Konflikt in Venezuela:Und das Volk hungert weiter

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Trotz zahlreicher Unterstützer kamen auch bei Cúcuta keine Hilfslieferungen nach Venezuela durch. Die Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor. (Foto: Federico Rios/Bloomberg)
  • Juan Guaidó wollte mit tonnenweise Hilfsgütern den Machtkampf mit Staatschef Nicolás Maduro gewinnen.
  • Aber die Hilfskonvois wurden aufgehalten, Sicherheitskräfte gingen mit brutaler Gewalt an der Grenze vor. Es gab Tote und Verletzte.
  • Guaidó zeigte sich ratlos und radikalisierte wenig später seine Rhetorik. Im Machtkampf mit Maduro müssen man "alle Optionen" offenhalten.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Es war gewiss nicht der schlechteste Plan, den sich Juan Guaidó für diesen denkwürdigen 23. Februar ausgedacht hatte. Unterstützt von internationalen Partnern und dem größten Teil des venezolanischen Volkes wollte der selbsternannte Interimspräsident tonnenweise Hilfsgüter ins Land schaffen lassen - und zwar, wie er immer wieder angekündigt hatte, auf friedliche Weise. Im Erfolgsfall hätte er damit zwei Ziele erreicht, ein humanitäres und ein politisches. Einerseits werden die Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel, um die es hier ging, in Venezuela dringend gebraucht. Damit hätten unmittelbar Menschenleben gerettet werden können. Andererseits hätte Guaidó damit höchstwahrscheinlich den Machtkampf um Caracas für sich entschieden.

Der autokratische Staatschef Nicolás Maduro lehnt humanitäre Hilfe aus dem Ausland kategorisch ab, deshalb ging es am Samstag nicht zuletzt um die Frage, wer die Grenzen und damit das Land kontrolliert. Guaidó, 35, setzte alles auf eine Karte, indem er einen "Tag der Entscheidung" propagierte und versprach, die Hilfe werde "auf jeden Fall" nach Venezuela gelangen. Seine Strategie hatte aber eine Schwachstelle: Er hatte offenbar keinen Plan B für den Fall, dass Plan A nicht aufgeht. Dieser Fall ist nun eingetreten.

Abgesehen von kleinen, allenfalls symbolischen Ausnahmen gab es am Samstag kein Durchkommen für die Hilfskonvois. Sowohl an der kolumbianischen als auch an der brasilianischen Grenze versperrten regimetreue Truppen den Weg. Sie gingen dabei mit brutaler Gewalt vor. Freiwillige, die die Tieflader mit den Hilfslieferungen begleitet hatten und die Grenzzäune durchbrechen wollten, wurden von venezolanischen Sicherheitskräften mit Tränengas und Gummigeschossen zurückgedrängt. Dabei gab es Tote und Verletzte.

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Auf der Santander-Brücke zwischen der kolumbianischen Stadt Cúcuta und dem venezolanischen Grenzort Unreña eskalierte die Lage, als zwei Lastwagen Feuer fingen. Nach Augenzeugenberichten hatten Maduros Nationalgardisten die Fracht mit Benzin übergossen und angezündet. In Videos, die im Netz verbreitet wurden, war zu sehen, wie Dutzende verzweifelte Menschen versuchten, Kisten mit Lebensmitteln und Medikamenten aus den Flammen zu retten. Die kolumbianische Regierung, die Guaidó in seinem Plan unterstützt hatte, ordnete angesichts dieser Szenen den Rückzug der Konvois an.

