Corona-Krise:Wie der Bundestag virtuell tagen könnte

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Mindestens zwei Plätze Abstand: So wird im Moment die Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus auf der Regierungsbank im Bundestag minimiert. (Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Wegen der Corona-Krise macht sich Bundestagspräsident Schäuble Sorgen um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments.
  • In einem Brief an alle Fraktionschefs hat er angeboten, mit ihnen "die Möglichkeit virtueller Plenarsitzungen vertieft zu erörtern".
  • Aber wie könnten derartige digitale Sitzungen juristisch ermöglicht werden? Ein Gutachten zeigt einen Weg auf.

Von Robert Roßmann, Berlin

Noch ist der Bundestag in der Osterpause. Aber am 20. April beginnt die nächste Sitzungswoche. Und damit stellt sich auch wieder die Frage, wie viele Abgeordnete trotz Corona-Krise nach Berlin kommen werden. In der letzten Sitzungswoche blieb jeder vierte Parlamentarier zu Hause. Und wenn auf der Tagesordnung nicht die Abstimmung über die Lockerung der Schuldenbremse zur Finanzierung der Corona-Hilfen gestanden hätte, bei der die Kanzlermehrheit nötig war, hätten noch mehr gefehlt.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble macht sich deshalb schon seit Wochen Sorgen um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments. In einem Vermerk aus dem Bundesinnenministerium wurde dem Bundestag bereits Mitte März empfohlen, "die Durchführung von Sitzungen und Abstimmungen im Online-Verfahren" in Ausnahmefällen zu ermöglichen. Persönliche Anwesenheit im Plenarsaal wäre dann nicht mehr erforderlich. Aber geht das so einfach? Ist derlei mit dem Grundgesetz vereinbar?

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Bundestagspräsident Schäuble hat allen Fraktionschefs bereits einen Brief mit einer "Ausarbeitung" seiner Experten zu diesen Fragen geschickt. Das Werk liegt der Süddeutschen Zeitung vor. "Vor dem Hintergrund der derzeit als hoch eingestuften Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus wurde um Prüfung gebeten, ob Sitzungen des Bundestags nach dem geltenden Verfassungsrecht auch mittels Video- und Audioübertragung virtuell durchgeführt werden könnten", heißt es in der Einleitung des Gutachtens. Es sollten "auch Möglichkeiten für eine entsprechende Verfassungsänderung aufgezeigt werden".

Dann wird in dem Gutachten die "aktuelle Rechtslage nach dem Grundgesetz" skizziert. "Der Wortlaut der für den Bundestag zentralen Bestimmungen des Grundgesetzes deutet auf die Notwendigkeit einer körperlichen Anwesenheit der Mitglieder und sonstigen Beteiligten beim Zusammentritt und in Sitzungen des Bundestags hin", schreiben die Autoren. Sie verweisen dabei auf mehrere Artikel der Verfassung. So sei in Artikel 39 Absatz 1 und 2 vom Zusammentritt des Bundestags die Rede. Absatz 3 regele Beginn, Schluss und Einberufung seiner Sitzungen. Außerdem verhandele der Bundestag nach Artikel 42 Absatz 1 des Grundgesetzes öffentlich. Zudem dürfe das Parlament nach Artikel 43 Absatz 1 die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung verlangen. Und Artikel 43 Absatz 2 garantiere den Mitgliedern der Bundesregierung und des Bundesrates zu allen Sitzungen des Bundestages Zutritt.

Ein virtueller Bundestag ist bislang im Grundgesetz nicht vorgesehen

"Die Kommentarliteratur zum Grundgesetz" gehe deshalb bislang "einhellig von einer körperlichen Anwesenheit der Abgeordneten beim Zusammentritt des Bundestags und seinen Sitzungen aus", heißt es in der von Schäuble an die Fraktionschefs verschickten Ausarbeitung. Dies werde "von der herrschenden Meinung" auch "hinsichtlich des Rederechts sowie der Stimmabgabe der Abgeordneten für erforderlich gehalten". Der abstimmende Abgeordnete müsse "wegen des allgemeinen Gebots der Publizität der Abstimmungen bei allen Abstimmungen im Plenarsaal anwesend sein".

