Über Hillary Clinton ist schon ziemlich alles geschrieben worden, weshalb ein Enthüllungstitel auch noch aus ihrer eigenen Feder geradezu sensationell anmutet. "What happened" heißt ihr neues Buch, was keine andere Deutung zulässt, als dass die Großpolitikerin und gescheiterte Präsidentschaftsbewerberin nun auspackt und eine Sicht der Ereignisse des Wahljahres 2016 liefert, wie sie die Menschheit nicht für möglich gehalten hat.
Vermutlich ist exakt dies Hillary Clintons Problem: Der Inhalt ihres Niederlagen-Verarbeitungsbuchs liest sich exakt so, wie man es für möglich gehalten hatte. Clinton explodiert mit Schuldzuweisungen, Deutungen und Analysen, die alle unter derselben Rubrik laufen: Es waren die anderen. Zwar verwendet sie auch ein paar Seiten auf die quälerische Suche nach Fehlern bei sich selbst. Die aber endet dann schnell in der Generalformel, wonach sie als Kandidatin selbstverständlich die volle Verantwortung trage und hiermit sich selbst schuldig spreche. Dann aber wären da noch die anderen: Bernie Sanders, der sexistische Trump, Russland, FBI-Chef James Comey.
Irgendwo im Buch stellt Clinton die entscheidende Frage, ohne sie zu beantworten: "Warum bin ich eine so spalterische Figur und, sagen wir, Joe Biden und John Kerry sind es nicht? ... Was macht mich zum Blitzableiter für all den Zorn? Ich frage mich das wirklich, ich bin ratlos."
Das ist in der Tat das beherrschende Phänomen bei dieser Politikerin, die wie kaum eine zweite Figur die amerikanischen Öffentlichkeit polarisiert. Hillary Clinton verdankt diese gespaltene Wahrnehmung ihrer frühen politischen Phase, die sie im Schatten des Junggouverneurs und Shootingstars der Demokraten, Bill Clinton, verbrachte. Damals in Arkansas, in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren, setzte sich das Bild einer ehrgeizigen und zutiefst taktischen Person fest. Als Hillary die frühen Eskapaden ihres Mannes deckte, als dubiose Grundstücksgeschäfte und zweifelhafte Berater in die Biografie der Clintons einsickerten, da festigte sich das Bild einer verbissenen Strippenzieherin, einer Manipulatorin der Macht.
Auf der anderen Seite wurde Clinton vom bürgerlich-konservativen Amerika nie verziehen, dass sie mit einem überkommenen Rollenbild aufräumte und nicht die Cookie backende Frau an seiner Seite sein wollte. Nein, Bill war der Redner und Charismatiker, aber Hillary war der Kopf, die Analytikerin. Ihre Klage, sie sei auch Opfer von Sexismus, ist berechtigt - aber leider widerfuhr ihr der Sexismus auch in der eigenen Ehe.
Gezeichnet von Widersprüchen, Narben und Enttäuschungen hat Hillary Clinton also das Abrechnungsbuch vorgelegt. Sie ist nun 69 Jahre alt, versichert glaubwürdig, dass sie nicht mehr kandidieren werde und bleibt sich auf 512 Seiten treu: kämpferisch, uneinsichtig, analytisch stark. Am Ende ist sie auch an ihrer Persönlichkeit gescheitert. Die wird sich, so zeigt das Buch, nicht mehr ändern.