." Bradley Manning klingt wie ein Idealist in Uniform.
Religiös scheint er nicht zu sein: "Ich wurde katholisch aufgezogen", schreibt er einmal, "aber ich habe nie ein Wort davon geglaubt."