Vor der Parlamentswahl:Die Niederlande - eine offene, gespaltene Gesellschaft

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Prinsjesdag in Den Haag: Jedes Jahr im September präsentiert der König in niederländischer Tradition im Rittersaal (Gebäude im Hintergrund) vor dem Ministerpräsidenten samt Kabinett das Programm der Regierung für das nächste Jahr. (Foto: picture alliance / dpa)
  • Die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders könnte stärkste Partei im niederländischen Parlament werden.
  • Dafür reichen allerdings schon 15 bis 20 Prozent der Stimmen.
  • Die Zustimmung für Wilders belegt die Spaltung der Gesellschaft. An die Macht wird er aber nicht kommen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Die Niederlande wählen ein neues Parlament und die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders droht, stärkste Kraft zu werden. Auf fast 15 Prozent der Stimmen darf die "Partei für die Freiheit" (PVV) den jüngsten Umfragen zufolge am 15. März hoffen. Kaum ein Artikel zur bevorstehenden Wahl kommt in Deutschland deshalb ohne den Namen des Parteigründers Wilders schon im Titel aus.

Doch ist das Aufsehen gerechtfertigt, das die Rechtspopulisten erregen? Und wie konnte es soweit kommen, dass Geert Wilders eine solche Bedeutung erlangt hat?

15 Prozent sind eine relativ große Zustimmung für eine Partei mit extremen Forderungen: Die PVV will keine Muslime mehr ins Land lassen und die Niederlande aus der EU führen. Höhere Zustimmung in den Umfragen genießt derzeit nur eine Partei: Die rechtsliberale Volkspartei VVD von Ministerpräsident Mark Rutte, die zuletzt bei etwa 16 Prozent lag. Die fünf weiteren wichtigen Parteien lagen zwischen acht und zwölf Prozent.

Diese bunte Parteienlandschaft rührt einerseits von der niedrigen Wahlhürde von 0,67 Prozent her. Selbst Gruppen, die ähnliche Ziele verfolgen, verspüren da kaum Druck, sich zu einer Partei zusammenzuschließen - anders als etwa in Deutschland, wo nur ins Parlament kommt, wer mindestens fünf Prozent der Stimmen erringt. Ins niederländische Parlament zu kommen, ist dagegen relativ einfach. Einigen kann man sich danach immer noch auf ein Regierungsprogramm.

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So gibt es unter den 150 Parlamentsabgeordneten Vertreter der rechtsliberalen Volkspartei und der rechtskonservativen Christdemokraten. Es gibt Sozialdemokraten, Sozialisten und Sozialliberale. Die grüne Partei GroenLinks gehört inzwischen zu den Top sieben. Sogar Ein-Thema-Parteien wie die Tierschutzpartei, die Partei der Über-50-Jährigen oder die fundamentalen Christen kommen auf drei bis vier Prozent.

Die Ergebnisse der Umfragen spiegeln aber auch die Zerrissenheit eines Landes wieder, das schon lange nicht mehr so tolerant und weltoffen ist, wie es ihm nachgesagt wird.

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Ihren Ruf als offene, multikulturelle Gesellschaft haben die Niederlande etwa wegen der liberalen Drogenpolitik, der Sterbehilfe und weil Migranten viel Spielraum gelassen wurde, ihre Kultur, Sprache und Identität zu bewahren. Das hat, wie der niederländische Historiker Friso Wielenga von der Universität Münster sagt, zu Parallelgesellschaften geführt.

Damit haben viele Niederländer offenbar ein großes Problem, für das Wilders vermeintlich einfache Lösungen verspricht. Das Land soll ihm zufolge "de-islamisiert" werden: Grenzen dicht für Muslime, Schließung aller Moscheen, Koranverbot. Andere Parteien hat er mit dem Zuspruch, den er in Teilen der Bevölkerung erhält, unter Druck gesetzt. So forderte etwa Ministerpräsident Rutte kürzlich in einem offenen Brief Migranten auf, sich "normal" zu benehmen oder weg zu gehen.

Die Wirtschaftsleistung der Niederlande ist im vergangenen Jahr um 2,1 Prozent gewachsen, bei den Exporten liegen sie in der EU auf Platz zwei, auch die Arbeitslosigkeit ist leicht zurückgegangen auf 5,5 Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen ist das vierthöchste in der EU. Die Mehrheit der Niederländer ist deshalb mit ihrem Leben zufrieden: Dem World Happiness Report zufolge belegen sie hier Platz sieben.

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Doch nicht alle Niederländer profitieren von den positiven Entwicklungen. Schließlich wurde zugleich im Sozial- und Gesundheitswesen gespart. Viele fühlen sich sozial abgehängt. Andere, denen es selbst gut geht, befürchten, dass sich die Lage insgesamt wieder verschlechtern könnte.

Geschürt werden diese Ängste durch die fremdenfeindliche Hetze von Wilders und seiner PVV. Mit einem gegen Muslime, gegen die EU und gegen die Globalisierung gerichteten Programm gewinnt Wilders Wählerstimmen unter jenen, die sich vom Staat im Stich gelassen fühlen.

Was Wilders in den Niederlanden jedoch ausbremst: Um regieren zu können, müsste er mehrere Partner für eine Koalition finden. Alle infrage kommenden Parteien haben eine solche Zusammenarbeit ausgeschlossen. Auch Ruttes rechtsliberale Volkspartei hat daran kein Interesse. Sein Versuch, ein Minderheitenkabinett von Wilders PVV tolerieren zu lassen, scheiterte 2012 nach zwei Jahren. Außerdem will Wilders - anders als Rutte - viel Geld in die Rente und in Soziales investieren. Woher das Geld kommen soll, sagt Wilders nicht. Trotzdem macht er so auch den Linken und Sozialdemokraten Konkurrenz.

Selbst wenn Wilders bei der Wahl auf 20 oder mehr Prozent käme - die Gelegenheit, ein Kabinett aufzustellen, wird er kaum bekommen. Es ist auch unklar, ob er das überhaupt will. Dafür sind seine Forderungen zu extrem, seine Lösungsvorschläge zu unrealistisch und seine Kooperationsbereitschaft zu gering.

Aber auch Rutte kann sich nicht sicher sein, dass er wieder Ministerpräsident wird. Seine Partei benötigt ebenfalls mehrere Koalitionspartner. Doch bei den möglichen Kandidaten ist er nicht beliebt. Die Sozialdemokraten haben aufgrund ihrer bisherigen Zusammenarbeit mit Rutte massiv Anhänger verloren. Derzeit ist die Lage so, dass es zwar einige Parteien gibt, die sich eine Koalition mit der VVD vorstellen könnten. Die Zustimmung für Rutte aber ist weniger groß. Es ist also unklar, ob er weiter regiert, selbst wenn seine Partei an der Macht bleibt.

Wie auch immer die Wahl ausgehen wird: Die nächste Regierung wird voraussichtlich von einer Koalition von drei oder vier Parteien gestellt. Das bedeutet, alle müssen eine Menge Kompromisse eingehen.

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