Zwanzig Minuten benötigte Shawnna Bolick, um zu erklären, warum sie gegen eines der schärfsten Abtreibungsverbote in den USA stimmte, gegen ihre eigene Meinung, gegen fast alle ihre Parteifreunde im Senat von Arizona und gegen die Linie ihrer Partei. Die 49-jährige Politikerin verkörpert das Dilemma, in das sich die US-Republikaner mit ihrer extremen Abtreibungspolitik gebracht haben. Sie war eine von nur zwei konservativen Stimmen, die am Mittwoch den Demokraten in der kleinen Parlamentskammer eine hauchdünne Mehrheit verschafften, um ein Abtreibungsverbot von 1864 außer Kraft zu setzen.
"Irrsinn" sei das, sagte Anthony Kern, ein anderer Senator der Republikaner. Damit meinte er nicht etwa das Gesetz aus einer Zeit, als Frauen noch nicht einmal das Wahl- und Stimmrecht besaßen. Es verbietet alle Abtreibungen, auch nach Vergewaltigungen und Inzest, sofern nicht das Leben der Schwangeren gefährdet ist. Irrsinnig fand Kern es vielmehr, dass Bolick ihre Stimme nicht ideologisch, sondern realpolitisch begründete und anerkannte, dass das Leben sich nicht immer an die reine Lehre halten will. "Viele Frauen haben keine Schwangerschaft wie im Lehrbuch", sagte Bolick, die selbst eine Fehlgeburt erlitten hatte, was eine Abtreibung nötig machte. Mehrfach wurde die Sitzung unterbrochen durch Rufe von den Publikumstribünen, wo sich Befürworter wie Gegner des Verbots versammelt hatten.
Eigentlich hatten sich Demokraten und Republikaner in Arizona darauf geeinigt, Abtreibungen bis zur 15. Schwangerschaftswoche zuzulassen. Dann aber erließ das Oberste Gericht in dem Staat Anfang April ein Urteil, mit dem das zuvor in Vergessenheit geratene Verbot von 1864 zu neuem Leben erwachte. Der Aufschrei war riesig. Der Staat im Südwesten, bekannt vor allem für Nationalparks wie den Grand Canyon, ist einer der am stärksten umworbenen bei den Wahlen 2024, einer von drei Swing States des sogenannten Sonnengürtels.
Zwei Drittel sprachen sich in Umfragen für ein weitreichendes Recht auf Abtreibung aus
In Arizona erhoffen sich Präsident Joe Biden und seine Demokraten Chancen auf einen Wahlsieg, besonders, wenn sie ihre Gefolgschaft durch umstrittene Themen wie Abtreibungsrechte mobilisieren können. Sie haben Unterschriften gesammelt, um ein Recht auf Abtreibung in die Verfassung von Arizona zu schreiben; der Eingriff würde damit bis etwa zur 24. Schwangerschaftswoche erlaubt. Die Verfassungsänderung gelangt am Wahltag, dem 5. November, zur Abstimmung.
Zwei Drittel der Bevölkerung sprachen sich in Umfragen für ein weitreichendes Recht auf Abtreibung aus. Damit erklärte die Republikanerin Shawnna Bolick unter anderem, warum sie gegen ein Verbot stimmte, das sie eigentlich befürwortet. "Wir sollten uns einsetzen für einen maximalen Schutz ungeborenen Lebens, den wir auch aufrechterhalten können", sagte sie. Beharrten die Republikaner auf einem sehr strengen Verbot, steige die Wahrscheinlichkeit, dass die Stimmberechtigten die Verfassungsänderung annehmen. Das will Bolick verhindern, indem sie den Kompromiss unterstützt, der ein Verbot ab der 15. Woche enthält. Wann genau dieser in Kraft treten kann, ist wegen diverser Fristen und Gerichtseingaben noch unklar, bis Juli könnte das strenge Verbot von 1864 gelten.
Warnungen von Vizepräsidentin Kamala Harris
Wie in Arizona tun sich die Republikaner auch in anderen Staaten schwer, eine gemeinsame Linie zu Abtreibungen zu finden. In Florida ist soeben ein Verbot nach der sechsten Woche in Kraft getreten, was Vizepräsidentin Kamala Harris bei einer Rede in Jacksonville kritisierte. Sie tourt gerade durch das Land, um über das Recht auf Abtreibung zu reden. Auch in Florida haben die Demokraten eine Abstimmung über eine Verfassungsänderung für ein Recht auf Abtreibung erwirkt.
Harris warnte, falls Donald Trump Präsident werde, seien diese Rechte noch akuter gefährdet als derzeit. Der Republikaner versucht, sich möglichst vom Thema Abtreibung fernzuhalten, weil er weiß, dass er damit bei der Wählerschaft nur verlieren kann. Trump war zwar jener, der im Supreme Court den Konservativen die Supermehrheit beschaffte, die das Recht auf Abtreibung vor zwei Jahren abschaffte. Er selbst denkt jedoch bei diesem Thema nicht ideologisch.
Vor einigen Wochen hatte Trump vorsichtig vorgeschlagen, sich vielleicht auf ein Verbot nach der 15. Woche zu einigen, was ihm sofort wütende Kritik aus der christlich-konservativen Ecke eintrug. Inzwischen weicht Trump allen Fragen dazu aus, indem er sagt, die Bundesstaaten sollten ihre Abtreibungspolitik selbst bestimmen. Allerdings gelingt es ihm nicht, sich komplett herauszuhalten. Eben erst handelte er sich neue Kritik ein, als er in einem Interview mit der Zeitschrift Time andeutete, die Behörden in den konservativen Staaten sollten auch das Recht haben, schwangere Frauen zu überwachen, um das Abtreibungsverbot durchzusetzen.