"In der Literatur wird geäußert, dass eine rein virtuelle Anwesenheit hinter den Kommunikationsmöglichkeiten bei tatsächlicher Präsenz zurückstehe und daher für das Parlament ohnehin ausscheide", schreiben die Autoren. Auch die Geschäftsordnung des Bundestages gehe "traditionsgemäß davon aus, dass Abgeordnete im Plenarsaal anwesend sind". Zum Beispiel würden die Redner gemäß Paragraf 34 der Geschäftsordnung von den Saalmikrofonen oder dem Rednerpult aus sprechen.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass "die Einführung neuer Arten der Durchführung der Sitzungen des Bundestags" insbesondere "den Öffentlichkeitsgrundsatz als wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus sowie den Grundsatz der repräsentativen Demokratie" berühre. Unterstelle man deren Wahrung, "käme folgende Ergänzung von Art. 39 Abs. 3 GG in Betracht:

Satz 1: Der Bundestag bestimmt den Schluss, den Wiederbeginn und die Art der Durchführung seiner Sitzungen.

Satz 2: Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen und ausnahmsweise die Art der Durchführung der Sitzung bestimmen."

Durch die kursiv gesetzten Änderungen des bisherigen Grundgesetztextes und Anpassungen in der Geschäftsordnung des Bundestages wären künftig im Ausnahmefall auch virtuelle Bundestagssitzungen "im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung" möglich, heißt es in dem Gutachten.

Soweit die rechtliche Handreichung. Aber wie geht es jetzt in der Praxis weiter? Bundestagspräsident Schäuble hat in seinem Brief an die Fraktionschefs angeboten, mit ihnen "die Möglichkeit virtueller Plenarsitzungen vertieft zu erörtern". Der Brief stammt vom 2. April. Doch bisher ist das Interesse ziemlich mau.

Die Fraktionen wollen nicht während einer laufenden Krise hektisch die Verfassung ändern. Sogar die sich ansonsten demonstrativ digital gebende FDP ist jetzt zurückhaltend. Vor zwei Jahren hat der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, zum Beispiel verlangt, dass der Bundestag elektronische Abstimmungen einführen soll. "Dafür sollen Kartenlesegeräte an jedem Platz im Plenum installiert werden, Abgeordnete können dann mittels eines elektronischen Abstimmungsausweises an der Abstimmung teilnehmen", hatte Buschmann damals vorgeschlagen. Jetzt sagt er, seine Fraktion setze sich "unabhängig von Corona für modernere und digitalere Arbeitsweisen im Bundestag ein". Aber das Grundgesetz sollte man nicht überstürzt ändern, "im Stress der Krise ist die Gefahr von Abwägungs- und Flüchtigkeitsfehlern zu groß".

In Ausschusssitzungen sind Videokonferenzen möglich

Bisher haben sich die sechs Bundestagsfraktionen in der Corona-Krise deshalb lediglich auf kleinere Anpassungen verständigt, für die nur die Geschäftsordnung des Bundestages, nicht aber das Grundgesetz geändert werden muss. So dürfen die Mitglieder von Ausschüssen des Bundestages künftig auch "über elektronische Kommunikationsmittel" an den Ausschusssitzungen teilnehmen - dort sind jetzt also auch Videokonferenzen möglich. Diese Sonderregelung wegen der Corona-Krise soll aber nur bis Ende September in Kraft bleiben.

Außerdem wurde - ebenfalls befristet - das Quorum für die Beschlussfähigkeit des Bundestags von 50 auf 25 Prozent der Mitglieder gesenkt. Damit werde "dem Umstand Rechnung getragen, dass möglicherweise eine größere Zahl von Abgeordneten aufgrund von Schutzmaßnahmen (wegen der Corona-Krise) nicht an den Sitz des Bundestages anreisen kann", heißt es in der Begründung.

Die Fraktionen sind der Auffassung, dass das reicht, um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. Außerdem zeigen sich bei der Eindämmung des Corona-Virus mittlerweile ja schon die ersten Erfolge - es wird bereits darüber diskutiert, wann einige der Maßnahmen wieder gelockert werden können.

Eine größere Änderung gibt es wegen der Corona-Krise im Bundestag aber doch schon: Die meisten Fraktionen haben jetzt zum ersten Mal virtuelle Fraktionssitzungen abgehalten.

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