Amerika staunt - und weiß so gut wie nichts: Mehr als hundert Stunden nach dem Tod von Nordkoreas Diktator Kim Jong Il tappt die Weltmacht im Dunkeln. Die teuren US-Geheimdienste, so müssen Sicherheitsexperten der Obama-Regierung einräumen, hätten "keine Ahnung", was in Pjöngjang passiere und welche mutmaßlichen Ränkespiels es in den Reihen des hermetisch abgeschotteten Regimes gebe.
![](https://www.sueddeutsche.de/2022/06/15/cb573554-5414-44d0-b9b8-63e154a418a6.jpeg?q=60&fm=jpeg&width=1000&rect=0%2C89%2C860%2C484)
Das Ableben von Nordkoreas Machthaber hat erneut die Ahnungslosigkeit von Amerikas Spionen offenbart. In den 51 Stunden, die zwischen dem Exitus des Diktators in einem Zug und der offizieller Todesnachricht aus Pjöngjang verstrichen, hatte keiner der insgesamt 16 US-Geheimdienste irgendein Indiz für die dramatische Entwicklung ausgemacht.
Weder die US-Spionagesatelliten im All noch die feinstfühlige Hochtechnologie zum Abhören nordkoreanischer Telefonate hatten Auffälliges entdeckt. "Es ist beängstigend, wie wenig wir wissen", zitiert die Washington Post einen Korea-Experten der Regierung. Als schwacher Trost bleibt Washington nur, dass auch die Geheimdienste des verbündeten Südkorea versagten.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Nordkorea als Enigma für die Vereinigten Staaten erweist. Keinen Schimmer hatte Washington zum Beispiel Mitte des vorigen Jahrzehnts von Nordkoreas Machenschaften in Syrien: Dass Pjöngjang dem Assad-Regime half, einen Atomreaktor zu bauen, entdeckte nicht die CIA, sondern Israels Mossad. Und die Bush-Regierung überließ es 2007 Israels Luftwaffe, die Anlage zu zerstören.
Schock für die Dienste
Kaum weniger erfolgreich war die CIA in der Analyse von Nordkoreas eigenem Atomprogramm, das seit Jahren auf die Produktion von Kernwaffen angelegt ist. Laut New York Times ahnte Washington zwar wohl, dass Nordkorea nach zwei Atomtests in den Jahren 2006 und 2009 mit aus Plutonium verfertigten Bomben danach trachtete, weitere (und bessere) Sprengkörper aus angereichertem Uran zu entwickeln.
Aber es war ein Schock für die Dienste, als das Regime 2010 den Nuklearexperten Siegfried Hecker von der Standford-Universität ins Land holte und ihm eine moderne Urananreicherungsanlage mit 2000 Zentrifugen präsentierte. "Mir ist die Kinnlade heruntergefallen", sagte Heckler hernach - was ebenso die damalige Gefühlslage von Amerikas gefoppten Spionen beschreiben dürfte.