Votum der SPD-Basis:Der Anfang nach dem Ende

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Erwartet das Abstimmungsergebnis der Basis: SPD-Chef Sigmar Gabriel (Foto: dpa)

War es genug? Haben wir alles getan, damit die Basis Ja sagt? Diese Fragen wird sich SPD-Parteichef Gabriel stellen in den Stunden des Wartens. Zwar finden sich viele SPD-Forderungen im Koalitionsvertrag, doch von Jusos bis Juristen hatten alle etwas auszusetzen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Am Mittwochabend meldete sich Harald Baumann-Hasske zu Wort, der nicht nur SPD-Mitglied ist, sondern auch noch der ASJ vorsitzt, was für Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen steht. In deren Namen erklärte Herr Baumann-Hasske, der ASJ-Bundesvorstand habe den Koalitionsvertrag "sorgfältig geprüft", komme aber, was die Rechts-, Innen- und Europapolitik angeht, zu dem Ergebnis, "dass diese Teile inhaltlich eine Befürwortung der Koalition nicht rechtfertigen". So war das leicht umständlich formuliert - und zur Begründung führte Baumann-Hasske aus, "dass der Vertrag in diesen Teilen zu wenig Sozialdemokratie enthält".

Man könnte jetzt fragen: ja und? Schließlich ist die ASJ innerhalb der SPD nicht etwa eine Macht, an der man nicht vorbeikäme. Das ginge aber doch an der Sache vorbei - vielmehr steht die Meldung für jenen Prozess, den es in den vergangenen Wochen innerhalb der SPD gegeben hat und von dem man in der breiten Öffentlichkeit hauptsächlich die Regionalkonferenzen wahrgenommen hat, bei denen die Parteispitze um die Zustimmung der Basis warb. Unterhalb dieser Ebene aber hat sich eine ganze Partei derart intensiv mit den Inhalten, mit Punkten und Unterpunkten des Koalitionsvertrags beschäftigt, dass eigentlich keine Zeile nicht hinterfragt worden sein dürfte. Und natürlich hatten, genauso wie die Juristen, viele Gruppen vieles auszusetzen, weil jeder ein paar Dinge hat, die ihm besonders wichtig sind.

Insgesamt aber hat Parteichef Sigmar Gabriel von Anfang an peinlich genau darauf geachtet, nichts zu versprechen, was er am Ende nicht würde halten können. Ob sein Plan aufgegangen ist, wird sich an diesem Samstag zeigen: Am späten Nachmittag soll feststehen, wie das Mitgliedervotum über die große Koalition ausgegangen ist.

Haben wir wirklich alles getan? War das genug?

Die Republik schaut auf eine Halle in Berlin, nicht allzu weit vom Potsdamer Platz, wo die Stimmen gezählt werden und wo dann das Ergebnis verkündet wird. Gabriel hat getan, was er konnte, seit dem Einsendeschluss am Donnerstag konnte auch er nur noch warten - genau wie der Rest der Parteispitze, wie die Partei, wie das Land. Dem Parteichef dürfte in diesen Tagen und Stunden des Wartens ein paar Mal die Frage durch den Kopf gegangen sein: Haben wir wirklich alles getan, damit die Leute mit Ja stimmen? War das genug?

Es war, aus SPD-Perspektive betrachtet, zumindest mehr als erwartet.

Am 20. Oktober, genau vier Wochen nach der Wahl, machte ein Parteikonvent den Weg für Koalitionsverhandlungen mit der Union frei - und beschloss zehn Punkte, die "unverzichtbar" seien. Punkt eins war der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde - der sich, mal unabhängig von der Frage, wann er kommt, auch im Koalitionsvertrag findet. Unter Punkt zwei hieß es: "Nach einem langen Arbeitsleben (45 Jahre) muss eine gute Rente ohne Abzüge stehen." Das war einerseits entschlossen formuliert, ließ andererseits aber genügend Spielraum für definitorische Feinheiten.

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Die übrigen Punkte waren dann zum Teil deutlich offener formuliert, etwa unter Punkt sieben: "Wir wollen die Energiewende zu einem ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Erfolg führen." Unter Punkt fünf hingegen hieß es zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft konkret: "Wir wollen den Optionszwang abschaffen." Und auch das gelang - was zwar manchem Verfechter einer offeneren Gesellschaftspolitik wieder nicht genug war, in Wahrheit aber eine kleine Zäsur bedeutet.

Bei den Jusos war Gabriel auf verlorenem Posten

Aus SPD-Sicht sind dies, neben anderen Erfolgen etwa bei der Leih- und Zeitarbeit, die Glanzpunkte im Koalitionsvertrag - und für eine Partei, die vor knapp drei Monaten als klarer Wahlverlierer dastand, ist das angesichts einer vom Wahlergebnis her geradezu übermächtigen Union eine ganze Menge. Trotzdem hatten ja nicht nur die sozialdemokratischen Juristen noch einiges zu meckern.

Bei den Jusos etwa befand sich Gabriel kürzlich auf verlorenem Posten. Neben den Globalvorwürfen "zu wenig SPD im Vertrag" und "Rot-Rot-Grün wäre doch viel besser" wurde ihm dort unter anderem entgegengehalten, dass im Koalitionsvertrag zu wenig an junge Leute gedacht werde. Und nicht nur bei den Jusos, sondern auch bei mancher Regionalkonferenz musste Gabriel nochmals erklären, warum es nun keine Steuererhöhungen gibt, nachdem man einen Wahlkampf lang für Steuererhöhungen geworben hatte: weil das mit der Union nun mal nicht zu machen sei. Das hatte Gabriel sehr früh erkannt und das Thema dementsprechend nicht weiter forciert. Allen Kritikern konnte er dann entgegnen, dass Steuererhöhungen nicht zu den vom Parteikonvent beschlossenen unverzichtbaren Punkten zählten.

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Ganz ähnlich wie mit den Steuern verhielt es sich in den vergangenen Wochen mit dem Betreuungsgeld: Dagegen hatten die Sozialdemokraten im Wahlkampf massiv Front gemacht - doch die Union machte frühzeitig klar, dass eine Abschaffung, wie sie die SPD im Wahlkampf gefordert hatte, mit ihr nicht zu machen wäre. Entsprechend überraschte Gabriel Anfang November mit der Aussage, die harte Geschlossenheit, mit der die SPD gegen das Betreuungsgeld aufgetreten sei, schrecke selbst Frauen ab, die es für eine falsche Art der Familienförderung hielten. Von vielen Wahlkämpfern dürfte er für diesen Satz nicht unbedingt geliebt werden.

Trotzdem gab sich die Parteispitze am Ende zuversichtlich. Angesichts eines Wahlergebnisses von 25,7 Prozent, so viel war den Verantwortlichen klar, hätte man inhaltlich kaum mehr herausholen können. Und was personell für die SPD bei der ganzen Sache herauskommen würde, blieb ja bis nach Einsendeschluss am Donnerstag um Mitternacht geheim.

© SZ vom 14.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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