US-Wahl:Trumps Sieg: Was von den Mythen bleibt

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Woran lag es wirklich, dass am 8. November die Trumpisten triumphierten? (Foto: Evan Vucci/AP)

Nach der US-Wahl hieß es schnell: Weiße Frauen bescherten Trump den Sieg, jeder dritte Latino stimmte für ihn, Clinton verlor Millionen Obama-Wähler. Was zeigen ausgeruhte Analysen?

Von Matthias Kolb, Washington, und Johannes Kuhn, New Orleans

Genau einen Monat ist es her, dass Donald Trump sensationell die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Kaum stand Hillary Clintons Niederlage fest, wurden viele Erklärungen gedruckt, gesendet oder ins Internet gestellt ( auch bei SZ.de)

Viele Fragen werden in Zukunft vielleicht Historiker im Rückblick beantworten können: Ob FBI-Chef Comey und die E-Mail-Affäre schuld an Clintons Niederlage sind oder ob die "Hillary gewinnt zu 84 Prozent"-Prognosen zu viele Demokraten vom Wählen abhielten - darüber gibt es keine belastbaren Zahlen. Andere Theorien und Narrative lassen sich dagegen bereits jetzt bewerten.

Ein Versuch, die Wahl in drei Sätzen zu erklären, klingt etwa folgendermaßen: "Trump hat die Anti-Establishment-Stimmung am besten getroffen und mobilisierte neben den konservativen Stammwählern der Republikaner auch jene, die sich nach Veränderung sehnten. Clinton war offenbar eine nur mittelmäßige Kandidatin und ihr Team unterschätzte, wie verhasst sie bei Millionen Bürgern war. Gerade in ländlichen Gebieten verlor die Demokratin stärker als Obama 2012; die Unterstützung von Latinos, Afroamerikanern und Großstädtern reichte nicht aus, um ins Weiße Haus zu kommen."

Hat Clinton viele Obama-Wähler verloren?

Doch so einfach ist es nicht. Das zeigt ein Blick auf die Details. Eine der beliebtesten Thesen ist etwa: Hillary Clinton hat verloren, weil sie nicht genügend Obama-Wähler mobilisieren konnte. Sie ist allerdings nicht ganz richtig. Derzeit liegt Clinton mit 65,5 Millionen Stimmen nicht nur knapp 2,7 Millionen Wähler vor Donald Trump, sondern beinahe auf dem Obama-Level von 2012 (65,9 Millionen). Darüber hinaus ist die Briefwahl-Auszählung im liberalen New York noch nicht abgeschlossen. Was allerdings stimmt: In den Wechselwähler-Staaten fehlten ihr wichtige Stimmen.

Haben Geringverdiener Trump zum Wahlsieg verholfen?

Nach der Wahl stand eine Grafik im Zentrum vieler Analysen: Sie zeigt, dass Clinton bei Geringverdienern (30 000 Dollar Einkommen pro Jahr) 53 Prozent erreichte und auch die Gruppe bis 50 000 Dollar entschied sich mehrheitlich für sie. Trump erreichte wiederum in den höheren Gehaltsklassen die Mehrheit. Ein Beweis also, dass der Republikaner Geringverdiener trotz seiner Rhetorik gar nicht erreichte?

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Tatsächlich ist die Sache komplizierter: Geringverdiener wählen in der Regel eher Demokraten. Trump erreichte auch nur 41 Prozent der Stimmen. Das aber sind sechs Prozentpunkte mehr als 2012 der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mitt Romney, gewinnen konnte - ein gewaltiger Sprung.

Ein weiterer Faktor: 68 Prozent der wahlberechtigten Geringverdiener und Armen gehen überhaupt nicht mehr zur Wahl; bei der unteren Mittelschicht (bis zu 50 000 Dollar Einkommen) blieb dieses Jahr jeder Zweite den Wahllokalen fern. Der Trend existiert bereits länger, aber gegenüber 2012 ist der Nichtwähleranteil nochmals gewachsen.

Unklar ist, wie stark der Trend beeinflusst ist durch die Abschaffung von Wählerschutz-Gesetzen im Süden und von den Republikanern durchgesetzten neue Regeln in Kansas und Wisconsin, die schwarze Wähler benachteiligen. Afroamerikaner fallen landesweit überproportional in das Geringverdiener-Segment, das eher den Demokraten zugeneigt ist.

Welche Rolle hat das Wahlverhalten der Schwarzen gespielt?

88 Prozent der Schwarzen wählten Hillary Clinton, Trump erreichte mit acht Prozent ihrer Stimmen allerdings deutlich mehr als die beiden republikanischen Kandidaten vor ihm. Kunststück: Ihr Konkurrent war mit Barack Obama ein afroamerikanischer Bewerber. Dieses Jahr waren beide Bewerber weiß, und geschätzt sind 1,9 Millionen Afroamerikaner weniger als noch 2012 zur Wahl gegangen. ( Wobei hier unklar ist, wie viele wegen der neuen Beschränkungen nicht wählen wollten oder konnten). Auf jeden Fall ist klar: Die Polit-Superstars Michelle und Barack Obama konnten trotz aller Bemühungen unter Schwarzen nicht ausreichend Leidenschaft für Clinton wecken.

