Gottesdienste an Weihnachten:"Mir macht das große Bauchschmerzen"

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Ein gemeinsamer Weihnachtsgottesdienst wie hier im Hamburger "Michel"? Ist dieses Jahr trotz Corona zwar erlaubt, doch Pastor Jonas Goebel verzichtet lieber - wegen der Symbolik (Foto: Axel Heimken/dpa)

Jonas Goebel ist evangelischer Pastor in Hamburg. Der Corona-Beschluss von Bund und Ländern erlaubt ihm, Weihnachten in der Kirche zu feiern. Er hat trotzdem alles abgesagt.

Interview von Annette Zoch

Jonas Goebel, 31, ist Pastor der evangelisch-lutherischen Auferstehungskirche Hamburg-Lohbrügge. Auf seinem Blog Juhpoma.de schreibt er über sein Leben und seine Arbeit in der Kirche.

SZ: Herr Pastor Goebel, Sie haben am vergangenen Sonntag alle Heiligabend- und alle Weihnachtsgottesdienste in Ihrer Gemeinde abgesagt. Warum? Gottesdienste bleiben doch trotz Shutdown erlaubt?

Jonas Goebel: Der Staat gibt uns nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung. Ich finde es richtig, dass Religionsausübung ein durch das Grundgesetz geschütztes Recht ist und ich finde es richtig, dass wir weiter Gottesdienste feiern dürfen. Aber ich verstehe das auch so, dass man als Kirche abwägt und verantwortlich handelt. Für uns war die Absage von Gottesdiensten die einzig verantwortungsvolle Option. Dabei ist natürlich das aktuelle Infektionsgeschehen entscheidend. Vor einer Woche haben wir auch noch anders gedacht.

Wann fiel dann die Entscheidung?

An diesem Wochenende. Ich finde das natürlich traurig. Aber mir persönlich macht das auch große Bauchschmerzen: Dass ein kirchliches Massenevent vielleicht die letzte Sache vor einem möglichen richtig harten Lockdown sein könnte. Nichts anderes als ein Massenevent ist Weihnachten in der Kirche aus meiner Sicht. An Heiligabend gehen 20 bis 30 Millionen Menschen in Gottesdienste. Auch diejenigen, die sonst nie kommen. Wir wissen natürlich nicht, wie viele Besucher es in diesem Jahr wären. Aber alleine die Vorstellung: An Zehntausenden Orten in ganz Deutschland kommen an einem Tag Millionen Menschen zusammen, und das in einer Situation, wo die Maxime eigentlich heißt, Kontakte reduzieren.

Was hatten Sie denn eigentlich für Heiligabend in Ihrer Gemeinde geplant?

Wir wollten sechs jeweils halbstündige Gottesdienste für jeweils maximal 100 Personen feiern. Wir haben eine große Kirche, an Heiligabend kommen sonst 300 bis 400 Leute. Wir finden übrigens, dass wir ein gutes Hygienekonzept haben, darum geht es nicht. Es geht auch nicht darum, dass ich glaube, dass aus allen Gottesdiensten ein großes Superspreader-Event wird. Es geht mir hier tatsächlich um die Symbolik. Hunderte Menschen sterben täglich, die Infektionszahlen schnellen hoch und niemand darf sich mehr treffen, aber wir versammeln 100 Leute. Das ist einfach das falsche Signal. Wenn eine emotionale Angela Merkel im Bundestag darum bittet, Kontakte zu reduzieren, dann habe ich einfach ein sehr, sehr schlechtes Gefühl dabei, weiter Gottesdienste zu feiern.

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Aber brauchen die Menschen in solchen Zeiten nicht gerade Trost, Zuspruch, Seelsorge?

Ja, das haben ja viele kritisiert, Kirche ziehe sich zurück. Das ist mir zu schwarz-weiß gedacht. Die Frage ist ja nicht: Wir feiern Gottesdienst und sind für die Menschen da oder wir sind nicht mehr für die Menschen da. Die entscheidende Frage ist: Wie können wir in dieser Zeit für Menschen da sein? Und ob Gottesdienste darauf wirklich die richtige Antwort sind, ist ja noch mal eine ganz andere Frage. Auch außerhalb von Gottesdiensten kümmern wir uns als Kirche doch auf so vielen Ebenen um die Menschen. Bei uns in der Gemeinde sind die wirklich Einsamen die Älteren, die sich schon seit Monaten freiwillig isolieren. Und die sowieso an Heiligabend nicht gekommen wären.

Wie gehen Sie denn auf diese Menschen zu?

Wir hatten in den letzten Jahren die Aktion "Keine einsame Weihnacht". An Heiligabend haben wir einsame Menschen zum Essen in die Gemeinde eingeladen, mit Weihnachtsbaum und Geschenken. Das ist jetzt das viel größere Problem, denn diese Veranstaltung dürfen wir gar nicht mehr durchführen. Was wir da für Lösungen finden, wissen wir noch nicht. Da müssen wir uns noch was überlegen.

Gab es schon Reaktionen auf Ihre Entscheidung?

Doch, nach dem Sonntagsgottesdienst gab es heute ein sehr großes positives Echo. Die Menschen sind zwar traurig, aber verständnisvoll. Viele Leute aus der Gemeinde haben mir gesagt, dass sie ohnehin schon ein ungutes Gefühl hatten und jetzt froh sind, dass ihnen die Entscheidung abgenommen wurde.

Jonas Goebel. (Foto: privat)

Aber machen sich Kirchen damit nicht auch überflüssig?

Ich vermisse es, auf Konzerte zu gehen. Ich vermisse es, ins Restaurant zu gehen. Und wenn Corona vorbei ist, dann werde ich das auch wieder machen. Wenn ich also jetzt in einem Jahr an Heiligabend nicht in die Kirche gehen kann, und die Konsequenz ist: Dann gehe ich nie mehr - dann gab's da vielleicht schon vorher ein Problem. Dann lag das nicht an diesem einem ausgefallenen Heiligabend-Gottesdienst, sondern es war vielleicht vorher schon ein leeres Ritual. Mir kommt die Aufregung um Gottesdienste fast ein wenig fadenscheinig vor: Häufig ist es doch so, da wird die Predigt noch schnell am Samstagabend geschrieben und dann wird der Gottesdienst am Sonntag lieblos hinterhergeworfen. Und jetzt auf einmal tun wir so, als wäre das das Allerwichtigste. Das relativiert auch das, was wir für Menschen sonst so tun.

Was machen Sie dann in diesem Jahr an Heiligabend?

Ich bin in der Kirche. Wir lassen die Türen offen, von 13 Uhr bis 23 Uhr. Und wir sind ansprechbar. Wer einfach vorbeikommen und beten möchte, ist dazu herzlich eingeladen.

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