Nahrung für die Wehrmacht:Dr. Oetker und Knorr machten mit

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An der Ostfront im Zweiten Weltkrieg: Deutsche Soldaten empfangen Rationen in der überfallenen Sowjetunion. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Der Blick auf die Soldatenverpflegung ist nicht so unwichtig, wie es scheint. Die Historikerin Daniela Rüther legt nun eine Fallstudie dazu vor, die in die Details einer speziellen Gesellschaft des NS-Regimes eintaucht.

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Den deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg sollte es beim Erobern an nichts mangeln. So sprach der Geheimrat Ernst Pieszczek, Chef der Verpflegungsabteilung des Oberkommandos des Heeres, im Oktober 1941 davon, wie es gelinge, den deutschen Soldaten durch gute Küche an den "Waffenberuf zu fesseln".

Es gebe "Frisch-, Halb- und Ganzdauerwaren, Trocken-, Gefrier- und Dosenkonserven; nicht zuviel Fleisch, dafür Fisch, Käse, Gemüse, Obst. Wir reichen die Kost mit Milch-, Soja- und Hefeeinweiß und liefern Konzentrate und Komprimate, insbesondere auch Vitamin-C-Drobs." Das alles entsprach, spätestens sei dem Überfall auf die Sowjetunion, ganz sicher nicht der Realität.

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Dennoch ist der Blick auf die Soldatenverpflegung nicht so unwichtig, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Die Historikerin Daniela Rüther hat nun eine Fallstudie dazu vorgelegt, die sehr tief in die Details einer sehr speziellen Gesellschaft während des NS-Regimes eintaucht.

Es geht um die "Gesellschaft für Nährwerterhaltung", die die Wehrmacht mit getrockneten Obst und Gemüse beliefern sollte.

Warum es sich trotzdem lohnt, den heutzutage kaum bekannten Protagonisten zu folgen und ihr Geschäftsmodell zu studieren?

Man kann an dieser Fallstudie sehr schön im Kleinen sehen, wie der NS-Staat in all seinen Verästelungen funktionierte, wie die Nahrungsmittelindustrie sich in seinen Dienst stellte, wie wichtige Vertreter von Wehrmacht und SS um die lukrativsten Aufträge buhlten und wie die allermeisten Betroffenen nach dem Untergang des Dritten Reiches nichts mit alldem zu tun gehabt haben wollten.

"Vitaminfimmel" führender Nazis

Es handelt sich bei der "Nährwert"-Gesellschaft um eine Art Public-Private-Partnership-Projekt, wie man heute sagen würde. Beteiligt waren die auch immer noch bekannten Firmen Dr. Oetker, Wilh. Schmitz-Scholl/Tengelmann und Knorr.

Es ging darum, neue Verfahren zur Trocknung von Obst und Gemüse zu entwickeln und zu etablieren, um die Wehrmacht mit ausreichend Vitaminen zu versorgen. Nicht zuletzt aufgrund des "Vitaminfimmels" führender Nationalsozialisten war das ein sehr prestigeträchtiges Projekt, das sich da die Amtsgruppe V III des Oberkommandos des Heeres ausgedacht hatte.

Der Hintergrund: Einerseits mangelte es dem NS-Staat an Weißblech, um die Früchte in Dosen zu transportieren, zum anderen galt natürlich die Losung: "Jedes unnütze Gewicht, vor allem starker Wassergehalt, muß vermieden werden."

Daniela Rüther: Der "Fall Nährwert". Ein Wirtschaftskrimi aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Wallstein-Verlag, Göttingen 2020, 228 Seiten, 24,90 Euro. (Foto: N/A)

Und so gründete man die besagte Gesellschaft, suchte sich die passenden Experten und begann mit der industriellen Trocknung von Zwiebeln, Blumenkohl, Weißkraut, Schnittbohnen, Spinat, Karotten, sowie der Herstellung von Apfelpulver, Aprikosenpulver und Tomatenpulver.

Produziert wurde in Ungarn und Rumänien - ohne Zwangsarbeit und Kriegsverbrechen. All das aber vor dem Hintergrund, dass die Zivilbevölkerung seit Kriegsbeginn mit rationiertem Essen und später auch mit starker Mangelernährung zurechtkommen musste.

Für die Industrie war das eine schöne Sache, die Wehrmacht garantierte die Abnahme, die Risiken übernahm weitgehend das Reich.

Der SS-Ernährungsinspekteur war neidisch

Der Erfolg der Nährwert-Gesellschaft war schnell sehr groß. Das rief natürlich Neider auf den Plan, zuvorderst die SS. Besonders Ernst Günther Schenck, seit 1940 Ernährungsinspekteur der Waffen-SS, agitierte gegen die Bürokraten vom Heeresverwaltungsamt, weil er selbst gern die Oberhoheit gehabt und bei Himmler als der entscheidende Ernährungsexperte gegolten hätte.

Rüther hat als Untertitel das Wort "Wirtschaftskrimi" und einen erzählerischen Ansatz beim Schreiben gewählt. Dennoch bleibt das Buch eine historische Analyse, es gewinnt seine Farbe durch die umfangreiche Quellenlage und die neuen Erkenntnisse über die zahllosen Rivalitäten in dem bisher wenig erforschen Feld der deutschen "Küchenfront".

© SZ vom 16.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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