Haben die Latinos Clinton hängen lassen?

Nicht nur der Brexit hat bewiesen, dass Umfragen oft unpräzise sind und auch viele Analysen dieses Texts basieren auf den Exit-Polls von Edison Research, für die 25 000 Wähler befragt wurden. Doch gerade bei Gruppen wie Minderheiten mit niedrigen Bildungsabschlüssen könnte die Zahlenbasis problematisch sein. "Wähler mit Uni-Abschluss sind bei Edison stets mehr vertreten als im Bevölkerungsschnitt, Arbeiter hingegen unterrepräsentiert", sagt Ruy Teixeira vom Thinktank Center for American Progress. Er hält es für eine Legende, dass 29 Prozent der Latinos für Trump stimmten.

Angesichts seiner Anti-Latino-Rhetorik (Mauerbau, illegale Migranten abschieben) scheint es wenig wahrscheinlich, dass Trump im Vergleich zu Romney um zwei Punkte zulegte. Realistischer scheint die Nachwahlbefragung von Latino Decisions, wo Trump 19 Prozent erhält - und Clinton 79 Prozent. Hierfür wurden - anders als bei Edison - auch Interviews auf Spanisch durchgeführt. Diverse Studien zu Texas und Arizona, für die offizielle Wählerdaten ausgewertet wurden, zweifeln Trumps Popularität unter Hispanics an. Fazit: Die Latinos haben Clinton nicht hängen lassen.

Welche Rolle spielten die jungen Wählerinnen und Wähler?

Anders war es mit den Jungwählern. "Ja, man kann den Millennials die Schuld an Hillary Clintons Niederlage geben", schrieb die Washington Post über einen Blog-Beitrag und nannte als Kronzeugen Robby Mook. Der war Wahlkampfleiter der Demokratin und sagte bei einer Harvard-Konferenz: "Wir brauchten mehr als 60 Prozent der Jungwähler, doch wir landeten darunter. Deswegen haben wir verloren." Das Misstrauen der jungen Amerikaner gegenüber Clinton ist gut dokumentiert, die Angst vor Trump überzeugte wohl viele nicht, überhaupt zur Wahl zu gehen oder nicht für einen third party candidate zu votieren.

Ist es tatsächlich zu einem "Whitelash" gekommen?

Oft ist vom "Whitelash" die Rede, also einer Gegenreaktion der weißen Amerikaner auf den drohenden Verlust der Vormachtstellung im Land. Die Statistik sagt einerseits: richtig, Trump gewann hier 58 Prozent gegenüber Clintons 37 Prozent.

Doch so ungewöhnlich ist das Ergebnis nicht. Bereits Mitt Romney hatte ebenfalls mit 20 Prozentpunkten (59 zu 39) vor Obama gelegen. Auch der Anteil weißer Amerikaner an der Wählerschaft lag mit 71 Prozent fast unverändert zu 2012. Und bei weißen Frauen holte Trump mit 53 Prozent sogar weniger Stimmen als Romney (56 Prozent).

Was also ist passiert? Der Republikaner gewann dort weiße Stimmen, wo es zählte: In Ohio genügte eine Steigerung von sechs Punkten in der Wählergruppe weißer Männer (auf 68 Prozent), um den Staat zu kippen. In Michigan sorgte eine hohe Beteiligung aus den weißen Vorstädten von Detroit dafür, dass Trump zwei Prozentpunkte mehr als Romney holte - und damit den Staat erstmals seit George Bush 1988 wieder rot einfärbte.

Haben weiße Frauen Trump zum Sieg verholfen?

Auch die Analyse, dass weiße Frauen "überraschend" mehrheitlich Trump gewählt hatten, blendet historische Wählermuster aus: Diese Gruppe stimmt bereits seit längerem konservativ. In der Tat verlor Trump gegenüber Romney (siehe oben). Vielleicht auch, weil erstmals eine Frau für eine große Partei auf dem Wahlzettel stand.

Man könnte argumentieren, dass es Hillary Clinton sogar gelang, die Wahl zur "Abstimmung für die erste Frau im Weißen Haus" zu machen (oder Frauen durch ihre Kompetenz zu überzeugen): Insgesamt lag sie bei den Frauen mit 54 zu 42 Prozent vor Trump. Auch bei weißen Frauen mit Uni-Abschluss holte sie Nachwahl-Umfragen zufolge die Mehrheit (51 zu 45 Prozent).

