Acht Tote, darunter ein ungeborenes Kind und der mutmaßliche Amokläufer, acht Verletzte. Und es hätten noch viel mehr Opfer werden können, als am Donnerstagabend gegen 21 Uhr in einem Gebäude der Zeugen Jehovas im Hamburger Norden Schüsse fielen. Die Polizei war schnell am Tatort. Der mutmaßliche Täter Philipp F. erschoss sich, bevor er überwältigt werden konnte. Als Extremist war der 35-Jährige nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt. Seit dem 12. Dezember sei er im legalen Besitz einer halbautomatischen Pistole gewesen, sagte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Diese sei auch die Tatwaffe gewesen.
Laut Polizeipräsident Meyer erhielt die Polizei einige Zeit vor der Tat einen anonymen Hinweis. Darin habe eine Person darum gebeten, zu überprüfen, ob Philipp F. rechtmäßig im Besitz von Waffen sei und dem Verdacht einer psychischen Erkrankung nachzugehen. Bei einer Überprüfung in dessen Wohnung im Februar seien keine Verstöße festgestellt worden. Philipp F. sei rechtmäßig im Besitz einer Waffenbesitzkarte gewesen. Sowohl die Waffe als auch Munition seien in einem Tresor verschlossen gewesen. Auf dem Tresor habe sich eine Patrone befunden. Die Polizei habe den Besitzer deswegen ermahnt. Für weitere Schritte habe es rechtlich keine Grundlage gegeben. Meyer räumte ein, dass sich dies vor dem Hintergrund der Tat nun anders darstelle.
Faeser will Gesetzentwurf nochmals überprüfen
Die Politik konzentriert sich nun darauf, wie man künftig verhindern kann, dass Menschen wie Philip F. in Besitz legaler Waffen kommen. Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist das weitere Vorgehen klar: Das Waffengesetz muss verschärft werden. Die Pläne dazu verfolgt sie schon seit Längerem und hat bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt, den sie jetzt nochmal überprüfen lassen will. Man müsse sicherlich noch mal "an das Gesetz gehen und schauen", ob es noch Lücken gebe, sagte sie am Freitagabend den ARD-"Tagesthemen". Der bisherige Entwurf sei "unter dem Eindruck der Anschläge von Halle und Hanau entstanden".
Die Pläne der Ministerin sehen vor, dass beim Antrag auf eine Waffenbesitzkarte künftig kontrolliert werden soll, "ob jemand psychologisch geeignet ist". Dazu brauche man gemeinsam mit den Gesundheitsbehörden eine Überprüfung, so Faeser. "Wir wollen vor allen Dingen eine bessere Vernetzung zwischen den Behörden." Das sei zum Beispiel bei einem Wohnortwechsel wichtig. Bei der ersten Erteilung einer solchen Karte solle es ein ärztliches Attest geben.
Das Waffengesetz regelt bereits jetzt, dass bei der Beantragung einer Waffenbesitzkarte ein psychologisches Gutachten auf eigene Kosten vorgelegt werden muss - allerdings wird das nur für die Jüngeren im Alter bis 25 Jahre verlangt.
Daneben folgt bei jedem Antragsteller, egal welchen Alters, eine "Überprüfung der Zuverlässigkeit". Dabei soll eigentlich nicht nur von der kommunalen Waffenbehörde ein Auszug aus dem Strafregister angefordert werden, sondern auch die zuständige Verfassungsschutzbehörde Auskunft erteilen, beispielsweise darüber, ob der Antragsteller etwa Mitglied in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung ist oder war. Die Inhaber der Waffenbesitzkarte sollen eigentlich laut Paragraph 4 des Waffengesetzes mindestens alle drei Jahre erneut auf ihre Zuverlässigkeit und ihre persönliche Eignung überprüft werden, doch in der Realität scheitert das an Personalmangel in den lokalen Waffenbehörden.
Nicht genügend Personal für Waffenkontrollen
Faeser sagte in den Tagesthemen, sie halte die regelmäßige psychologische Überprüfung für sehr schwierig. "Es sollte natürlich in Maßnahmen auch verhältnismäßig sein." Auch bei der Waffenkontrolle gebe es personelle Schwierigkeiten. "Wir haben eine Zeit in Deutschland gehabt, wo wir sehr viel Verwaltung abgebaut haben, es war en vogue zu sparen. Und jetzt wundert man sich, dass man die Kontrollen nicht mehr durchführen kann." Im Waffenbereich brauche es aber viel Kontrolle, wenn man diejenigen finden wolle, die psychologisch beeinträchtigt seien oder Waffen falsch oder in zu großer Zahl lagerten.
Die Pläne der Bundesinnenministerin sehen auch vor, "kriegswaffenähnliche halbautomatische Waffen" zu verbieten. Philipp F. besaß legal eine halbautomatische Pistole, die nach dem Gesetzentwurf nicht verboten wäre.
Die Gewerkschaft der Polizei unterstützt die Pläne nach einem schärferen Waffenrecht. Doch müsse dies unverzüglich geschehen, forderte der Gewerkschaftsvorsitzende Jochen Kopelke die Bundesregierung laut einem am Samstag veröffentlichten Vorabbericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) auf. Wichtig sei auch, die Anzahl der Waffen deutlich zu reduzieren. Eine schnelle Gesetzesänderung aufgrund der sich "gefühlt mehrenden Vorfälle" sei nun aber wichtiger als eine vorherige systematische Überprüfung der Anpassung. Es dürfe keine Zeit durch Personalmangel und Datenschutzprozesse verloren werden.
Auch die Aufbewahrung von Sportwaffen unter die Lupe nehmen
Kopelke betonte dem Bericht zufolge, auch die private Aufbewahrung von Sportwaffen müsse unter die Lupe genommen werden. Dafür müssten Vereine Vorschläge machen und das Bundesinnenministerium den rechtlichen Rahmen klären. Für geplante neue Abfragen bei Polizei, Bundespolizei und Zollkriminalamt werde mehr Personal benötigt, weil sonst keine Verbesserung mit einer Rechtsänderung einhergehe.
Die Pläne aus dem SPD-geführten Bundesinnenministerium finden allerdings nicht bei allen Koalitionspartnern Gefallen: Die FDP sieht bislang keine Notwendigkeit für eine Verschärfung des bestehenden Waffenrechts und will diese auf Eis legen. "Wir haben in Deutschland strenge Waffengesetze. Aber selbst die strengsten Waffengesetze helfen nicht wirklich, wenn sich Menschen illegal Waffen beschaffen", hatte Bundesjustizminister Marco Buschmann nach der Razzia gegen die Reichsbürger im vergangenen Jahr gesagt. "Wir müssen unser geltendes Recht besser durchsetzen." Nach dem Amoklauf in Hamburg am Donnerstagabend hat sich die FDP aus der Waffenrechtsdebatte bislang herausgehalten.