Guaidó war eine gewisse Ratlosigkeit anzumerken, als er am Samstagabend in Cúcuta vor die Kameras trat. Außer Durchhalteparolen hatte er wenig anzubieten. Etwa 60 venezolanische Soldaten und Nationalgardisten hatten im Lauf des Tages die Seiten gewechselt und sich von Maduro losgesagt - ein verschwindend geringer Teil einer Armee, in der es 1500 Generäle gibt. Guaidó war bereits am Freitag überraschend in Kolumbien aufgetaucht, obwohl die regimetreue Justiz eine Ausreisesperre gegen ihn verhängt hatte. Das sollte wohl ein Zeichen der Stärke sein, zu seinem Plan gehörte offensichtlich, mit den Hilfslieferungen triumphal und weltöffentlichkeitswirksam in Venezuela einzufahren - und damit den letzten Widerstand Maduros zu brechen. In den kommenden Tagen wird es für Guaidó nun darum gehen, wieder nach Venezuela zu gelangen. Sollte ihm das nicht gelingen, wäre sein kometenhafter Aufstieg wohl rasch beendet. Nach SZ-Informationen ist die Rückkehr nach Caracas für "Dienstag oder Mittwoch" geplant. Am Montag will er sich in Bogotá zunächst mit den lateinamerikanischen Außenministern der sogenannten Lima-Gruppe sowie mit US-Vizepräsident Mike Pence treffen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Da wird es viel zu besprechen geben, denn das Vorgehen vom Samstag ist auf nahezu ganzer Linie gescheitert.

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Auch zwei Lastwagen, die von Brasilien aus Hilfsgüter über die Grenze bringen wollten, kehrten nach stundenlanger Blockade durch venezolanische Grenzschützer um. Ein Versorgungsschiff, das vom karibischen US-Außengebiet Puerto Rico aus in See gestochen war, wurde von der venezolanischen Marine zur Umkehr gezwungen. Maduros Stärke ist, dass er nichts mehr zu verlieren hat, außer seiner wankenden Macht. Vom eigenen Volk verlassen und von einer Allianz aus Kolumbien, Brasilien und den USA umzingelt, zeigt er sich wild entschlossen, in dem Hilfsgüter-Konflikt bis zum Äußersten zu gehen. Laut den Behörden in Bogotá wurden am Samstag an der kolumbianischen Grenze 255 Venezolaner und 30 Kolumbianer verletzt. An der brasilianischen Grenze starben nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Foro Penal mindestens zwei Menschen durch Schüsse der venezolanischen Armee, darunter ein 14-Jähriger.

Im venezolanischen Staatsfernsehen war von all dem nichts zu sehen. Da tanzte Maduro mit seiner Frau Salsa, während auf der Santander-Brücke vor den Augen von hungernden Venezolanern Nahrungsmittel abbrannten. Bei einer Kundgebung in Caracas erklärte sich Maduro zum stolzen Tagessieger. Der Staatsstreich gegen ihn sei kläglich gescheitert. Seinen Gegenspieler Guaidó bezeichnete er als "Marionette des US-Imperialismus". Und wo er gerade dabei war, brach er auch noch die diplomatischen Beziehungen zu der "faschistischen Regierung von Kolumbien" ab. Da gibt es allerdings nicht mehr viel abzubrechen. Die rechtskonservative Regierung in Bogotá unterhält ohnehin keine Botschaft in Caracas und erkennt Maduro nicht an.

Deutlich heikler ist die Lage für Brasilien. Der ultrarechte Staatspräsident Jair Bolsonaro kann es sich eigentlich nicht leisten, alle Verbindungen nach Venezuela zu kappen, denn der extrem abgelegene brasilianische Bundesstaat Roraima ist nicht ans nationale Energieversorgungsnetz angeschlossen, er bezieht seinen Strom größtenteils aus einem venezolanischen Kraftwerk. Maduro hat es in der Hand, ob in Roraima die Lichter ausgehen.

Das erklärt auch, weshalb die sonst um keine Gewaltandrohung verlegene Bolsonaro-Regierung das Szenario eines kriegerischen Konflikts eher herunterspielt, während Guaidó plötzlich seine Rhetorik radikalisiert. Bisher sprach er sich stets für eine friedliche Lösung aus. Am Samstagabend schwenkte er um auf die höchst umstrittene Haltung der USA, wonach man sich im Machtkampf mit Maduro "alle Optionen" offenhalten müsse.

© SZ vom 25.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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