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Allerdings verlor sie mit 34 Prozent bei weißen Frauen ohne höheren Bildungsabschluss deutlich gegen Trump, der 62 Prozent erreichte. (Das gilt auch für die Zustimmung weißer Männer ohne Hochschulabschluss. Deren Stimmen gingen zu 72 Prozent an Trump und nur zu 23 Prozent an Clinton.) In Michigan, wo acht von zehn weißen Wählerinnen keinen höheren Bildungsabschluss haben, half das Trump.

Stadt gegen Land?

Bei einem anderen Trend verblüfft die Dimension: Städter wählen Clinton, die Landbevölkerung Trump. Die Demokratin lag in 489 Counties vorne, der Republikaner siegte in 2623 Bezirken. Obama hatte 2012 knapp 700 Counties gewonnen - daraus leitet Atlantic-Autor Alec MacGillis ab, dass Clinton "an den falschen Orten hinzugewonnen hat."

Ihr Vorsprung im popular vote stützt sich auf Kalifornien und New York - doch hier dominieren die Demokraten ohnehin. Und in jenen Gegenden, wo Obama 2012 schon verloren hatte, sackte Clinton weiter ab: Gerade in Staaten wie Pennsylvania, Michigan und Wisconsin half es Trump über die Ziellinie, dass in Dutzenden Distrikten der konservative Vorsprung um einige Tausend Stimmen wuchs.

Die Unterstützung in ländlichen Gegenden war auch in Florida entscheidend: Im wichtigen Interstate-4-Korridor zwischen Tampa und Orlando übertraf Clinton in den Stadtgebieten den Vorsprung Obamas gegenüber dem Republikaner-Kandidaten. Trump wiederum gewann die Vororte und die ländlichen Bereiche deutlicher als Romney - und siegte so unterm Strich im Sonnenschein-Staat.

"Einzelkämpfer" Trump gegen Clintons "Nerd-Operation"?

Dass viele Journalisten, halb Amerika und der Rest der Welt von Trumps Sieg überrascht wurden, lag auch an einem gut gepflegten Trump-Narrativ. Der Kandidat selbst nannte das Sammeln von Wählerdaten "überschätzt" und schien nur auf Events mit Tausenden Zuschauern zu setzen. Heute weiß man: In Texas baute Schwiegersohn Jared Kushner ein Digital- und Datenteam auf; parallel arbeitete die Republikanische Partei hochprofessionell, was allseits bekannt war. Doch die Erzählung "Clintons Nerd-Operation ringt Einzelkämpfer Trump nieder", war zu verführerisch - und wurde zu wenig hinterfragt ( Details in diesem SZ-Text über die Rolle von Big Data). Fazit: Trumps Data-Team war nicht so gut wie Clintons, aber deutlich besser als stets vermutet.

Republikanische Pessimisten gegen optimistische Demokraten?

Die USA sind ein gespaltenes Land mit einem unterschiedlichen Blick auf Alltag und Zukunft. Die Republikaner sind Pessimisten, die Demokraten Optimisten: Drei Viertel der Trump-Wähler fühlen sich schlechter gestellt als noch vor vier Jahren, 72 Prozent der Clinton-Anhänger hingegen besser. Auch die Zukunftsaussichten werden völlig unterschiedlich beurteilt: 63 Prozent der Trump-Wähler befürchteten, dass das Leben der kommenden Generation schlechter verlaufen wird als das der jetzigen. Unter den Clinton-Wählern rechneten 59 Prozent damit, dass es die Kinder besser haben werden.

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Dieser Trend überschattet viele andere Erkenntnisse - aber aus ihm lassen sich Schlüsse über die Stimmung, nicht über die strukturelle Mehrheit treffen. Die wird angesichts der Bevölkerungsentwicklung eigentlich mittelfristig bei den Demokraten verortet. Doch wenn wie am 8. November noch nicht einmal 55 Prozent der Wahlberechtigten abstimmen, ist diese Mehrheit nicht viel wert.

Linkliste:

  • Die wachsende Aufspaltung "Stadt vs. Land" wird in diesem Atlantic-Text sehr gut historisch eingeordnet.
  • Pew Research analysiert die weiße Wählerschaft der ländlichen Gebiete und warum sie mit so großer Mehrheit für Trump stimmte.
  • Wer sich genauer mit dem "Latino Vote" beschäftigen will, dem sei diese PDF-Präsentation von "Latino Decisions" empfohlen. In diesem Text wird am Beispiel von Texas erklärt, wieso Donald Trump unter Hispanics schlechter abgeschnitten haben muss, als ursprünglich berichtet wurde.
  • Wie die Top-Berater von Trump und Clinton das Wahlergebnis erklären, schildert dieser Bericht von der traditionellen Harvard-Konferenz. Hinweis: Es ging emotional zu und es wurde viel gebrüllt.
  • Der demokratische Wahl-Analyst Steve Schale versucht zu erklären, warum Trump den wichtigen Wechselwähler-Staat Florida am Ende gewinnen konnte.
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