Verteidigungspolitische Richtlinien:Strategie gegen das Desinteresse

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Die Deutschen haben sich eingerichtet auf der Insel der Friedfertigen. Doch ein Schlüsseldokument der von Verteidigungsminister de Maizière vorgestellten Bundeswehrreform erinnert sie daran, dass sich eine bedeutsame Nation nicht ausklinken kann aus einer mehrheitlich friedlosen Welt.

Stefan Kornelius

Sicherheitspolitik gehört nicht zu den Disziplinen, mit denen sich in der Berliner Republik Meriten erwerben lassen - nicht im Bundestag, nicht im Kabinett. Sicherheitspolitik wird in Deutschland von nur wenigen Experten gepflegt und an den Universitäten so gut wie gar nicht mehr unterrichtet. Deswegen ist es auch wenig verwunderlich, dass Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung der Bundeswehrreform zwar große Aufmerksamkeit für die neue Truppenstärke und die Kassenlage erhält. Wenig beachtet wird hingegen das Schlüsseldokument, das mit der Reform der Streitkräfte verabschiedet wurde: die verteidigungspolitischen Richtlinien.

Thomas de Maizière (CDU, l.) und Fregattenkapitaen Joerg-Michel Horn aif der Fregatte 'Brandenburg'. Der Minister hat mit den verteidigungspolitischen Richtlininen ein bemerkenswertes Dokument vorgelegt. (Foto: dapd)

In den USA und anderen großen Nato-Staaten werden Strategien regelmäßig überprüft und neu formuliert. Die Bundesrepublik tut sich schwer mit einer solch ernsthaften Verortung ihrer militärpolitischen Ziele. Das letzte Papier dieser Art datiert von 2003, davor ließ Anfang der 90er Jahre Volker Rühe Richtlinien erarbeiten.

De Maizières Richtlinie ist ein bemerkenswertes Dokument sicherheitspolitischer Reife, sachlich kühl, punktgenau und ohne sprachliche Verbrämung. Hätte das Dokument zwischen allen Ressorts abgestimmt werden müssen (wie ein Weißbuch etwa), wäre es schwammig und beliebig geworden. So aber buchstabiert das Verteidigungsministerium aus, was im üblichen politischen Betrieb auch aus Furcht vor dem Wähler gerne weichgespült wird: Sicherheit kann überall mit allen möglichen bösartigen Werkzeugen bedroht werden; Deutschland darf sich keinen Sonderweg erlauben, sondern ist eine Bündnisnation, die nur mitreden kann, wenn sie auch mitmacht; Deutschland wird auch künftig mit mehreren Bedrohungen gleichzeitig fertig werden müssen - auch mit Hilfe seiner Soldaten, überall in der Welt.

Der Einsatz der Streitkräfte "als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität" - das sind Sätze, die in ihrer Schärfe von Sicherheitspolitikern erkannt, von anderen aber zunächst verdaut und verstanden werden müssen. Die Richtlinien könnten deshalb eine Grundlage abgeben für eine Diskussion über das außen- und sicherheitspolitische Selbstverständnis des Landes, in dem viele Bürger nicht nur aus nachvollziehbaren historischen Gründen dem Militärischen skeptisch gegenüber stehen, sondern - wie gerade bei der Libyen-Entscheidung - auch mit Deutschlands Rolle in Bündnissen und Wertegemeinschaften hadern.

Im Konsens der Koalition jedenfalls wäre das Papier so nicht entstanden, schon allein weil ein misstrauischer Außenminister auf Afghanistan-Abzug drängt und (zumindest noch im Wahlkampf) die Teilhabe am Atomarsenal der Nato einseitig aufgeben wollte.

Wirklich neuartig sind in der Richtlinie die Formulierungen über das Selbstverständnis der Soldaten. Solche Gedanken sind jetzt nötig, weil der Armee nach Aussetzung der Wehrpflicht im besten Falle "wohlwollendes Desinteresse" (Horst Köhler) droht. Auch dieser Verteidigungsminister befürchtet die Verbannung der Themen Sicherheit und Militär aus der politischen und gesellschaftlichen Arena, weshalb er Aufgeschlossenheit gegenüber dem und Verständnis für den Soldatenberuf erbittet - ein Beruf, bei dem die Gefährdung von Leib und Leben zur Jobbeschreibung gehört.

Die Deutschen haben sich eingerichtet auf der Insel der Friedfertigen. Die verteidigungspolitischen Richtlinien erinnern sie aber daran, dass sich eine große und bedeutsame Nation nicht ausklinken kann aus einer mehrheitlich friedlosen Welt. Für die schwierigen Entscheidungen über Krieg und Frieden, über den Einsatz der Streitkräfte als politisches Instrument, braucht es Grundsätze. De Maizière hat sie nun geliefert. Die Republik täte sich einen Gefallen, wenn sie diese nicht nur mit wohlwollendem Desinteresse zur Kenntnis nähme.

© SZ vom 20.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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