Westerwelle auf dem FDP-Parteitag:Aus der Zeit gefallen

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FDP-Parteichef Guido Westerwelle verliert zunehmend das Gespür für die Balance zwischen Regierungsarbeit und oppositionellem Habitus. Dafür rückt ein Mann ins Zentrum, dem der Vizekanzler selbst zum Aufstieg verholfen hat.

Thorsten Denkler, Köln

Am Ende seiner Rede scheint Guido Westerwelle den Tränen nah zu sein. Der FDP-Parteichef kneift die Augen zusammen, lächelt vor Glück, als sei ihm gerade ein guter Engel erschienen. Vor ihm stehen die Delegierten des Kölner Parteitages und applaudieren. Um ihn herum stehen die Bundesminister und Präsidiumsmitglieder der FDP, klopfen ihm die Schulter, beglückwünschen ihn per Handschlag zu der Rede. Und doch liegt in den Gesichtern um Westerwelle herum eine Mischung aus Irritation und Verwirrung.

Außenminister Westerwelle und FDP-Generalsekretär Christian Lindner auf dem Parteitag der Liberalen in Köln: Die ganz große Rhetorik. (Foto: Foto: apn)

Vielleicht liegt es daran, dass Westerwelle mal wieder den richtigen Ton nicht getroffen hat. Am 9. Mai wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Es steht Spitz auf Knopf, ob Schwarz-Gelb in Düsseldorf bestätigt wird. Da braucht es Wahlkämpfer, die dem politischen Gegner ordentlich einheizen.

Westerwelle liefert stattdessen den verunglückten Versuch einer staatstragenden Bilanzrede des ersten Regierungshalbjahres mit gleichzeitiger oppositioneller Grundhaltung und überzogener Emotionalität ab. Und am Ende erklärt er den Delegierten auch noch, warum er diese Rede so gehalten hat. Er habe es sich "verkniffen", auf andere Parteien einzugehen, weil er habe zeigen wollen, dass es einen Neuanfang gebe. Westerwelle interpretiert sich selber.

Die ganz große Rhetorik

Bei Westerwelle geht es nie nur einfach um Politik. Er braucht die ganz große Rhetorik. Es gehe um die "eine entscheidende Frage, welche Geisteshaltung soll Deutschland prägen" - eine der "Staatsgläubigkeit, die jeden Bürger bevormundet", oder eine, in der sich Leistung wieder lohne. Er will die "geistig politische Achse wieder in Richtung Mitte verschieben". Drunter macht er es nicht.

Leistung, Anstrengung, Freiheit - Westerwelle bemüht seinen Parteitagsreden-Standardbaukasten. Er wiederholt die Begriffe so oft, dass sie sich jedem, der sie noch nicht kennt, ins Hirn brennen müssen. Auf dem Parteitag wirkt das inzwischen ermüdend.

Und wieder arbeitet er mit dem unlauteren rhetorischen Trick, Tabus zu brechen, die gar nicht existieren. Man werde ja schon beschimpft, "weil es tatsächlich Unternehmer gibt, die die Absicht haben, Gewinn zu erwirtschaften", ereifert er sich. Als wenn irgendwer gefordert hätte, Unternehmensgewinne zu verbieten.

Was einigen im Plenum aber tatsächlich sauer aufstößt, ist Westerwelles seltsam aufgesetzt wirkende Emotionalität am Ende der Rede. Neben dem Wahlabend habe es für ihn in den vergangenen sechs Monaten einen zweiten Moment gegeben, an den "ich voller Dankbarkeit zurückdenke". Nämlich als vor wenigen Wochen noch "die Kritik so richtig gehagelt hat, es ein Sperrfeuer des politischen Gegners gab". Da habe seine Partei sich nicht beirren lassen. "Dass sie da gestanden ist, das vergesse ich Ihnen nicht", sagt er und kneift die Lippen zusammen.

Nun, da trügt die Erinnerung womöglich. Als Westerwelle mit seiner Rede von spätrömischer Dekadenz die Republik aufmischte und seine bemerkenswerten Reisegepflogenheiten zu breiten Debatten führten, da war aus der Partei fast nichts zu hören. Nur wenige fühlten sich zu Unterstützungsadressen an Westerwelle genötigt.

Westerwelle hat da offenbar eine andere Wahrnehmung: "Von dieser Solidarität können sich andere Parteien eine dicke, fette Scheibe abschneiden." Danach bedankt er sich ausgiebig und mindestens dreimal zu oft, als dass es noch glaubwürdig klingen kann, bei den Delegierten. In den Applaus hinein lächelt er, als wäre er der verlorene Sohn, dem der Vater gerade die Rückkehr in die Familie erlaubt hat.

Es ist wohl zu früh, von einer Entfremdung zwischen Westerwelle und der Partei zu sprechen. Noch ist der Außenminister die unangefochtene Nummer eins in der Partei. Doch er tut sich nach wie vor schwer damit, die FDP als Regierungspartei zu positionieren. In seiner Rede bemüht er angebliche Erfolge der vergangenen sechs Monate, die bei näherer Betrachtung eher als Beleg dafür dienen, dass die neue Regierung das erste halbe Regierungsjahr schlicht verpennt hat.

Konkurrenz für Westerwelle

Es sind Stellschräubchen im deutschen Sozial- und Steuerstaat, die die neue Regierung ein paar Umdrehungen vor oder zurück gedreht hat. Etwa die Veränderungen der Erbschaftsteuer zugunsten von Firmenerben oder die Heraufsetzung des Schonvermögens für künftige Hartz IV-Empfänger. Beides betrifft faktisch nur wenige, soll aber der Mittelschicht etwas von ihrer Abstiegsangst nehmen.

Westerwelle lobt sich sogar dafür, die Kinderbetreuung ausgebaut zu haben, was jedoch deutlich ein Erfolg der schwarz-roten Vorgängerregierung ist. Der Beginn einer "geistig-politischen Wende" sieht anders aus.

Besser gemacht hat es am Vortag der frisch gewählte Generalsekretär Christan Lindner. Lindner verzichtete auf unnötige Zuspitzung, erkennbare Übertreibungen und allzu offensichtliche Effekthascherei. Er war es auch, der bewusst Westerwelles Brachialrhetorik gegen Hartz-IV-Empfänger nicht übernommen hat. Stattdessen legte er vor einigen Wochen ein differenziertes Sozialstaatspapier vor, das selbst einige Sozialdemokraten staunen lässt. In Absprache mit FDP-Steuerfachmann Hermann Otto Solms hat er die Steuersenkungspläne auf 16 Milliarden Euro zusammengerechnet.

Im Moment ist es Lindner, der besser in die Zeit zu passen scheint. Er verkörpert eine Haltung, die Regierungsfähigkeit und Kampfeswillen vereint. Westerwelle aber wirkt zunehmend wie einer, der dabei ist aus der Zeit zu fallen. Er kämpft, wenn es keiner erwartet, und hält sich zurück, wenn er kämpfen sollte. Wäre Lindner ein paar Jahre älter, er könnte jetzt schon ein gefährlicher Konkurrent um den Parteivorsitz sein.

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