Zuspitzung in Nahost:Terror, Trümmer und wachsende Wut

Lesezeit: 2 min

Ein israelischer Polizist in der Nähe der Siedlung Eli. (Foto: Ahmad Gharabli/AFP)

Das Westjordanland hat eine Woche der Gewalt und Racheexzesse erlebt. Israelis und Palästinenser steuern auf einen massiven militärischen Konflikt zu.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Straßenkämpfe in Dschenin, tödlicher Terror in der israelischen Siedlung Eli, brennende Häuser in palästinensischen Dörfern - das Westjordanland hat eine Woche der Gewalt erlebt, die an weit zurückliegende Zeiten der zweiten Intifada in den Jahren 2000 bis 2005 erinnern. Lange nicht mehr war die Lage so angespannt. Aus der rechten Regierung in Jerusalem werden nun die Rufe lauter nach einer massiven Militäroperation im nördlichen Westjordanland. Eine gewaltsame Aufräumaktion soll dort die Ruhe wiederherstellen - birgt aber die große Gefahr, dass die Situation erst recht eskaliert.

Das aktuelle Drama hat sich Tag für Tag in einer erschreckenden Logik entwickelt: Es begann am Montag mit einem außer Kontrolle geratenen Armee-Einsatz in Dschenin, das zusammen mit Nablus als Hauptquell der Unruhen gilt. Eingerückt waren die Soldaten, um zwei Verdächtige zu verhaften. Das mündete in stundenlange Feuergefechte, bei denen sieben Palästinenser getötet und mehr als 90 verletzt wurden. Die Detonation eines versteckten Sprengsatzes verwundete zudem sieben israelische Soldaten. Bei ihrer Bergung feuerte ein israelischer Kampfhubschrauber erstmals seit dem Ende der zweiten Intifada im Westjordanland Raketen ab.

In der Regierung wird die Gewalt verharmlost

Am Tag darauf erschossen zwei palästinensische Attentäter in einem Hummus-Restaurant und an einer Tankstelle an der Einfahrt zur Siedlung Eli nördlich von Ramallah vier Israelis. Die Hamas, die sich zur Tat bekannte, sprach sogleich von einer Vergeltungsaktion für Dschenin - und provozierte damit eine weitere Runde der Rache: Noch am selben Abend und fortgesetzt am folgenden Tag verwüsteten Hunderte Siedler mehrere palästinensische Ortschaften. Sie setzten Häuser, Autos und Felder in Brand. Die Einwohner beklagten, dass die Armee den Umtrieben tatenlos zugeschaut habe. In israelischen Medien war von einem "Pogrom" der Siedler die Rede.

Auch Premierminister Benjamin Netanjahu schaltete sich ein und erinnerte die organisierten Krawallmacher daran, dass Israel "ein Rechtsstaat" sei. Im eigenen Koalitionslager jedoch wird die Siedlergewalt längst nicht von allen verurteilt. Der Abgeordnete Simcha Rothman von den Religiösen Zionisten zum Beispiel verharmloste die Vorfälle durch einen Vergleich mit den Protesten gegen die geplante Justizreform der Regierung. Sein Parteichef Bezalel Smotrich hatte nach einer ähnlichen Randale im palästinensischen Städtchen Huwara im Frühjahr erklärt, diese Ortschaft müsse "ausgelöscht" werden. Nach einem Proteststurm erklärte er das zum verbalen Ausrutscher.

Itamar Ben-Gvir ruft nach "gezielten Tötungen aus der Luft"

Der rechtsextreme Flügel der Koalition nutzt nun die Lage, um Netanjahu mit der Forderung nach einem deutlich verstärkten Einsatz der Armee unter Druck zu setzen. Smotrich verlangt eine "breit angelegte Operation, um Terroristennester auszumerzen". Und noch am Terror-Tatort in Eli rief der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir nach "gezielten Tötungen aus der Luft, der Zerstörung von Häusern und der Todesstrafe für Terroristen".

Sein erstes Ansinnen wurde schnell in die Tat umgesetzt: Drei Palästinenser, die in der Nähe von Dschenin Schüsse auf einen israelischen Militärposten abgegeben hatten, wurden am Mittwochabend in ihrem Auto von einer bewaffneten Drohne getötet. Auch dies geschah im Westjordanland zum ersten Mal seit Intifada-Zeiten und darf als weiteres Indiz dafür gelten, dass sich die Konfliktparteien auf einem abschüssigen Pfad hinein in eine massive militärische Auseinandersetzung befinden.

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Um die Gemüter seiner Koalitionspartner zu beruhigen, kündigte Netanjahu allen Protesten aus Washington und Europa zum Trotz zudem den beschleunigten Bau von 1000 neuen Wohneinheiten in der vom Terror getroffenen Siedlung Eli an. Die Siedler wird das freuen, aber nicht zufriedenstellen. Die Palästinenser dagegen dürften das als weitere Provokation ansehen.

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